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Robert Harris - An Officer And A Spy
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Harris, Robert:
An Officer And A Spy

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(Bücher frei Haus)

Der Brite Robert Harris spielt auf vielen Wiesen. Studiert hatte er Geschichte in Cambridge, bevor er als Journalist bei verschiedenen renommierten Zeitungen seines Landes arbeitete. Als Romancier hatte er seinen Einstand mit dem Weltbestseller Fatherland, einer Fiktion über ein Deutschland, das den Zweiten Weltkrieg nicht verloren hatte und vor einer architektonischen Speer-Kulisse im Berlin der sechziger Jahre spielte. Enigma widmete sich der Dechiffrierung deutscher U-Boot-Codes im Zweiten Weltkrieg. Mit Lustrum und Imperium schrieb er zwei sehr an den historischen Fakten angelegte Romane über die Vita Ciceros. Ghost wiederum war eine Abrechnung mit seinem früheren Freund und Politiker Tony Blair. Vor zwei Jahren überraschte er mit Fear Index, einer spannenden Story über die Eigendynamik der durch Algorithmen getriebenen Börsenwelt. Sein jüngstes Buch, An Officer And A Spy ist die Geschichte der französischen Dreyfus-Affäre.

Den Handlungsrahmen bildet die öffentliche Verurteilung des Majors Alfred Dreyfus, eines Juden aus Mulhouse, der der Spionage für die verfeindeten Deutschen bezichtigt wird. Dreyfus wird im Januar 1895 als schuldig befunden, als unehrenhaft aus der französischen Armee entlassen und auf die Gefangeneninsel Devils Island im Südatlantik transportiert, wo er unter unmenschlichen Bedingungen als einziger Häftling weggesperrt wird. Erzählt wird die Geschichte aus dem Blickwinkel des Majors Georges Picquart, seinerseits Major und an der Überführung Dreyfus´ beteiligt. Picquart steigt zum Chef der Geheimen Dienste auf und erhält Einblick in das bisherige Verfahren. Dabei wird ihm bewusst, dass es sich beim Fall Dreyfus um eine Verkettung von Fälschungen und Verschwörungen handelt und die Anschuldigungen letztendlich nicht haltbar sind.

Trotz einer erstaunlich akribischen Rekonstruktion des gesamten Falles und trotz der historisch bekannten Umstände um seine Auflösung gelingt es Harris, einen Spannungsbogen aufzubauen und bis zum Schluss zu halten. Neben der bekannten Geschichte entwirft Harris das gesamte Szenario eines auf Antisemitismus basierenden Komplotts einer in starkem Maße degenerierten Organisation. Vom Militär bis in die Ministerien wird eine Blaupause entworfen, wie von den Defiziten der eigenen Identitätsfindung hin an einem Paradigma des Sündenbocks gearbeitet wird. Von eigenen Karriereabsichten bis hin zu bewusstem politischen Kalkül werden alle Operationen synergetisch dem Ziel untergeordnet, einen Rahmen der öffentlichen Meinung zu schaffen, der die kognitive Wahrnehmung trübt, um die antisemitischen Tiraden hinnehmen und die tatsächlichen Pläne der Akteure nicht mehr identifizieren zu können. Alle auftretenden historischen Figuren sind in ihren Handlungen und Aussagen valide, von den verschiedenen Kriegsministern, die bis zur endgültigen Rehabilitierung Dreyfus´ eine Rolle spielten, über die wechselnden Chefs der Geheimdienste bis zu den Meinungsmachern, von couragierten demokratischen Abgeordneten bis hin zu zu der Ikone Emile Zola, der mit seinem öffentlichen Aufruf J´accuse! eine Verurteilung und das Londoner Exil in Kauf nahm.

An Officer And A Spy liest sich wie das Modell dessen, was die die Amerikaner später ein Frame-up-Verfahren nennen sollten: Die Inszenierung eines Skandals, der an Instinkte der Angst appelliert, um eine Massenpsychose zu initiieren, die ablenkt vom systematischen Ausbau des Machtmissbrauchs. Dass die französische Gesellschaft zur Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert in starkem Maße von den Irrationalismen des Antisemitismus geprägt war, hatte mit dem Trauma der militärischen Niederlage von 1870/71 im Krieg gegen Deutschland zu tun und der wahnwitzigen Annahme, dass gerade die deutschstämmigen Juden aus den verlorenen Gebieten Elsass und Lothringen als Agenten des Feindes aktiv gewesen seien. In dem ganzen Irrsinn liegt eine Antizipation dessen, was drei Jahrzehnte später in Deutschland unter anderen Vorzeichen den Antisemitismus in Deutschland befeuerte. Ein nicht nur lesenswertes Buch, sondern ein Muss für historisch Interessierte.

[*] Diese Rezension schrieb: Gerhard Mersmann (2014-01-04)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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