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Derek Jarman - Caravaggio
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Jarman, Derek:
Caravaggio

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(Bücher frei Haus)

Im Gegensatz zur Historiographie eines Michelangelo, der etwa in Giorgio Vasari einen wohlwollenden Biographen hatte, ist Caravaggios Biographie von Distanzierung und Verdammung gekennzeichnet, aus dem sicherlich auch der Neid seiner Kritiker sprach. Erschwerend hinzu kommt, dass kein einziges Selbstzeugnis Caravaggios erhalten ist, nicht einmal ein Brief. Aus diesem Grund muss man sich wohl auf seine zeitgenössischen Biographen verlassen, die aber, aufgrund ihrer Befangenheit gegenüber ihrem Untersuchungsobjekt, nur eingeschränkt glaubwürdig sind. „Wir wissen kaum etwas über Caravaggios Ausbildung, über seinen Bildungshorizont oder gar seine religiösen Überzeugungen.“, schreibt der Kunstgeschichtler Sebastian Schütze. Vielleicht liegt es daran, dass auch Derek Jarman die Vita des berühmten Malers in seinem wunderschönen Film auf seine ganz eigene Weise interpretiert hat.

Der Plot: ménage à trois

Caravaggio - im kongenialen Film von Derek Jarman von Nigel Terry dargestellt - lebt in einer Dreierbeziehung mit dem schönen Dieb Ranucchio (Sean Bean) und dessen Frau Lena (Tilda Swinton), die auch für seine berühmtesten Bilder Modell stehen, zusammen. Die menage-à-trois endet mit dem tragischen Tod Lenas während ihrer Schwangerschaft. Ranucchio, der Strauchdieb und Modell für Caravaggio zugleich ist, wird sofort als Schuldiger eingesperrt. Dem inzwischen einflussreichen Maler Caravaggio gelingt es jedoch, seinen Freund wieder frei zu bekommen und dann geschieht das, was eigentlich niemand erwartet hätte und hier auch nicht verraten werden soll.

Der Hintergrund: ein Maler als Mörder
Trotz aller Unstimmigkeiten und der schlechten Quellenlage, gilt dennoch als gesichert, dass Caravaggio einen eher „unsteten Lebenswandel“ führte und seine Zeit tatsächlich gerne mit Strichern und Prostituierten verbrachte. Um wirklich etwas über Caravaggio als Mensch zu erfahren, muss man sich aber vor allem seinem Werk widmen und sich ihm vollends ausliefern, denn außer ein paar Eckdaten gibt seine Biographie nicht viel her. Derek Jarmans Film versucht, sich auf eine ganz moderne Art und Weise dem Malergenie anzunähern. So trägt einer der Arbeiter in Caravaggios Kantine eine „L`unità“ (das Zentralorgan der italienischen Kommunisten) als Papierhut oder Caravaggio raucht pausenlos Zigaretten, die ganze Atmosphäre ist eine Mischung aus 16. und 19. Jahrhundert und berauscht so umso mehr die Sinne. Derek Jarman filmt eine Art „Passion Caravaggio“, die den Leidensweg Christi als Caravaggio nachzeichnet, eines unglückseligen Malers, der am Ende seines Lebens sogar unabsichtlich zum Mörder wird und sich vor der Justiz verstecken muss, bis er - zu jung - an einer Malaria stirbt: im Alter von noch nicht ganz 39 Jahre. „Jeder Versuch, sich der historischen Person Caravaggios und seinem bahnbrechenden künstlerischen Werk zu nähern, ist notwendig Interpretation und bringt die Perspektive des Interpreten zum Tragen“, schreibt etwa der Kunstgeschichtler und heimliche Biograph Sebastian Schütze in seinem bei TASCHEN erschienen Caravaggio-Gesamtwerk. Damit trifft er wohl auch das Werk Jarmans ganz gut.

Ein Leben auf der Flucht
Michelangelo Merisi da Caravaggio (sein „Nachname“ ist eigentlich sein Herkunftsort, ital. „da“ bedeutet: „aus“) brach mit 20 nach Rom auf. 1590 wurden der junge Michelangelo und seine beiden Geschwister zu Vollwaisen und mit dem Kapital aus ein paar veräußerten Grundstücken der Familie machte er sich in die Tiberstadt auf, um Malerei zu lernen. Sein Lehrer Peterzano rühmte sich ein Nachfolger Tizians zu sein, von seinen Werken sind allerdings wenige erhalten und es ist fraglich, wie viel Caravaggio wirklich von Peterzano in seinen vier Lehrjahren gelernt haben kann. Sicherlich aber stand er in seinen frühen Jahren unter dem Einfluss der cultura borrommaica, benannt nach dem Erzbischof von Mailand Carlo Borromeo und seinem Sohn, der ihm nach dem Tod auf sein Amt nachfolgte (!). Die Implikationen der Borromeos auf die Interpretation der religiösen Kunst durch Caravaggio werden zwar angezweifelt, nicht aber völlig negiert wie auch die Sforzas, das regierende Geschlecht, mit der die Familie Caravaggios bekannt war. Costanza Sforza Colonna war es auch zu verdanken, dass Caravaggio nach dem Händel mit Ranuccio Tomassoni, bei dem er eigentlich nur seinen Freund Longhi verteidigen wollte, auf ihren Ländereien nahe Neapel Unterschlupffand.

Vom Blick der Medusa gebannt
Die Medusa auf einem Schild wird in Derek Jarmans Film gleich zu Beginn verwendet, nach dem Motto „Erkenne dich selbst“. Aber auch andere Gemälde Caravaggios werden immer wieder als echte Szenen in den Film eingebaut und sorgen so für einen ästhetischen Hochgenuss, der sinnlich auch von der ebenso kongenialen Musik ergänzt wird (auch wenn der im Trailer verwendete „Flamenco“ mir etwas unpassend erscheint). Zwischen 1596/97 entstand das wohl bekannteste Caravaggio-Bild, „Bacchus“, das heute in den Uffizien in Florenz hängt und auf der in Rom in den Scuderie del Quirinale in diesem Frühjahr stattgefundenen großen Caravaggio-Ausstellung leider gefehlt hat. Dafür wird ihm im Film von Jarman große Aufmerksamkeit gewidmet. Der auf einem Matratzenlager halb liegende Bacchus reicht dem Betrachter einen Kelch und sitzt dabei vor einem Früchtekorb, seine Fingernägel schmutzig, sein Blick herausfordernd und provokant. Porträt und Stilllebenmalerei verknüpfen sich hier zu einem einzigartigen Ensemble, das Caravaggio auch oft den „Vorwurf“ homoerotischer Neigungen eingebracht hatte oder zumindest die seiner Auftraggeber. Entgegen diesen Interpretationen sind die Beziehungen des Malers zu der Kurtisane Fillide Melandroni und einer mysteriösen „Lena“ jedoch dokumentiert, der Maler war also zumindest bisexuell, wie er auch sonst so viele Gegensätze in sich vereinigte: Caravaggio arbeitete zwar für den Kardinal Del Monte, streifte nächtens jedoch durch Tavernen, Spielcasinos und Bordelle, was ihn nicht nur einmal in den Konflikt mit dem Gesetz brachte.

„All art is against the lived experience“
Del Monte protegierte den jungen Künstler und verschaffte ihm nicht nur viele private Kontakte und Auftraggeber, sondern auch seinen ersten öffentlichen, die Seitenbilder der Cappella Contarelli in Rom. Erschreckend ist das ebenfalls in dieser Zeit entstandene „Selbstbildnis als Bacchus“ (1593/94), das einen geradezu grün angelaufenen, gealterten Mann zeigt, der an ein paar Weintrauben festhält, als wären sie seine letzte Rettung. Im Film fragt Del Monte den jungen Caravaggio warum er sich als Alten so darstellte. Vielleicht hatte er schon Visionen wie er enden würde. Das Gemälde ist in der Galleria Borghese in Rom im Original zu bewundern, ebenso wie das leicht mit dem Bacchus zu verwechselnde „Knabe mit dem Früchtekorb“ desselben Datums. In dieser künstlerischen Schaffensphase – unter den Auspizien Del Montes – entstanden auch viele Musikerporträts, wie etwa der „Lautenspieler“ u. a. „Der schöpferische Pinsel des Künstlers hat den versteinernden Blick der Medusa im Spiegel des Schildes fixiert und dabei mit solch dramatischer Lebendigkeit versehen, dass der staunende Betrachter vor Schrecken und Bewunderung vor dem Bild selbst erstarrt.“

Licht und Schatten in Leben und Werk
Das Spiel mit Licht und Schatten beherrscht Caravaggio wie kein anderer und es mag sicherlich die dunkle Aura seiner Gemälde sein, die neben seiner undurchschaubaren Biographie noch so manchen weiteren Glanz auf seine Gemälde hauchte. Derek Jarman (1942-1994) ist jedenfalls eine Hommage gelungen, die dem Maler alle Ehre macht, auch wenn es sich um reine Fiktion und Interpretation handelt. Die Bildsprache Caravaggios wird in ein aufregendes Filmporträt verwandelt, das mittlerweile zu den großen Klassikern des europäischen Kinos gehört. Der englische Regisseur Derek Jarman (1942-1994), der mit „Sebastiane“, „Jubilee“ und „The Tempest“ schon in den Siebzigern Regie-Geschichte schrieb, gewann 1986 auf der Berlinale einen Silbernen Bären für die künstlerische Gestaltung seines „Caravaggio“, an dem er sieben Jahre lang gearbeitet hatte und der ihm endlich auch zum erhofften Durchbruch in den USA verhalf. Jarman wurde von der Thatcher-Regierung, die mit der Clause 28 die Förderung von Sexualität in öffentlichen Kontexten verbot, radikalisiert und drehte – bevor er an 1994 AIDS verstarb – noch weitere Filme, die diesen Kontext erst recht unterstrichen. Darunter „Edward II“, „Wittgenstein“ und „Blue“: die Leinwand bleibt 70 Minuten lang ganz einfach blau. Die Edition Salzgeber hat diesen Film ebenfalls im Repertoire und mit einem 80-seitigen Textbuch versehen. Weitere Informationen unter: www.derek-jarman.de, für weitere Filme von Derek Jarman sehen Sie auch www.salzgeber.de .


Caravaggio
Regie: Derek Jarman
Schauspieler: Niggel Terry, Sean Bean, Tilda Swinton

Extras: Interviews mit Tilda Swinton & Nigel Terry, Bilder-Galerien, Vorschau und schönes, farbiges Booklet Untertitel: deutsch
Sprache: englische Originalfassung
Länge: 93 min
Sound: Dolby Digital
Formate: 16:9
DVD € 22,90
Plakat A1 € 15,00

Edition Salzgeber, Berlin
www.salzgeber.de

[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2010-12-09)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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