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Milo Manara - El Gaucho
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Manara, Milo:
El Gaucho

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(Bücher frei Haus)

Eine weitere Koproduktion der beiden Comicinventors Hugo Pratt und Milo Manara wird in dieser Manara Werkausgabe Nr. 5 vorgelegt. Pratt hatte das Storyboard zu diesem „argentinischen Bildungsroman“ sogar in Spanisch geschrieben, da er zwischen 1949 und 1962 in Argentinien lebte und hatte gegenüber Dominique Petitfoux in einem Interview, das sich unter dem formidablen Titel „Le desir d`etre inutile“ auch im Handel befindet, die Wichtigkeit seines argentinischen Anliegens mehrmals unterstrichen. Die Geschichte selbst basiert auf einer wahren Verschwörung von argentinischen Freimaurerlogen, die 1806 mit englischen Kaufleuten gemeinsame Sache machten, um zumindest Buenos Aires von der spanischen Kolonialherrschaft zu „befreien“. Dabei zählten sie auf die Unterstützung der indigenen Bevölkerung, der schwarzen Sklaven und des Mestizenvolkes, selbstverständlich nur mit der Absicht, diese dann später wieder selbst erneut zu unterjochen. Die zynische Haltung der englischen Offiziere wird von Pratt nicht nur in ihren Dialogen ausgedrückt, sondern auch in ihrer Brutalität gegenüber Untergebenen. Dass Seeleute nicht besonders zimperlich sind, ist bekannt, doch wenn es ohnehin eigens angekarrte irische Huren auf dem Schiff gibt, warum musste einer der Generäle dann dem Trommler seinen Allerwertesten aufreißen?

„Argentinien hat aus mir erst einen Mann gemacht“
„Amerika war der Traum meiner Generation“ soll Pratt in einem Interview gesagt haben, aber dieses Amerika schildert er mit so viel Gewalt und Zynismus, dass es immer fraglicher wird, ob da wirklich ein Paradies entdeckt wurde (das man ohnehin nur in sich selbst entdecken kann). Die britischen Offiziere sind jedenfalls genauso abgebrüht und inhuman, wie die spanischen Kolonialherren, die kommen sogar fast noch besser weg, weil sie immerhin ein einmal gegebenes Wort achten und es auch einhalten. Die Briten hingegen jammern den verlorenen Kolonien in Nordamerika nach (die USA wurde 1774 unabhängig) und versuchen wenigstens noch in Südamerika etwas zu retten oder zumindest Fuß zu fassen. Ihr unmoralisches und skrupelloses Verhalten ist aber von vornherein zum Scheitern verurteilt, das muss auch der englische Trommler Tom Browne auf schmerzhafte Weise erfahren. „Argentinien hat aus mir erst einen Mann gemacht wird Tom Browne am Ende der Geschichte sagen und exakt dasselbe dürfte auch für Pratt gelten, der dort immerhin die wichtigste Phase eines Männerlebens (von 22 bis 35 Jahren) verbracht hatte. Am Ende seiner „Amerika“-Erfahrung äußerte er sich jedoch deutlich distanzierter gegenüber dem „Traum seiner Generation“. Aber immerhin wurde er dort zum Mann. Was wohl ohnehin geschehen wäre.

Eine raue Seemannsgeschichte ohne Seemannsgarn
„Lass uns Mate-Tee trinken“, sagt ein alter Indianer zu den Gauchos, die sein Zelt besuchen, „für deine Männer gibt es einen Hund zu Essen“. Die Einladung ist freundlich und ehrlich gemeint, denn der Indianer weiß, dass die Soldaten gekommen sind, um alles Leben in seinem Dorf auszulöschen. Seine Verwandtschaft ist in der Zwischenzeit längst geflohen, nur mehr ein alter, weißer Mann sitzt in seinem Zuhause und schlürft Tee. Dieser langhaarige, vergilbte und faltige, alte Mann entpuppt sich als Tom Browne, der dann die eigentliche Geschichte erzählt, die sich um die Liebe der irischen Hure Molly Malone und ihn selbst dreht, eine Geschichte in der Geschichte, die wohl aus dramaturgischen Gründen so angelegt wurde und wohl auch deswegen, weil Pratt ursprünglich eine Fortsetzung von „Gaucho“ geplant hatte. In der Seemannsgeschichte, die hauptsächlich auf den Schiffen der Engländer, etwa der „Encounter“, spielt, herrscht ein rauer Ton, dennoch werden manche zu explizite Dinge dann doch umschrieben: „Einem der Armen Trommler des 71. Geschwaders hat so ein Schwein von einem Offizier den `Tabernakel´ aufgebrochen. Du hättest mal den `Duft´ in der Kajüte von Leutnant di Vascello erleben sollen“, erzählt Matthew, der Bucklige, einer der Protagonisten der Geschichte, der in die atemberaubende Irin Molly verliebt ist, die aber wiederum Tom liebt.

Vergewaltigung, Mord, Eifersucht und Neid mit schwarzem Humor
Von Tom wiederum kann man sich schon denken, dass er eher Aureliana zugeneigt ist, die er als Geisel auf seinem Festlandaufenthalt zwangsläufig kennen lernt. Sie ist wohl die einzige, die menschliche Züge trägt, denn sie öffnet Tom, der von Matthew beneidet wird, die Augen: „Er wäre ein wahrer ehrlicher Freund gewesen“. Doch Matthew ist längst über alle Berge, denn er kann seine Liebe selbst nicht ertragen. Bei dieser brutalen Geschichte um Vergewaltigung, Mord, Eifersucht und Neid vergisst Hugo Pratt aber nicht auf einen gewissen schwarzen Humor. „Du bist Jude! Ihr habt Jesus Christus umgebracht!“, ruft Molly Matthew hinterher und dieser erwidert lakonisch: „Leck mich am Arsch, Molly“. Wenig später sinniert dieselbe Molly Malone über ihr eigenes Leben, wohl auch aus Eifersucht auf Aureliana, die gerade von einem einäugigen Soldaten vergewaltigt wurde: „Wenn ich jedes Mal weinen würde, wenn ich es in den Arsch kriege…das wäre eine schöne Sintflut“. Tom liebt dieses „unschuldig` Ding“, Aureliana, der gerade ihre Unschuld schmählich geraubt wurde, nämlich so, wie sie, Molly, ihn liebt. Es lieben eben immer die richtigen die falschen und umgekehrt. Hauptsache der Vergewaltiger bekommt seine gerechte Strafe.

Hugo Pratts Argentinien ist vor allem das seiner Jugend, während Milo Manara, der kongeniale Zeichner der vorliegenden Geschichte, niemals in Argentinien war, das Land aber vor allem durch seine Militärdiktatur des 20. Jahrhunderts und seine Exilanten, die nicht nach Spanien (wo Franco herrschte), sondern nach Italien und Deutschland flohen, wahrgenommen hat. Eine ganze Generation wurde durch die Diktatur ausgeblutet. Während Nazis und Kollaborateure, Ustacia-Kroaten und allerlei andere rechtsgerichtete Personen wiederum ihr Exil in Argentinien fanden. Ein Land voller Widersprüche in jedem Fall, dem man viel Erfolg für die Zukunft wünschen möchte. Die Geschichte von Pratt und die Zeichnungen von Manara ergeben in vorliegender Graphic Novel eine wahre symphonische Dichtung, die zweifellos in den Olymp der gezeichneten Literatur aufgenommen werden könnte. Müßig zu erwähnen, dass Manara die irischen Prostituierten, aber auch die geheimnisvolle argentinische Aureliana, mit all ihren Vorzügen ins Zentrum des Interesses und Bildes rückt und den Blick auf viele Details ihrer Schönheit frei gibt. Eine Synthese aus Bild und Sprache also, wie man sie selten erlebt hat.

Milo Manara Werkausgabe Nr. 5
Milo Manara/Hugo Pratt
El Gaucho
www.paninicomics.de
2010
24,95.-

[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2010-12-25)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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