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Herman Melville - Bartleby, der Schreiber
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Melville, Herman:
Bartleby, der Schreiber

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(Bücher frei Haus)

Das Leben Herman Melvilles gereichte heutzutage zu einem Roman. Das aus der Retrospektive einer überhitzten Digitalisierung als so gemächlich betrachtete 19. Jahrhundert hatte es in sich. Melville, Sohn schottischer und niederländischer Immigranten wurde in New York geboren, ging zur Schule, brach sie ab, jobbte als Kaufmann und Pelzhändler, heuerte auf einem Walfänger an, desertierte, streunte durch die Südsee, kaufte im so englischen Massachusetts einen Bauernhof, auf dem er in einer 13jährigen Periode seine Bücher schrieb, kehrte nach New York zurück, wo er sein Arbeitsleben als Zollinspektor beendete, da er von seiner Schriftstellerei nicht leben konnte. Bekannt wurde er mit und Weltruhm erlangte er durch Moby Dick (1851). Israel Potter (1855) und Billy Budd (1924, post mortem) wurden erst viel später zur Kenntnis genommen.

Es spricht für die Komplexität von Melvilles Schaffen, dass selbst die Branche der Literaturwissenschaften bis heute immer wieder neue Anläufe braucht, um das Werk dieses außergewöhnlichen Schriftstellers abermals zu dechiffrieren. Eine eher kleine Schrift aus dem Jahr 1953 mit dem Titel Bartleby, der Schreiber. Eine Geschichte aus der Wall Street, hat in den letzten Jahren einen exorbitanten Stellenwert zugesprochen bekommen. Von der vermeintlichen Entdeckung einer frühen Form des Burnout Syndroms bis zur Kernschrift von Melvilles existenzialistischem Weltbild reichen die Interpretationen. Wie immer sind die Leserinnen und Leser gut beraten, die Geschichte selbst zu lesen und sich ein eigenes Urteil zu bilden.

Da die Geschichte über keinen Plot verfügt, ist es auch nicht möglich, ihn zu verraten. Der ganze Reiz dieses Textes besteht in der Art der Erzählweise und dem Arrangement von Verwunderung und Befremdung, ohne mit dem Mittel der Spannung arbeiten zu müssen. Bartleby, der Schreiber, um den es geht, arbeitet in einer Anwaltskanzlei an der Wall Street und macht dadurch auf sich aufmerksam, dass er sich sukzessive aller Tätigkeiten, für die er bezahlt wird, mit der Bemerkung, das möchte ich lieber nicht, entzieht. Nicht nur in den Augen des Erzählers, dem Inhaber der Anwaltskanzlei, ist die Verhaltensweise dieses Mannes irritierend. Interessant ist die Reaktion der Umwelt, die nach der Verwunderung zumeist mit dem Ressentiment der bestehenden Ordnung reagiert, aber unterbewusst beginnt, die Formulierungen Bartlebys zu übernehmen und das Zweideutige und Vage einer Handlung in den Vordergrund stellen.

Wie die Leserschaft erst zum Schluss der Geschichte erfährt, war jener merkwürdige Bartleby über lange Jahre in Washington im Dead Letter Office beschäftigt, jener Abteilung der Post, die Briefe an Verstorbene zu verwalten und deren materielle Beigaben abzuwickeln hat. Dieser Hinweis suggeriert in sehr starkem Maße einen Interpretationsansatz, der schlüssig zu sein scheint. Das Wissen um die Vergänglichkeit und die letzten Akte einer nicht mehr erwiderbaren Kommunikation, das in der Figur des Bartleby kulminiert, unterstreicht das Episodenhafte der menschlichen Existenz und seiner Leistungsideologie.

Eine derartige Aussage im Zentrum des Finanzkapitalismus, der Wall Street, mit seiner protestantischen Hochleistungsideologie zu treffen, hat wahrlich eine unerhörte Dimension. Dass Melville für diese Schrift nicht auf der Stelle verhaftet wurde, liegt an ihrer vermeintlichen Profanität, auch wenn die Handlung befremdet. Melvilles Kritik am weltlichen Protestantismus war viel zu subtil, um das Gleißende sofort sichtbar zu machen. Bartlebys höfliche, doch konsequente Form der Arbeitsverweigerung bleibt in ihren existenzialistischen Motiven brandaktuell.

[*] Diese Rezension schrieb: Gerhard Mersmann (2013-06-21)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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