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Rezensionen


 
Thomas Raab - Still

Der Wiener Sänger, Komponist und Autor Thomas Raab hat vor Jahren mit seinem Restaurator Willibald Adrian Metzger und dessen Lebenspartnerin Danjela Djurkovic aus Kroatien literarische Figuren erschaffen, die nach schon vier Bänden nicht nur zu den originellsten der deutschsprachigen Krimiszene gezählt werden müssen, sondern auch zu den erfolgreichsten. Mit seinem speziellen Spürsinn und in einer wie selbstverständlichen, oft völlig sprachlosen Kooperation mit seiner Herzensdame Danjela nimmt Willibald Adrian Metzger, auch kurz nur "der Metzger" genannt, randständige Phänomene seines Alltags wahr und spürt sensibel ihre Unstimmigkeit.

Dann verfolgt er zielstrebig die zunächst noch lockeren und unzusammenhängenden Fäden und stößt mit großer Regelmäßigkeit ziemlich bald in die Mitte eines kriminellen Geschehens vor, das für Thomas Raab immer auch ein Stück seiner österreichischen Heimat und Kultur ist, die er dann mit scharfem und bissigem Humor beschreibt.
Thomas Raab hat einen Stil, in den man sich verliebt, er spielt mit den Worten, hat einfach Freude an ungewöhnlichen Formulierungen und Sprachspielen, mit denen er nicht selten seine Kritik ummantelt.

Mit diesen Leseerfahrungen nahm ich Thomas Raab neues Buch mit dem Titel „Still. Chronik eines Mörders“ in die Hand und war schon nach wenigen Seiten sicher, dass sich Thomas Raab mit diesem wunderbaren Sprachstil, der zeigt, was man mit deutschen Sprache alles machen und ausdrücken kann, welche Poesie und Kraft in ihr steckt, wenn man sie denn beherrscht, noch einmal selbst übertroffen hat. Bis zum Ende eines spannenden und absolut unter die Haut gehenden Buches habe ich diesen Eindruck auf keiner einzigen Seite verloren.

Erzählt wird die Geschichte von Karl Heidemann, geboren 1982 als Sohn einer lauten und exaltierten Mutter, eines wohlwollenden aber schwachen Vaters in einem kleinen Dorf in Österreich mit all den Sozialstrukturen, die sensible Menschen zerstören können.

Karl schreit unaufhörlich. Was niemand zunächst weiß, er tut es, weil er ein extrem sensibles Gehör hat und die Welt ihm eigentlich von Anfang an zu laut und zu viel ist. Er schreit schon als Baby seinen Schmerz in die Welt hinaus, und schon bald wird er von seinen Eltern in den Keller in die Sauna gebracht. Dort in einer regelrechten kindlichen Eremitenexistenz findet er zu sich, auch zu der Stille in sich selbst.

Karl ist ein hochintelligentes Kind, das spürt der pensionierte Nachbar, ein ehemaliger Lehrer sofort und erklärt sich bereit, mit ihm zu arbeiten, weil an einen normalen Schulbesuch gar nicht zu denken ist. Mit wenig Erfolg allerdings, Karl emotionale Bildung bleibt rudimentär. Er entwickelt sich zu einen Soziopathen besonderer Art, einem, mit dem der Leser bei allen furchtbaren Taten, die er fortan begehen wird, immer auch so etwas wie Sympathie empfindet.

Schon bei seiner ersten Begegnung mit dem Tod stellt er fest, dass in diesem Moment, wenn der Tod eintritt, das für den betreffenden Menschen die größtmögliche Stille und deshalb eine Erlösung darstellt. Er stellt regelrechte Forschungen an und beginnt schon als Kind eine Spur von Leichen hinter sich herzuziehen. Niemand ahnt zunächst etwas, außer einem Kommissar, der ihm lange Jahre auf der Spur bleiben wird. Denn Karl verlässt schon bald sein Dorf und seine Heimat, zieht herum, tötet und erlöst und irgendwann, weil er alle Schlechtigkeiten der Menschen hört, wird er auch zum problematischen Richter. Irgendwann lernt er die taubstumme Marie kennen, sein Spiegelbild, die er in sich trägt, auch als er sie verlassen muss und irgendwann in Italien in einem Kloster landet und dort aufgenommen wird. Eine Taubheit vortäuschend, findet er dort seinen Frieden und wird in dem Altenheim, das die Mönche betreuen, zu einem Friedens-und Todesengel zugleich.

Er mutiert zu einem bekannten Künstler, der in seinen Figuren immer wieder Marie abbildet, aber auch die Gesichter der Menschen, die er getötet hat.

Als er nach dem Tod seines Mentors irgendwann beschließt zurückzugehen nach Österreich um seine Marie zu finden, treibt der Roman auf ein sehr überraschendes Ende zu, das man nie erwartet hätte.

„Still“ ist ein Buch mit viel psychologischer Raffinesse, sprachlich auf allerhöchstem Niveau. Es ist ein wahrhaft berauschendes Leseerlebnis, es wühlt den Leser und begeistert ihn immer wieder mit seiner sprachlichen Virtuosität.

Thomas Raab, Still, Droemer 2015, ISBN 978-3-426-19956-5

[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2015-01-20)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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