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Friedrich Stadler - Wissenschaftliche Weltauffassung. Der Wiener Kreis
Buchinformation
Stadler, Friedrich - Wissenschaftliche Weltauffassung. Der Wiener Kreis bestellen
Stadler, Friedrich:
Wissenschaftliche
Weltauffassung. Der
Wiener Kreis

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(Bücher frei Haus)

„Sauberkeit und Klarheit werden angestrebt, dunkle Fernen und unergründliche Tiefen abgelehnt. In der Wissenschaft gibt es keine `Tiefen´, überall ist Oberfläche; alles Erlebte bildet ein kompliziertes, nicht immer überschaubares, oft nur im Einzelnen fassbares Netz. Alles ist dem Menschen zugänglich, und der Mensch ist das Maß aller Dinge“, heißt es im „Manifest“ des Wiener Kreises, der „Wissenschaftlichen Weltauffassung“ von 1929. Die um den später aus Berlin stammenden ermordeten Wiener Philosophie-Professor Moritz Schlick gebildete Gruppe bestand aus Physikern, Mathematikern und Philosophen, die sich gegen Metaphysik und Theologie wandten und mit Hilfe des Logischen Empirismus - der Wiener Spielart des Neopositivismus – versuchten, die Wissenschaft auch dem Laien zugänglich zu machen und für eine wissenschaftliche Weltsicht optierten, die folgendermaßen umrissen wurde: „Die Welt unter verschiedenen Gesichtspunkten zu betrachten, Erfahrungen in Worte zu fassen, sie mit anderen auszutauschen und ihre Sicht der Dinge unter bestimmten Umständen zu ändern“. Diese „wissenschaftliche Haltung“ hätte sicherlich auch als Demokratieübung genützt, wenn in Österreich nicht längst eine klerikal-faschistische Diktatur die Schlinge enger zog: 1934 löste sich der Wiener Kreis bereits wieder auf, seine Mitglieder flüchteten aufgrund des antisemitischen Klimas ins Exil, bevor das Land 1938 dann ganz von den Nazis übernommen wurde und die Deportationen begannen.

Zwischen Wittgenstein und Popper
„Ich glaube das gute Österreichische (Grillparzer, Lenau, Bruckner) ist besonders schwierig zu verstehen. Es ist in gewissem Sinne subtiler als alles andere, und seine Wahrheit ist nie auf Seiten der Wahrscheinlichkeit“, soll Ludwig Wittgenstein einmal geschrieben haben, sicherlich war es aber nicht dieser Satz, sondern sein 1921 erschienenes Werk „Tractatus Logico-Philosophicus“, das die Initialzündung zum Wiener Kreis, der eigentlich schon vor dem (Ersten) Weltkrieg lose bestanden hatte, gab. Friedrich Stadler nennt in seiner Publikation vier Phasen des Wiener Kreises: der Diskussionszirkel mit Frank, Hahn, Neurath und von Mises (1907-1914), die Donnerstags-Treffen mit Moritz Schlick ab 1924, die nicht-öffentliche Phase von 1924-1928, gekennzeichnet durch Kontakte zu Wittgenstein und schließlich die mit der Publikation des oben zitierten Manifests eingeleitete Phase ab 1929, die „öffentliche“ Phase, als dessen Herausgeber der Ernst Mach Verein zeichnete. In diese Phase fielen auch Kontakte zu dem später in England geadelten Sir Karl Popper, einem scharfen Kritiker des Positivismus und „Erfinder“ der Falsifikationstheorie in der Wissenschaft.

Cave Idus Martias
Eine schöne Anekdote aus der Welt der Philosophie schildert oben genannter Popper in seiner Autobiographie, in der er von der einzigen Begegnung zwischen dem enfant terrible der Wiener Philosophie, Ludwig Wittgenstein, und ihm selbst – nicht weniger terrible, noch mehr enfant – in Cambridge 1946 erzählt. Beide Philosophen waren dort im Exil und begegneten sich bei einem Vortrag am King`s College, wobei ersterer letzteren mit einem Schürhaken bedroht habe. Nachdem beide Wissenschaftler in ihren Schriften sich ja der Wahrheit verpflichtet fühlten, könnte man annehmen, dass diese Geschichte auch stimme, aber dann kennt man Popper zu wenig, denn das Münchhausen-Trilemma illustriert allzu gut, dass es keinen privilegierten Zugang zur Wahrheit gibt und man diese nur an ihren Widersprüchen messen könne, genauso wie die Wissenschaft übrigens. Zwischen diesen beiden Antipoden - Wittgenstein und Popper – die nie Mitglieder des Kreises waren, der eine aus Eitelkeit, der andere aus verletztem Narzissmus – gab es noch eine Reihe weiterer illustrer Persönlichkeiten, wie Rudolf Carnap, Herbert Feigl, Hans Hahn, Friedrich Waismann u.v.a.m.. Hervorzuheben vielleicht Otto Neurath, der von Rudolf Carnap („Logische Struktur der Welt“) als „Lokomotive der Bewegung“ bezeichnet wurde und sich mit der logischen Analyse der Sprache ebenso beschäftigte wie mit den Isotypen, also der bildlichen Darstellung wissenschaftlicher Ergebnisse zu Volksbildungszwecken. Von Wittgenstein ausgehend waren sich alle Mitglieder des Wiener Kreises einig darin, dass die Sprache analysiert werden müsste und klarer ausgedrückt werden müsse, was zu sagen sei, wie ja auch aus dem Manifest schon hervorgeht. Der Mathematiker Hans Hahn soll es gewesen sein, der das Werk Wittgensteins in den Kreis eingeführt habe und der Physiker Philipp Frank wiederum, der als Nachfolger Einsteins in Prag lehrte nahm ebenfalls rege am Wiener Kreis teil. Weitere personelle Dependancen des Wiener Kreises – neben Wien und Prag - gab es natürlich zu Berlin, Graz und Budapest.
In dieser Ausgabe des Springer Verlages ist neben dem „Manifest“ auch ein Artikel von L. Mulder, der das Wiener Kreis Archiv in Amsterdam und Haarlem aufbaute, sowie eine aktuelle Studie von Thomas Uebel, der die Erkenntnisse des Wiener Kreises auf den heutigen Stand der Forschung bringt.

Friedrich Stadler/Thomas Uebel
Wissenschaftliche Weltauffassung. Der Wiener Kreis. Hrsg. vom Verein Ernst Mach. (1929)
Springer Verlag Wien/New York

[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2014-12-08)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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