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Literaturforum: auf dem Kaltenbronn (für heiße Tage)


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 Autor
 Thema: auf dem Kaltenbronn (für heiße Tage)
T. Hallscheidt
Mitglied

3 Forenbeiträge
seit dem 18.06.2005

     
Eröffnungsbeitrag Abgeschickt am: 18.06.2005 um 20:20 Uhr

Hier eine kleine Kostprobe von meinem Geschreibe.

Auf dem Kaltenbronn

Was für eine wundervolle Welt! Ein großes, wallendes Tuch, Zuckerhaufen und Tannengespenster in weißen Laken. Postkartenwinter. Man kann sich die Nase daran plattdrücken. Der weiße Schnee, der dunkelblau Himmel, sie verschneiten Tannen, die glitzernden Schneekristalle. Fototapete. Dein Fall ins Kristall. Und jetzt wieder angeblich fremd, so fremd, dass die Augen Tränen weinen vor Rührung. Mit pathetischem Gesicht in der Mitte all dessen sitzen, Unverständlichkeit simulieren und Schönheit in die seelische Fresse kriegen - durch die Augen hindurch. Um den Kopf herum erstreckt sich die unter Zuckerschnee verschüttete NATUR. Naturschutzgebiet. Ein Hochmoor - Mücken im Sommer. Jetzt keine. Ein Flugzeug kratzt an den trägen, dramatischen Wolken mit Gebrumm. Die Stille ist ansonsten von der Art, die in den Ohren piepst, wenn nicht gerade ein Specht kiff-kifft oder ein sonstiges Gevögel Laut gibt. Laubsträucher und Bäume neigen sich schwer unter der Last des Schnees. Selbst der dünnste Ast ist zentimeterdick mit Schneekristallen umwuchert. Zuckerkrusten. Schneekrusten. Krustige Kristallisierung an Fichten, Birken und Moortannen. Als wär´s ein Teil von mir. Als wär´s ein special effekt aus der Traummaschine. Da geht man (mal wieder) staunend, zumindest sich das Staunen einredend, fühlhungrig über einen fremden schwarzwäldlerischen Schneeplaneten. Kurz über dem Kopf schweben ausgefranste, neblige Wolkenbänke vorbei und wischen weiche Löcher ins Moorgehölz. Oder sie stehen tintenschwarz hinter vereisten Tannenwipfeln, die effektvoll von der untergehenden Sonne beleuchtet werden. Die Sonne, das alte Gestirn geht nun prachtvoll zwischen barocken Wolken unter und erzeugt ein Bild, dem ich die dreidimensionale Ausdehnung nicht abnehme, obwohl ich es vielleicht gerne würde: Im Bilde sein! Der Sonne ihr Postkartengehabe abnehmen. Wirkliche Luft atmen! ICH verläßt das Kino und steht im Schnee mit junger herzklopfender Erregung und Freude. Peinlich, peinlich. Oben, hinter dem Netz der vereisten Äste ist der Himmel jetzt coelinblau. Weiß - Blau - Grau. Ein stetiger leichter Nachtwind hat die Schneekristalle an den Bäumen alle in eine Richtung wachsen lassen. Der Versuch, nicht davor zu stehen scheitert - aus Furcht wohlmöglich... Wie soll man das benennen, was verloren gegangen ist, wie soll man beweisen, dass überhaupt etwas verloren gegangen ist - den blanken Augen. Hier steht das Hinweisschild über die Entstehungsgeschichte des Hochmoores. Die Schneedecke hat das Niveau des Waldes um 1,5 Meter aufgestockt. Menschen, Touristen, die der Schneefall der letzten Tage in die NATUR hinausgelockt hat, haben eine 60 cm tiefe Spur in den Schnee getreten. Im Sommer ist dieser Weg mit alten, schlüpfrigen Holzbohlen ausgelegt. Neben der in den weichen Schnee getretenen Spur sinkt man bis zu den Hüften ein. Wenn sich zwei Menschen begegnen muss einer die Spur verlassen und sinkt dann in den Schnee ein, damit der andere vorbei kann. Der vorbeigehende kann dann nach unten schauen auf den Eingesunkenen herab um sich lächelnd zu bedanken. Der Eingesunkene hat verloren und schaut lieber an dem Vorbeigehenden vorbei, scheinbar unberührt. Er schaut auf die NATUR im Schutzgebiet, die tief verschneit ist wie in einer Fernsehreklame. Die NATUR befindet sich hinter einem Geländer zu beiden Seiten der in den Schnee getretenen Spur. Der Moorsee ist zugefroren. Auf dem zugefrorenen See liegt sehr viel Schnee. Die Sonne steht dicht über dem Horizont und wirft lange violettblaue Schlagschatten über die sanfte cremefarbene Dünung der Schneefläche. Unter der Eisfläche ist das Wasser nicht gefroren. Dämmerung ist hier bei vier Grad Celsius. Dunkles Grüngrau in dem die Fische schweben. Große Welse mit langen Bärten, Rotfeder, Brachse und alte, schwere Karpfen, die den Winter unter dem Eis verdämmern. ICH ertrinkt schmerzlos hier unten, hyperreal (so wirklich, wie es nur die seltenen Träume sein können, die einem nach dem Erwachen noch einige Minuten Kraft und Vertrauen zur Bedingungslosigkeit geben) zwischen Algen - mit wachen Augen, veratmet sauerstoffreiches Wasser, erfriert schlafend unter den Schneedaunen zwischen niedrigen Kiefern und braunem Riedgras. Verwandlung. Der Blick über den winterlichen Moorsee in den dramatischen Untergang des fernen Gestirns erinnert jetzt an das Januar-Blatt eines evangelischen Kirchenkalenders. Und lasse Dein Licht leuchten über mir... Unter dem Kopf schlägt irgendwo ein Herzmuskel und pumpt Blut durch die Adern. Hinter dem Brustbein sitzt Weinerlichkeit und echte Sehnsucht in unterschiedlichen, veränderlichen Anteilen.

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