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Literaturforum: Die Lady


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Forum > Prosa > Die Lady
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 Autor
 Thema: Die Lady
vimana
Mitglied

30 Forenbeiträge
seit dem 21.02.2011

     
Eröffnungsbeitrag Abgeschickt am: 04.10.2013 um 14:50 Uhr

Für die Umwohnenden war die alte Dame nur ‚die Lady‘. Schlank, hoch gewachsen und trotz ihres hohen Alters immer aufrecht. Sie wohnte komfortabel, umrahmt von einem weitläufigen Garten. Die Einrichtung hatte schon ihr Großvater von der britischen Insel rüber gebracht. Feine Stores, indische Teppiche und Möbelstücke aus dunklem Edelholz. Westminster. Nach dem frühen Tod ihres Gatten zog sich ‚die Lady’ mehr und mehr in ihre englische Behaglichkeit zurück. Englisch auch ihr Garten, englisch ihre Tee-Zeit, englisch ihre Spleens.
In einem Winkel des Gartendurcheinanders unter Rhododendren, die sich wie Buschwerk eine Anhöhe hoch zogen, war eine verwitterte Grabplatte mit unleserlichen Schriftzügen abgelegt. ‚Darunter ruht mein Mann‘, so ‚die Lady‘. Dabei wusste jeder, dass hierzulande Verstorbene auf dem öffentlichen Friedhof zu ruhen hatten. ‚Da liegt ihr Hund begraben‘, die alten Zwillinge aus dem angrenzenden Haus. Ein kleiner, fetter, wuscheliger Fremdling, dem immer die Haare wie eine Gardine über dem platten Gesicht hingen.
Um siebzehn Uhr war für ‚die Lady‘ Teatime. Ihre angenehmste Zeit des Tages. Pünktlich, ritualisiert. Mit einem silbernen Kännchen, einer Jadetasse aus Sri Lanka und einer gläsernen Zuckerdose aus Thailand. Dabei Gebäck und Whisky. Der kam regelmäßig in einer sorgsam ausgepolsterten Holzkiste immer aus derselben schottischen Distilery. So konnte die alte Dame in einem weichen Ohrensessel alles um sich herum vergessen. Bis die Bedienstete sie bei der Hand nahm und zum Abendbrot führte. Da kamen ihr die Bilder aus der Kindheit, wie sie mit den Eltern, aber auch allein mit einem großen Hund und später mit ihrem Highlander über die grünen Hügel spazierte, entlang den klaren, glatten Lochs schlendern und über menschenleere Höhen wandern. Und immer wieder Schafen, die die Weiten punkteten. . Vor allem konnte sie der Neugier, dem Tratsch, Aufdringlichkeit, und Geschwätzigkeit der alten Zwillingsschwestern von nebenan entkommen..
Wenn andere vorgeben, Stimmen von oben zu vernehmen und mit Verstorbenen in Verbindung zu kommen, so hatte ‚die Lady‘ die Gabe, Stimmen von unten abzulauschen. Und so sah man sie zuweilen über die Grabplatte gebeugt, das Ohr angelegt. ‚Die spricht mit ihrem blöden Hund‘, die Schwestern. Es kam sogar vor, dass ‚die Lady‘ eine Hand gewahrte, die sich unter der Platte ihr entgegen streckte. Und war erst bei sich, als sie von der Dienerin geleitet am Tisch Platz genommen hatte.
An einem kalten Wintermorgen fand man die Zwillingsschwestern tot in den Betten. Beide gleichzeitig. ‚Wie sich das für Zwillingen gehört‘. ‚Die Lady‘. Ein Tag nach der Beisetzung in einem Doppelgrab mühte sich ‚die Lady‘ bei herein brechender Dunkelheit zum Friedhof. Nur mit Mühe vermochte sie die vielen Blumen, Gebinden und Kränze auseinander ziehen, um an die blanke noch frische, aber gefrorene Erde zu gelangen. Dann beugte sie sich ganz tief und drückte ihren Kopf an die Erde. So hoffte sie noch etwas von den widerwärtigen Frauen abzuhören.
Am Morgen fand der Friedhofwärter zwischen Schmuck und Schleifen eine alte Frau hingestreckt über den Gräbern. Blau, starr, erfroren. Mit etwas wie ein Hörrohr in erstarrter Hand. Darauf etwas in Englisch eingeritzt.
‚Die Lady‘ hat der Schlag getroffen und ist dann erfroren. So der Doktor aus der nahen Stadt.

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