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Literaturforum: Saul Friedländer - Franz Kafka


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 Thema: Saul Friedländer - Franz Kafka
ArnoAbendschoen
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Eröffnungsbeitrag Abgeschickt am: 18.02.2014 um 21:51 Uhr

Die amerikanische Originalausgabe von Friedländers Buch trägt den Titel „Franz Kafka. The Poet of Shame and Guilt“. Die deutsche Übersetzung, erschienen 2012 bei C.H. Beck, muss ohne den Untertitel auskommen – das zeugt von einer gewissen verlegerischen Mutlosigkeit, womit man leider die Souveränität und geistige Offenheit des Autors konterkariert. Dabei hatte Saul Friedländer die Vorsichtsmaßnahme aufgrund seines längst etablierten Rufs als Autor nicht einmal nötig. Der israelische Historiker, geb. 1932 in Prag, hat mit „Das Dritte Reich und die Juden“, eines der großen, bleibenden Bücher über den Holocaust geschrieben. Jetzt präsentiert er, der jahrzehntelange Kafka-Leser und –kenner, das Wesentliche seiner Gedanken über den Dichter in einem 250 Seiten starken Buch, das er als „biographischen Essay“ bezeichnet. Die deutsche Ausgabe war noch vor der amerikanischen auf dem Markt und fand bald zahlreiche, überwiegend positive Rezensionen. Dieses Echo allerdings konzentrierte sich seltsamerweise dann doch auf „Scham und Schuld“, und zwar vor allem auf mit der Sexualität zusammenhängende. Damit verzerrte man den Inhalt des Buches in genau in der Weise, die der Verlag mit seiner schamhaft-schüchternen Titelvergabe vermutlich hatte vermeiden wollen.

In der Tat durchleuchtet Friedländer auch Kafkas problematische Sexualität und ihre Auswirkungen auf Leben und Werk. Er kommt dabei zu durchaus nachvollziehbaren, jedoch eben nicht spektakulären, d.h. allzu eindeutigen Festlegungen. Vielmehr sehen wir dank Friedländer insoweit nun einen Komplex von möglichen Ursachen und Wirkungen, der die Interpretation zahlreicher Werke Kafkas bereichern kann, ohne die tradierte grundlegend umzustürzen. Dieses Muster – Kafkas Prosa durch vertiefte Kenntnis seiner Lebensumstände noch besser erklären zu können, ohne den Autor auf etwas bestimmtes Einzelnes sozusagen festzunageln – zieht sich durch das gesamte Buch von Friedländer. Damit steht er selbst in einer Tradition, die Kafkas Werk immer neue Facetten von Interpretationsmöglichkeiten abgewonnen hat.

Friedländer beginnt seine Studie mit einer Untersuchung zur Vater-Sohn-Problematik, erörtert dann die Situation des Judentums damals in Prag wie überhaupt in Mittel- und Westeuropa, und erst Kapitel 3 befasst sich mit „Liebe, Sex und Phantasien“. Dabei sind diese drei grundlegenden Kapitel annähernd gleich lang. Im zweiten Teil setzt Friedländer nacheinander diese Schwerpunkte: das Werk, das auf der vorher beschriebenen Basis entstand (mit besonders ausführlicher Interpretation von „Ein Landarzt“) – das Umfeld, in dem der erwachsene Franz Kafka lebte und schrieb (Umgang mit Zeitgenossen, die politische Geschichte, geistige Einflüsse) – schließlich die Frage, welche existenzielle Bedeutung das Schreiben für Kafka besaß.

Der Autor setzt sich häufig mit der bisherigen Sekundärliteratur zu Kafka auseinander, stimmt zu, widerlegt, schließt sich zum Teil an oder formuliert Fragen. Dieses Verfahren sprengt gelegentlich den Rahmen eines längeren biographischen Essays, nimmt dann Züge eines stark verkürzten wissenschaftlichen Diskurses an, dem ein weniger gut unterrichteter Leser nicht immer leicht folgen kann. An vielen anderen Stellen profitiert er indessen von der gleichen kritischen Methode. Insbesondere wird für ihn deutlich, wie sehr Max Brod das Kafka-Bild über Generationen geprägt und zum Teil auch entstellt hat. (Dennoch schulden wir Brod immerwährenden Dank dafür, dass er den zur Vernichtung bestimmten Nachlass veröffentlicht hat, das wiegt alle Kritik an ihm auf.) Friedländer widerlegt so z.B. die Legende vom zu Sozialismus und Anarchismus neigenden Kafka, die noch Klaus Wagenbach in seiner Biographie von 1964 gern aufgegriffen hat. Kafka, wie ihn die neue Biographie vorstellt, scheint relativ apolitisch gewesen zu sein.

Friedländers Buch ist in bestem Sinne geistig anregend – anregend zur Begegnung oder Wiederbegegnung mit Kafka selbst und anregend dazu, sich mit der zitierten weiterführenden Literatur zu beschäftigen. Saul Friedländer hat ein Buch geschrieben, das fruchtbar werden kann.

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