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Literaturforum: IM NAMEN DES ... - Film von Malgorzata Szumowska


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Forum > Aesthetik > IM NAMEN DES ... - Film von Malgorzata Szumowska
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 Thema: IM NAMEN DES ... - Film von Malgorzata Szumowska
ArnoAbendschoen
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Eröffnungsbeitrag Abgeschickt am: 14.02.2015 um 17:49 Uhr

Dieser polnische Spielfilm überrascht dadurch, dass er sich auf sein Thema und sein Milieu wirklich einlässt. Er präsentiert lebenswahre Figuren und Erzählstränge und vermeidet das allzu Naheliegende: Thesen, Schuldzuweisungen. Da ist ein Realismus der Tiefenschärfe am Werk, jede kleine Sequenz in diesem Bilderbogen aus der polnischen Provinz ermöglicht Entdeckungen. Dabei weisen Dorf und Landschaft noch über sich hinaus, ähneln Gegenden z.B. in Brandenburg. Es ist tiefes Hinterland mit Zeichen des Stillstands, des Niedergangs und zugleich ausgerichtet auf ferne Metropolen. "Illinois" oder "Vancouver" ist auf Textilien aufgedruckt, der Dorfladen nennt sich großspurig nach den Niagara-Fällen – die Baracke wird später abgefackelt. Das Leben verläuft hier zwischen den beiden Polen heimische Tradition und fremdbestimmte Modernität: Kleinbauerntum und Internet, harte Steinbruchsarbeit und Drogen …

Auch Adam, der neue Pfarrer, ein Jesuit in den Vierzigern, ist einer zwischen den Zeiten und Welten. Anfangs scheint er nur Vorzüge zu haben, kann sich auf sanfte Art durchsetzen, seine intellektuell geprägte Religiosität vermitteln. Er hat ein Heim für schwierige junge Männer und Burschen aufgebaut, das er zusammen mit einem Lehrer leitet, erfolgreich, wie es scheint. Seine inneren Konflikte, seine problematische Vorgeschichte werden nur langsam enthüllt. Adam ist homosexuell, ohne es auszuleben, streng zölibatär, unter seiner Einsamkeit leidend. Er wird hier im Dorf scheitern, wie er schon in Warschau gescheitert ist, er wird wieder versetzt werden müssen. Seine Tragik liegt darin, dass ihm durchaus nichts vorzuwerfen ist, nie strafrechtlich und lange auch nicht kirchenrechtlich – es ist seine von Verzicht und geheimer Sehnsucht geprägte Aura, die die Dorfbewohner rätseln, ihn zunehmend misstrauisch beobachten lässt. Aus Rauchzeichen in der Umgebung schließen sie auf geheimes Feuer. Während der Pfarrer asexuell lebt, ist Homosexualität im Heim Praxis. Einer der jungen Männer bringt sich in diesem Zusammenhang um …

Und dann ist da der junge Dorfaußenseiter Lukasz, aus einfachsten Verhältnissen, sein Bruder das, was früher Dorftrottel hieß, und er selbst als Brandstifter und Ausreißer bekannt. Lukasz nimmt als Externer am Leben, Arbeiten und Feiern des Heimes teil, versucht sich zu integrieren. Adam unterstützt das. Lukasz erweist sich als weich, anlehnungsbedürftig, sucht die Nähe des Pfarrers. Zusammengeschlagen rettet er sich nachts einmal ins Pfarrhaus. Es „passiert“ nichts, nur die Geburt der Liebe aus einem Akt karitativer Fürsorge. Später wird Lukasz dem versetzten Pfarrer hinterherfahren und das Versäumte in einer weiteren Nacht nachholen – und am Ende den Zuschauer damit verblüffen, dass er Karriere macht in einer Kirche, wie sie David Berger in „Der heilige Schein“ beschrieben hat.

Der Film hat Höhepunkte, die sich tief einprägen, so originell und kraftvoll sind sie. So wie Lukasz unter Anspannung zum Zündeln neigt, greift Adam dann zum Schnaps. Großartig die Szene, in der er nachts allein im Pfarrhaus zu extrem lauter Rockmusik betrunken tanzt, ein Bild von Papa Ratzinger in den Händen. Noch besser sein alkoholisiertes Selbstouting per Skype gegenüber der Schwester im fernen Toronto. Und ein weiterer Höhepunkt, wenn Lukasz und Adam sich in einem Maisfeld verstecken, einander suchen, nur mit imitierten Affenlauten kommunizierend. Zwischen ihnen wird sonst fast nie gesprochen. So bleiben die Fassaden erhalten, wozu auch gehört, dass der Priester nach beiden Nächten mit Lukasz (der sittsamen wie der sündigen) sich morgens allein auf seinem Nachtlager findet. Der Film teilt vieles zwischen den Zeilen mit, noch in der Schlussszene im Garten des Priesterseminars: All die jungen Männer sind in geistlichem Schwarz, nur einer trägt Zivil, näher bei Lukasz als alle anderen, fast in Tuchfühlung.

Für Adam und Lukasz sind Andrzej Chyra und Mateusz Kościukiewicz die ideale Besetzung. Was ist noch zu rühmen? Die exzellente Kameraarbeit, der kühne und kontrastreiche Einsatz der Filmmusik. Und, noch einmal, dass das Werk weder plädiert noch anklagt, auch nicht die Amtskirche, deren Problembewusstsein wie Hilflosigkeit einfühlsam herausgearbeitet werden. Der Film setzt allein auf die positive Kraft bedeutender Kunst. Dass der europäische Film noch zu solcher Leistung fähig ist, stimmt einen froh.

„Im Namen des …“ nahm 2013 am Wettbewerb der Berlinale teil. Es erhielt damals den Teddy Award. Seit 2014 ist es als DVD erhältlich, sowohl in polnischer Originalfassung mit deutschen Untertiteln wie auch synchronisiert.

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Kenon
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1. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 14.02.2015 um 23:30 Uhr

Vor 20 Jahren wäre so ein Film aus Polen nicht denkbar gewesen. Mittlerweile gibt es ja einige dieser Art wie z.B. "Suicide Room" ("Sala samobójców", 2012), den man sich in voller Länge auf Youtube anschauen kann.

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ArnoAbendschoen
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2. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 14.02.2015 um 23:59 Uhr

Danke für den Tipp, Kenon. Sah gerade einen Trailer von "Suicide Room" und einen Ausschnitt als YouTube-Video - vielversprechend. Zu Letzterem kommentierte neulich ein Thai: "Why are whites so cruel to gay ppl? Such bad radical people ..." Europa heute im Spiegel Südostasiens?

Frau Szumowska hat gerade einen Bären gewonnen für (wieder) gute Regiearbeit in ihrem neuen Film "Body". Dürfte auch sehenswert sein.

Freundlichen Gruß
Arno Abendschön

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Kenon
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3. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 15.02.2015 um 00:12 Uhr

Naja, eine Stimme aus Thailand. In Thailand hat es auch nicht jeder einfach, gerade im bäuerlichen Milieu, das ist dokumentiert. In der Hauptstadt sieht es sicherlich anders aus.

Es freut mich, dass die Szumowska einen Preis gewonnen hat. Sie sieht Ulrike Meinhof verdammt ähnlich - was aber nicht Grund der Freude ist.

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ArnoAbendschoen
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4. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 15.02.2015 um 00:48 Uhr

O, Frau Szumowska ist viel hübscher als die Meinhof und auf eine wohltuende Weise lebendiger im Auftreten.

Zum Thema Thailand: Es gibt ja die Theorie, dass die Homophobie in Asien ein europäischer Import sei (via Kolonialismus im 19. Jahrhundert). Daran könnte etwas sein, meiner Meinung nach. Und in Weerasethakuls "Tropical Malady" sind gerade die Verhältnisse auf dem Land ziemlich entspannt.

Arno Abendschön

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