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Literaturforum: November 2016


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Heute ist der 129. Geburtstag von Ernst Jünger.

Forum > Lektüregespräche > November 2016
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 Thema: November 2016
Kenon
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Eröffnungsbeitrag Abgeschickt am: 06.11.2016 um 12:40 Uhr

Helmuth Kiesel - Ernst Jünger: Die Biographie.

Ungewöhnlich vielleicht, aber Ernst Jünger begegnete mir als Referenz das erste Mal in Albert Hofmanns "LSD - Mein Sorgenkind", das ich als Gymnasiast tief vergraben in der ostdeutschen Provinz las. Der Name Jünger war gemerkt, doch schien mir der ebenfalls in diesem Buch erwähnte Aldous Huxley interessanter, so dass ich zunächst einige seiner Werke las. Wie vieles in meinem Leben lässt sich die lange Unkenntnis des großen deutschen Schriftstellers Ernst Jünger mit meiner Herkunft aus dem traurigen Teil Deutschlands begründen. Dort war Jünger eine Persona non grata, wurde nicht gedruckt und damit kein Thema. Dadurch stand er in einer Reihe mit Friedrich Nietzsche, George Orwell, Jean-Paul Sartre und vielen anderen. Selbst Franz Kafka galt als gefährlich und man druckte ihn erst sehr spät und ziemlich widerwillig. Die Früchte dieser gezielten langwierigen geistig-moralischen Austrocknung, ich muss sagen: Verwüstung, sehen wir noch heute - nicht nur in Dresden.

Während meines Architektur-Studiums, als ich gerade die Existentialisten "durch" hatte und nach neuen Ufern Ausschau hielt, kam es zu einer ersten Berührung mit Jüngers Büchern. "Strahlungen", "Das abenteuerliche Herz", "Auf den Marmorklippen", "Gläserne Bienen", "Heliopolis. Rückblick auf eine Stadt" - das waren phantastische Namen, die mich im gewaltigen Betonbau der Braunschweiger Universitätsbibliothek freundlich wie ein warmes Mittelmeerlüftchen anwehten, sofort zu lebendigen Bildern im Kopf wurden und zum baldigen Lesen einluden. Leider reichten die Bücher nie an das heran, was mir ihre besonders fein gewählten Titel versprachen: Die Bücher schienen mir atemschwach, ohne reizvolle Gedanken, ohne nachvollziehbare Handlung und bewirkten bei mir nichts anderes als Langeweile und einige Enttäuschung. Allein die "Afrikanischen Spiele", die Erzählung, in der Jünger seine frühen Erfahrungen mit der Fremdenlegion in Nordafrika verarbeitet, er also die Suche nach einem seinem Naturell gemäßen Platz auf diesem Planeten darlegt, blieben in besserer Erinnerung.

Noch einmal einige Jahre später, und es war mir wichtig, nicht die unhistorisch wirkende Klett-Cotta-Ausgabe dabei zu benutzen, die mich schon durch ihr damals halb ätherisches Cover abstieß (heute schmückt sie ein Insekt), sondern eine zeitnahe, in Fraktur gesetzte - las ich dann dieses so verruchte "In Stahlgewittern". Die Eindrücke habe ich seinerzeit in einer Rezension geschildert. Durch den Jünger-Biographen Kiesel weiß ich nun, dass dieses Buch viele Umarbeitungen erfuhr und ihm dadurch immer wieder eine etwas andere Farbe gegeben worden ist. Das hat mich erstaunt. Ich sehe ein literarisches Werk eher als etwas, das man einmal hinwirft und was man dann so liegen lässt. Es ist entäußert und gehört einem gewissermaßen gar nicht mehr ganz selbst. Man kann es gern noch kommentieren, sich hinterher vielleicht auch von ihm distanzieren, wenn man darin einiges oder sogar alles für misslungen, peinlich, dumm usw. hält - aber daran herumzuschneiden wie an einem englischen Garten - das fühlt sich nicht authentisch an, eher wie Manipulation und das Verwischen von Spuren: Unwahr.

Kiesel versucht in seiner Biographie, Ernst Jünger im zeitgeschichtlichen Kontext zu sehen und so ein wenig zu pardonieren, wobei er immer wieder darauf verweist, dass auch ein (leider) weithin als hoch angesehener Literat wie Thomas Mann in seinen "Betrachtungen eines Unpolitischen" vom Krieg als einer Veredelung und Verfeinerung des Menschen spricht. Das Argument ist, auch wenn es häufig wiederholt wird, nicht besonders überzeugend und eher schwach: Nur weil ein anderer Mensch ähnlichen Unsinn von sich gegeben hat, macht es die vergleichbaren Verfehlungen eines weiteren Menschen nicht weniger schwer. Allerdings positioniert sich Kiesel klar und nennt das nicht hinnehmbare stets bei seinem Namen.

Es macht Freude, mit Kiesel - und er ist in seinen Schilderungen sehr sorgfältig und bereichernd tiefgehend - die Entwicklung, das Reifen, das Wesen des Literaten Ernst Jünger zu verfolgen.

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ArnoAbendschoen
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1. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 07.11.2016 um 23:30 Uhr

Kenon, ich kann dir versichern, auch im Westen Deutschlands war Jüngers Werk jahrzehntelang überwiegend nicht geschätzt, sogar sehr unwillkommen. Gewiss war das nicht nur ein gradueller Unterschied, sondern auch einer in der Methode. Jünger wurde bei uns zwar gedruckt, aber durch Nichtbeachtung oder Naserümpfen um den Großteil möglicher Wirkung gebracht. Im Deutschunterricht der Oberstufe fiel nicht einmal sein Name! Und das in einem Bundesland mit damals absoluter CDU-Mehrheit und einer konservativ-reaktionären Kultusbürokratie, die einen Franco-Anhänger als Gymnasiallehrer ganz unproblematisch fand - für den seinerseits Jünger nicht zu existieren schien.

Für mich ist Jünger bis heute im Wesentlichen nur weißer Fleck. Ich suche also in meinem Buchbestand etwas von ihm und finde u.a. das über den 1. Weltkrieg:

"Die Schlacht ist ein furchtbares Messen der Industrien und der Sieg ein Erfolg der Konkurrenz, die schneller und rücksichtsloser zu arbeiten versteht. Hier deckt das Zeitalter, aus dem wir stammen, seine Karten auf. Die Herrschaft der Maschine über den Menschen, des Knechtes über den Herrn wird offenbar, und ein tiefer Zwiespalt, der schon im Frieden die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ordnungen zu erschüttern begann, tritt auch in den Schlachten tödlich hervor. Hier enthüllt sich der Stil eines materialistischen Geschlechts, und die Technik feiert einen blutigen Triumph ..."

Das ist zwar nichts wirklich Originelles, es ist auch nicht literarisch brillant - aber es ist mir nicht unsympathisch.

Mal sehen, ob du uns noch Weitereres aufgrund deiner jetzigen Lektüre berichten kannst. Wie aktuell kann Jünger noch sein?

Arno Abendschön

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Kenon
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2. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 08.11.2016 um 09:04 Uhr

Der wesentliche Unterschied ist doch, dass die oben von mir genannten Autoren in der BRD gedruckt werden durften, man für den Besitz ihrer Bücher nicht mit empfindlichen Nachteilen bis zum Freiheitsentzug rechnen musste und es auch eine nennenswerte Anzahl an Lesern gab.

Um etwas objektiver zu sehen, inwiefern Ernst Jünger kein Thema war, könnte man sich die Auflagen / Verkaufszahlen seiner Werke anschauen und z.B., welche davon überhaupt in großen Zeitungen, Magazinen etc. besprochen worden sind. Diesen Beitrag kann ich leider nicht leisten, aber zu seinem Werk "Strahlungen" (1949) habe ich bei Wikipedia gefunden, dass es mit einer Auflage von 20.000 Exemplaren im Erscheinungsjahr bereits zu seinen erfolgreichsten gehört. Das ist nicht viel, jedoch deutlich mehr, als ein Lyriker absetzen kann, und damit auch nicht nichts.

In Wilflingen saß Ernst Jünger mit Theodor Heuss, Helmut Kohl, Francois Mitterrand, Heiner Müller und Jorge Luis Borges zusammen (
Weltgeist mit Blutwurst
, Der Tagesspiegel, 28.03.2011) - er war also sicher kein Aussätziger, zumindest in diesem Kreis. Helmut Kohl hat ihn sehr geschätzt, ich meine, öfter gelesen zu haben, Jünger sei sogar sein Lieblingsschriftsteller gewesen, finde dafür aber jetzt keine direkten Belege:

Zitat:

Bundeskanzler Helmut Kohl schrieb, Jünger habe sich zeit seines Lebens "seinen unabhängigen und unbeugsamen Geist bewahrt - auch in Deutschlands dunkelsten Stunden, in denen freies Denken als Verbrechen angesehen wurde". Jüngers Werk zähle zum "zeitlosen Bestand der deutschen und europäischen Literatur"

Ein Freund Frankreichs: Ernst Jünger, Die Welt, 19.02.1998

Die Frage nach der Aktualität finde ich schwer bis unmöglich zu beantworten. Schriftsteller wie Ernst Jünger oder Joseph Roth sind für mich in erster Linie Zeitzeugen, die, weil ich historisch interessiert bin, mir auf jeden Fall etwas mitzuteilen haben.

Was macht einen Autoren denn "noch aktuell"? Wenn er Allgemein-Menschliches schildert, man dadurch Bezüge zur Gegenwart herstellen kann? Joseph Roth einen Mob beschreibt und man einsieht: Ja, das gibt es heute auch noch?

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ArnoAbendschoen
Mitglied

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3. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 08.11.2016 um 11:44 Uhr

Kenon, es hat bei der Rezeption Jüngers im Westen natürlich ein gewisses Auf und Ab gegeben. Unmittelbar nach dem Krieg war er noch stark vernetzt und außerdem berühmt-berüchtigt. Nach meinem Eindruck waren dann gerade die 1960er Jahre der absolute Tiefpunkt. Man kann das auch an der von Jahrzehnt zu Jahrzehnt stark schwankenden Zahl seiner Publikationen erkennen, ebenso an den Orden und Ehrungen (für beides gute Übersichten bei Wikipedia). In den 1970er Jahren und vor allem nach dem Goethepreis 1982 ging es dann wieder steil bergauf. Somit bin ich also in einer Zeit geprägt worden, in der Jünger so gut wie kein Thema war.

Eine interessante Frage, hier aber nicht einmal ansatzweise zu beantworten, vor welchem zeitgeschichtlichen Hintergrund sich die spätere Jünger-Renaissance entwickelte. Wo gibt es da in der Tiefe Querverbindungen?

Arno Abendschön

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