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Literaturforum: Der Fremde am See - Film von Alain Guiraudie


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 Thema: Der Fremde am See - Film von Alain Guiraudie
ArnoAbendschoen
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Eröffnungsbeitrag Abgeschickt am: 22.02.2017 um 17:34 Uhr

Das ist ein mutiger Film. Das sagt sich so leicht, dass es längst zur Phrase verkommen, alles andere als den Mut eines Rezensenten zu beweisen scheint. Hier liegen die Verhältnisse einmal anders, und das liegt weniger am Stoff als an seiner Darbietung. Dass einer sich in einen Mörder verliebt, kann vorkommen. Die Bühne, auf der das im Film geschieht, ist das eigentlich Spektakuläre. Der junge Franck (Pierre Deladonchamps) betritt sie an zehn aufeinander folgenden Tagen als eine Welt mit Strukturen und Gesetzen ganz eigener Art. Auf sie reagiert er seinem Wesen entsprechend, erlebt Krisen, steht vor Entscheidungen und nimmt eine Haltung ein, die außerhalb von ihr nur schwer vorstellbar wäre.

Franck besucht an diesen Sommertagen immer wieder einen Bergsee in der Provence. Der FKK-Strand an ihm wird ausschließlich von homosexuellen Männern aufgesucht, die dort nicht nur baden und sich sonnen, sondern auch intensiv cruisen. Ihre verschiedenen Aktivitäten werden uns vom Film ebenso exakt wie stoisch vor Augen geführt. An der Darstellung ist dennoch wenig Pornografisches, sie ist nicht einmal erotisierend. Sie ist auch nicht kritisch wertend. Sie berichtet insofern nur, wie es ein Naturfilm, sagen wir von den Galapagos-Inseln, tun würde. Und in dieser reinen Naturkulisse treten dann im Verlauf der Handlung existenzielle und ethische Probleme auf, die Franck zunehmend überfordern.

Er macht bald zwei neue Bekanntschaften. Der bisexuelle Henri (Patrick d’Assumçao) legt keinen Wert auf Sex, angeblich will er nur in Ruhe am See sitzen und sich vielleicht mal unterhalten. Für Letzteres eignet sich Franck, unkompliziert freundlich und offen, sehr gut. Die beiden freunden sich platonisch an, doch Franck kann sich nicht ausreichend um den wesentlich älteren, in einer Lebenskrise steckenden Mann kümmern. Er selbst ist jetzt fasziniert von Michel, der Titelfigur des Filmes (Christophe Paou). Ihm nahezukommen, ordnet er alles unter, auch dann noch, als er heimlich Zeuge wird, wie Michel den eigenen Freund beim Baden ertränkt. Franck tritt rasch dessen Nachfolge an. Erst als die Wasserleiche gefunden ist und die Polizei ermittelt, sprechen die beiden über den Mord. Michel kann vermuten, dass Franck die Tat beobachtet hat und ihm dennoch verfallen bleibt. Franck kooperiert nicht mit der Polizei.

Die Handlung spitzt sich zu. Henri lässt erkennen, dass auch er den Täter kennt und wird daraufhin von Michel getötet. Dann die Schlussszene mit halb offenem Ende: Michel hat einen dritten Mord begangen und sucht Franck, der sich im Wald vor ihm versteckt. Diese Szene hat eine auffallende Parallele zu Dolans drittletzter Einstellung in „Tom à la ferme“, bis in den Monolog des Verfolgenden hinein. (Beide Filme, die u.a. von der Faszination des Bösen handeln, kamen 2013 kurz hintereinander heraus und erhielten überwiegend positive Kritiken.) Anders als Tom entkommt Franck wohl nicht. Er trifft seine Entscheidung nur aus dem Gefühl für Michel heraus, das immer noch stärker ist als Existenzangst und Grauen.

All das ist vorzüglich in Szene gesetzt. Der Film kommt ohne Musik aus, setzt atmosphärisch ganz auf Licht und Wind und die Südalpen-Naturszenerie. In sie hermetisch eingeschlossen spielt sich dieses Drama ab, die Geschichte einer übergroßen Anziehung, der gegenüber Moral wie Zukunft bedeutungslos werden. Es vermittelt eine Ahnung von Umfang und Tiefe jener Welt des Realen, die sich abseits kultureller Konvention und Kodifikation erstreckt. Ja, „L’inconnu du lac“ wagt viel und gewinnt und überzeugt ästhetisch umso mehr. Der Streifen, auch von Arte France unterstützt, spricht für die reife Filmkultur Frankreichs. Das ist zum Glück kein Tendenzfilm, keiner, der um Verständnis oder gar Sympathie werben will. In Cannes hat er 2013 in der Reihe „Un Certain Regard“ den Preis für Beste Regie bekommen.

Nachbemerkung: Gerade diesen Film möglichst in der Originalfassung mit Untertiteln ansehen. Die Biederkeit der Synchronisation zerstört hier wie so oft einen Großteil der dichten Werkatmosphäre.

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