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-- Prosa
--- Zwischen Wolkenkratzern und Klingelbeutel

1943Karl - 10.11.2011 um 11:03 Uhr

Wenn ich ehrlich bin, wäre ich gern bedeutend. Vollkommen bedeutungsvoll - am liebsten.. Und wäre mir dieser Wunsch nicht so ungeheuer peinlich, könnte ich längst eine Berühmtheit sein.
Jedenfalls muss ich mich allmählich beeilen. Immerhin werde ich im nächsten Jahr bereits neundundsechzig, also fast siebzig. Und will ich zu Lebzeiten noch etwas von meiner Bedeutung haben, sollte ich jetzt… Ja, was sollte ich eigentlich.

Meine Großmutter, die gern reich geworden wäre, war sich absolut sicher, ich müsste einst Bankdirektor werden und teure Zigarren rauchen.
Meine Mutter wollte mich lieber als Nichtraucher, traute sich aber nicht einmal bei der Aufführung der Schultheatergruppe in einem Stück gegen Alkohol und Nikotin meinen – zugegeben allzu kurzen - Auftritt zu beklatschen. Ich spielte damals einen Jungen, dem beim heimlichen Rauchen mit Gleichaltrigen schlecht wurde.
Und mein Vater? Der schämte sich sogar, während des Gottesdienstes mit dem Klingelbeutel herumzugehen, da er fürchtete, die geizigen Gemeindemitglieder würden ihm nur kleine und kleinste Münzen hineinwerfen.
Gut, das ist alles ziemlich lang her. Aber ihre Wünsche und Hemmungen wirken halt nach, obwohl die Drei längst starben, ohne sonderlich bekannt geworden zu sein, genau wie mein von mir verehrter Großvater, seines Zeichens Bauschlosser. Er sah mich als berühmten Architekten, der in Amerika die höchsten Wolkenkratzer bauen würde.
Somit ist es kein Wunder, dass ich so hoch hinaus will.
Doch ich habe weder Bauwesen studiert noch kann ich mit Geld gewinnbringend umgehen.
Ich habe mein geregeltes Auskommen, zwei komfortable Renten, die ich nach langer bürokratischen Tätigkeit in städtischen Verwaltungen erwarb. Bis auf ein paar administrative Ungeschicklichkeiten gelang mir während meiner Beruftätigkeit nichts Skandalträchtiges, was annähernd dazu beigetragen hätte, wenigstens berüchtigt zu sein, denn nicht ein einziges Mal hat jemand ernsthaft versucht, mich zu bestechen.
Nun bin ich im Innersten ohnehin kein Bürokrat, sitze allerdings im so genannten Ruhestand immer noch am Schreibtisch und schreibe Geschichten und Gedichte über absonderliche Antihelden und Versager Und ausgerechnet die sollen mich möglichst bald berühmt machen.

Sogar Leser und auch Leserinnen gibt es, die mich und meine Ergüsse loben. Nur leider viel zu wenige.
Das macht dennoch Hoffnung.
Und so nahm ich mir kürzlich vor, nur noch Sätze zu schreiben, die wenigstens klingen, als habe sie einer der ganz großen Schriftsteller verfasst. Geschwollen, zugleich bescheiden intellektuell und irgendwie voll hintergündigstem Humor wie: Unsereins muss ganz einfach an Wiedergeburt glauben, versicherte die Eintagsfliege.

Da mein Leben schon relativ lang anhält, droht mir eher ein langweiliger Tod, wenn ich nicht wenigstens einen spektakulären Selbstmord hinbekomme. Aber wegen der vielen Selbstmordattentäter erregt eine einfachere Selbsttötung kaum noch Aufsehen.
Und da ich eher nicht zu Taten neige, die mir fragwürdiges Ansehen einbringen, bleibt mir eher ein unübersehbarer Erfolg auf gesetzlich einwandfreiem Terrain.
Als Lebensretter könnte ich mir einen unsterblichen Namen machen. Aber dafür müsste ich erst einmal jemanden finden, der sich ausgerechnet von mir retten lassen will.
Als weiser Denker könnte ich mich wahrkich besser präsentieren.
Auch ein guter Ruf entsteht eben nur durch viel Gerede.
Also sollte ich hier ein paar Sprüche anfügen und warten, ob sie für meine Berühmtheit taugen:
Wer glaubt, stets aus der Vergangenheit zu lernen, hat nichts aus der Vergangenheit gelernt.
Oder:
Zu jeder Schreckschraube gehört in der Regel eine passende Mutter.

Oder lieber selbstkritischer:

Wer sich nicht selbst in Frage stellt, verpasst die besten Antworten.

Und jetzt? Jetzt hilft nur noch Warten…




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