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-- Aesthetik
--- Zoologisches im Film - Ein Beispiel

ArnoAbendschoen - 18.02.2015 um 10:32 Uhr

Die Berlinale 2015 brachte der polnischen Filmemacherin Malgorzata Szumowska einen Silbernen Bären in der Kategorie Beste Regie ein, und zwar für ihren neuesten Film „Body“. Hervorragende Regiearbeit war schon an ihrem Film davor zu bewundern: „Im Namen des …“, vorgestellt auf der Berlinale 2013. Szumowska wusste darin nicht nur ihre Darsteller optimal einzusetzen, sie verstand sich auch darauf, Tiere – sowohl Haustiere wie wilde – geschickt in die Handlung einzubeziehen. Das reicht vom bloß Atmosphärischen bis hin zur Tiersymbolik. Zum einen wird dadurch das ländliche Milieu, in dem der Film spielt, stärker betont, zum anderen erfolgen so diskrete Hinweise auf sozialen oder religiösen Kontext. Einige Beispiele dafür.

In einer der ersten Szenen bringt Lehrer Michal bei Tisch einen mit dem Essen unzufriedenen
Zögling durch ein Sprichwort zur Raison: „Wenn ein Hund frisst, dann bellt er nicht.“ Der Gescholtene grimassiert daraufhin wie ein Hund. Ihm ist seine untergeordnete Rolle klargemacht worden, er akzeptiert sie widerwillig. Echtes Hundegebell ertönt im weiteren Verlauf dann oft wie dissonante Filmmusik, z. B. wenn die Insassen des Jugendheimes sich mit der Ortsjugend prügeln. Vergegenwärtigen wir uns, dass die Erziehungsanstalt kirchlich ist und Hunde im Alten wie Neuen Testament eine schlechte Presse haben.

Lukasz, der spätere Geliebte des Pfarrers, tritt zuerst mit einer Kuhherde auf. Er treibt sie dicht an den Heimbewohnern vorbei, die gerade Fußball spielen. Er ist der Hirt, der aus seiner archaisch engen Welt ausbrechen, sich einer problematischen Moderne anschließen will. Wenig später darf er mit den anderen Fußball spielen, das ist der Anfang seiner Einbindung. Doch das Muhen und Brüllen von Kühen begleitet ihn noch und erklingt wie zum Abschied - ähnlich dem Herdenglockenklang in Mahlers Sechster, dritter Satz -, als er Mutter und Brüder verlässt und in die Welt aufbricht. Er scheint das friedvolle Geräusch mitzunehmen, man hört auch Kühe, als Adam, der erneut versetzte Pfarrer, nach seiner ersten und vielleicht einzigen Liebesnacht mit Lukasz wieder allein daliegt. Lukasz ist schon fort, aber der Frieden, den er gebracht, geblieben.

Die symbolische Bedeutung einer schwarzen Katze kennt man. Hier im Film kreuzt sie die Straße, wenn Michals Auto sich rasch dem am Straßenrand parkenden Adams nähert. Michal fährt langsamer, schaut hinüber und sieht, wie sich im Wagen drüben die Köpfe des Pfarrers und Lukasz’ berühren. Er schöpft Verdacht, wendet sich an den Bischof. Die Katze kam übrigens von rechts, zum Glück nicht von links, von Adam aus gesehen. Sein Unglück hält sich tatsächlich in Grenzen. So viel von den Haustieren.

Die Ameisen haben ihren ersten Auftritt gleich zu Beginn. Die Dorfkinder zwingen Lucasz` geistig behinderten Bruder Marcin, Ameisen zu essen, dann beschimpfen und schlagen sie ihn. Die Szene spielt auf einem verwahrlosten Friedhof. Ist er nicht jüdisch? Dazu gibt es antisemitische und weitere herabsetzende Sprüche. Der jüngste der drei Brüder, selbst noch Kind, tötet später Ameisen vor ihrer Haustür durch gezielte Tritte. Lukasz sitzt auf einem Stuhl daneben, die Mütze über die Augen herabgezogen. Wohl vergeblich hat er dem Kleinen vorher Achtung vor der Kreatur beizubringen versucht. Das ist eine der poetischsten Stellen des Filmes: wie sie bewundernd die Schnecken betrachten, die sich auf einer Fensterglasscheibe angesiedelt haben. Die Ameise steht schon in der Bibel für Fleiß und Klugheit (Sprüche Salomos 6,6). Und die Schnecken? Ihr Bedeutungsradius ist weiter gezogen. Er reicht von Langsamkeit und Sensibilität über Wollust bis hin zur Verkörperung von Wiedergeburt und Erneuerung – und gerade von Letzterem spricht der Pfarrer in einer seiner autobiographisch inspirierten Predigten. Und noch ein christlicher Schlüssel: die Schnecke, im Frühjahr ihr Gehäuse sprengend, als Auferstehungssymbol. Dieses Motiv wird aufgenommen, wenn Lukasz und Adam sich endlich nahekommen und in betont langer Einstellung ihre Kleidung mühsam ablegen.

Frau Szumowska setzt sogar mit Erfolg eine Stubenfliege ein, um die Handlung symbolisch aufzuladen. Dies geschieht genau viermal (- und darüber hinaus hören wir Fliegengesumm wiederholt nur als Hintergrundgeräusch, wenn tabuisierte Sexualität in der Luft liegt.) Beim ersten Mal belästigt eine Fliege den nachts wach liegenden Adam, er verscheucht sie und plötzlich steht Lukasz erstmals vor seiner Tür, nach einer Schlägerei blutend, und muss versorgt werden. Die Fliege ist wieder zur Stelle, als Lukasz später im Auto einen schüchternen Annäherungsversuch unternimmt. Und sie spaziert über Monitor und Tastatur, als Adam sich per Skype seiner Schwester in Toronto offenbart. Beim vierten Mal – es ist am Morgen nach ihrer ersten Vereinigung – lässt sich die Fliege erstmals auf Lukasz nieder, der sie mit einer Handbewegung verjagt, wozu beide amüsiert lächeln. Sie scheinen zu wissen, dass die Fliege in der christlichen Dämonologie traditionell als Begleiterin des Teufels angesehen wird: Beelzebub als Herr der Fliegen. Und sie setzen sich jetzt darüber hinweg: Fliegengesumm in ihren Ohren die Reste überlebter Moral. Die Reaktionen konservativ-kirchlicher Kreise in Polen auf den Film fielen dennoch oder gerade deshalb ungnädig aus.

(Hinweis: Zum Film „Im Namen des …“ allgemein gibt es gesondert eine Rezension von Arno Abendschön, ebenfalls hier veröffentlicht.)




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