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--- Sleepless Knights - Film von Butzmühlen / Diz

ArnoAbendschoen - 08.10.2015 um 22:37 Uhr

Wer sich vorab nicht für die Filmemacher interessiert und das Werk aus 2012 insoweit ohne Vorkenntnis ansieht, kann es leicht für ein rein spanisches Produkt halten. Doch nur die Co-Regisseurin und Co-Autorin Cristina Diz kommt ursprünglich aus Spanien, Stefan Butzmühlen und der Kameramann Stefan Neuberger sind Deutsche. Dafür ist die Besetzung im Wesentlichen rein spanisch, darunter viele Laiendarsteller aus der ländlichen Extremadura. Diese sommerlich ausgedörrte Binnenregion an der Grenze zu Portugal sowie ein größeres Dorf in ihr sind jedoch die eigentlichen Hauptfiguren des Films. Die Bühne selbst ist hier bedeutender als das Geschehen auf ihr. Wem das Narrative an einem Film das Wichtigste ist, kann von diesem Film enttäuscht werden. Wer aber Sinn für Atmosphäre hat, wer poetischen Realismus im Film liebt, wird hier voll auf seine Kosten kommen. Die Bildersprache ist von außerordentlicher Kraft und Schönheit.

Wie die Filmemacher an ihre Arbeit herangingen, erläutern sie selbst im Presseheft des Verleihers und Produzenten (Salzgeber und Co. Medien GmbH) so: „In den Vorbereitungen hat unser Kameramann uns gefragt, ob wir uns die Szenen, die wir ihm per Skype beschrieben haben, wie Gemälde vorstellen. Wir dachten an Bilder, die für sich existieren. Wir wollten experimentieren: Sehen, was passiert, wenn wir sie nacheinander reihen, wenn wir beim Schreiben eher über konkrete Bilder als über eine Geschichte nachdenken und später diese Bilder montieren. Erst im Montageprozess haben wir uns mit der dramaturgischen Aufgabe jeder Szene innerhalb des Films auseinandergesetzt. Wir haben das Material beobachtet und uns langsam der Vorstellung angenähert, was unser Film eigentlich sein kann.“ Das Ergebnis dieses Verfahrens kann sich sehen lassen. Mit diesen Bildern kann man sich eins fühlen, so suggestiv und zugleich kontemplativ wirken sie auf den dafür aufgeschlossenen Zuschauer. Oft fühlte sich der Rezensent an Weerasethakuls „Tropical Malady“ erinnert.

Die beiden jungen Hauptdarsteller wurden in Madrid engagiert. Raúl Godoy ist Carlos, er kommt 2011 für einen Sommermonat heim ins Dorf, scheint seine Arbeit in Madrid infolge der Wirtschaftskrise verloren zu haben. Denkt er ans Auswandern nach Deutschland? Sein dementer Vater und der ihm sehr fremde Bruder sind Schafzüchter. Carlos hilft ihnen ein wenig und arbeitet abends hinter dem Tresen einer Bar im Dorf. Dort begegnet er Juan (Jaime Pedruelo), einem Polizisten, der eben aus Madrid hierher versetzt wurde. Die beiden kommen sich rasch nahe, werden ein Paar. Das wird nur beiläufig erzählt, in scheinbar zufällig aneinandergereihten Szenen von großer Innigkeit.

Die zweite, davon strikt losgelöste Handlung besteht im Nachspielen einer mittelalterlichen Legende durch ein gutes halbes Dutzend alter Männer aus dem Dorf. So sonderbare und zugleich lebensechte Rentner sah man lange nicht im Film. Wie sie zusammensitzen, Fische braten, Lieder singen, Gedichte vortragen – und wunderschöne, poetische! Dann binden sie Schafen Taschenlampen auf den Rücken und treiben die Herde in beginnender Nacht zur Ruine einer Burg hinauf …

Eingebettet sind diese beiden im Film nur skizzierten Handlungen in Alltagsszenen aus dem Dorf. Das ist ein Mikrokosmos vom Rand Europas, seltsam fremd in unserer Zeit. Ist er ein Relikt der Vergangenheit? Oder sich abzeichnende Zukunft? Vielleicht ist er nur ein Fluchtort.




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