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--- Tiefer in den Wald hinein

ArnoAbendschoen - 15.11.2016 um 17:01 Uhr

Berliner am Wochenende – manche von ihnen fahren ja gern aufs Land. Und was treiben sie so, da draußen in Brandenburg?

In der Heidekrautbahn sitzt gegenüber ein Paar in den Siebzigern und schaut ruhig auf die vorbeiziehenden Wiesen, Felder und Wälder, anfangs dem äußeren Anschein nach von ähnlichen Gefühlen bewegt. Hört man auf ihr ab und zu ein- und dann wieder aussetzendes Gespräch, wird aber bald deutlich: Philemon und Baucis sind nicht immer derselben Meinung. Der alte Mann erkennt freudig vieles wieder, das ihm von früher bekannt, während die Gattin zunehmend skeptisch hinausblickt. Er registriert auch Veränderungen an den Ortsbildern, mal zustimmend, mal betrübt - und immer neugierig. Die Fabrik hier, sagt er, ist auch stillgelegt. Oder: Was bauen sie denn jetzt da? Und: In der Ecke bin ich oft gewesen … Das entlockt ihr nun doch eine Entgegnung: Also ich möchte da nicht wohnen, da gibt es ja nichts … Und als die Landschaft hinter Klosterfelde immer weiträumiger wird, auch den Blick weitend, das Herz hebend, und er sein Auge unbestimmt schwärmerisch in die grüne Ferne richtet – sagt sie spitz, in Gedanken schon auf der Rückfahrt nach Berlin: Also mir hätte ein Gang daheim um den Weißensee auch genügt … An der Endstation steigen sie in den Bus zum Wildgehege, um Wildschweine und Wölfe anzusehen. Und vielleicht kommen sich die beiden dabei wieder näher.

Ganz anders das junge Paar aus Berlin, das einem Stunden später bereits von weitem auffällt. Die Landstraße verläuft hier schon ein Stück durch die große, dunkelgrüne Schorfheide. Sie haben gerade ihr Auto am Straßenrand abgestellt, gehen um ihr Gefährt herum, fangen plötzlich an, an den Wagentüren herumzufingern. Dann lassen sie das Auto stehen und gehen die einsame Straße entlang, dem fremden Fußgänger entgegen. Voller Erwartung blicken sie ihn an, seltsam hoffnungsfroh. Sie haben sich, sagen sie, eben selbst ausgeschlossen – wären sie doch nur nicht ausgestiegen, bloß auf eine Minute, und das Handy natürlich im Wagen. Er soll also für sie den ADAC anrufen? Sie würden es auch gern selbst besorgen – ja, wenn er nur ein Telefon dabeihätte … Etwas ist immer, dichtete Tucholsky, mal fehlt uns der Wein, mal fehlt uns der Becher … Dieser zufällig im großen, einsamen Wald Promenierende, scheinbar wie vom Himmel gesandt, ist also keine Hilfe. Sie sollen, sagt er lahm, halt ein Auto stoppen, wenn mal wieder eins vorbeikommt. Oder zum Parkplatz gehen, noch einen Kilometer weiter. Da zweige ein Weg zum See ab, sehr hübsch übrigens, der See, der Parkplatz momentan allerdings leer. Die beiden nicken, wollen gleich in die Richtung, die er ihnen gewiesen.

Und er geht weiter seinen Weg ins Dorf, das er nach ein paar Hundert Metern erreicht. Eigentlich idiotisch, was sie jetzt tun, denkt er. Hier sind doch die Leute, und sie gehen tiefer in den Wald hinein … So sind sie eben: Berliner am Wochenende draußen in der Pampa – orientierungslos.




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