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--- Edmund White - Und das schöne Zimmer ist leer

ArnoAbendschoen - 13.03.2017 um 22:03 Uhr

„Und das schöne Zimmer ist leer“, im Original veröffentlicht 1988, ist der zweite Teil von Edmund Whites autobiographischer Tetralogie. Der Titel entspricht den letzten sechs Wörtern eines Kafka-Zitats aus einem Brief an Milena Jesenská. Darin geht es um nicht ganz gelingende Beziehungen zwischen zwei übersensiblen Partnern in einem gemeinsamen Innenraum. Das Verhältnis zwischen Maria, einer lesbischen Malerin, erst Sozialistin, später Feministin, und dem sieben Jahre jüngeren schwulen Ich-Erzähler ist bereits ein solches leeres Zimmer. Sie werden voneinander angezogen, schlafen zeitweise auch miteinander und leben doch jeder sein eigenes Leben. Nur aus der Ferne bleiben sie einander freundschaftlich verbunden. Maria ist als Figur an sich glaubwürdig, gewinnt aber im Lauf der Erzählung nur unscharfe Konturen, bleibt wolkig zerfließend in einer zögerlichen Darstellung, die aus lauter Trippelschritten besteht und laufend von für den Erzähler bedeutsameren Themen unterbrochen wird.

Maria spielt ein wenig die Rolle einer Muse und entwirft in einem Gespräch das umfassendere Programm für ein künftiges Werk, jenseits des Kafka-Zitats. Der Ich-Erzähler, vom Buddhismus beeinflusst, gesteht ihr, auch er halte das Ich für eine bloße Illusion und dennoch sei er als Schriftsteller gerade für die Individualität der Menschen empfänglich. Sein Dilemma: „Wie könnte ich meine religiösen Überzeugungen mit dieser künstlerischen Reaktion in Einklang bringen?“ Maria zufolge ist das gar kein Widerspruch, sondern die amerikanische Wirklichkeit: „Das Leben in Amerika ist buddhistisch und gleichzeitig ungeheuer persönlich. Es besteht aus nichts als diesem leidenschaftlichen, intimen Sich-Zusammenkuscheln und aus mächtigen, treibenden Nebeln der Vergänglichkeit, die alles im Ungewissen versinken lassen.“ Der künftige Autor soll also eine buddhistisch inspirierte Zeitkritik der USA entwerfen, verkörpert durch Figuren à la Kafka. Das ist ein sehr anspruchsvolles Programm. Um es vorwegzunehmen: Im zweiten Teil der Tetralogie wird zwar noch mehr Material als im ersten präsentiert – der Roman umfasst die Zeit von 1957 – 1969 und spielt vor allem in Ann Arbor und Chicago, später in New York -, doch ist er formal weniger geglückt als sein Vorgänger.

Schärfer konturiert als Maria ist Tex, der ein Buch- und Plattengeschäft in Chicago betreibt und mit seinem Einfluss die Entwicklung des angehenden Studenten kurze Zeit vorantreibt. Die folgenden Kapitel 3 und 4 sind die gelungensten des Romans. Der Ich-Erzähler besucht jetzt die Staatsuniversität von Michigan. Seine Lebensumstände dort werden auf zumeist sarkastische Weise geschildert. Das ist stilistisch brillant, oft komisch und vor allem auch kulturhistorisch aufschlussreich. Die sehr plastischen Hauptgestalten jetzt sind die magersüchtige Annie, der schon aus Band 1 bekannte Psychotherapeut O’Reilly und William Everett Hunton, ein in Oberflächlichkeit, Egozentrik und Sexbesessenheit geradezu brillierender Kommilitone. Neben der Psychotherapie bekommt nun auch das Verbindungswesen sein Fett weg.

Was Maria an Charakteristika fehlt, hat der Werbetexter Lou zu viel. Sein überzeichnetes Bild vereint viele extreme Züge. Er ist indianischer Herkunft, hatte eine katastrophale Jugend, ist drogenabhängig, dennoch beruflich sehr erfolgreich und pendelt zwischen den Geschlechtern und sozialen Milieus. Bei ihm ermüdet die Massierung von Krassem. Sein reines Schönheitsideal ist zu sehr ausgewalzt, als dass es tief beeindrucken könnte, seine Antibürgerlichkeit Krampf.

Mit Lou wechselt der Erzähler nach dem Studium 1962 nach New York. Das Stadtporträt ist als Ganzes weder umfassend noch besonders prägnant, eher impressionistisch zufällig. Vieles wird nur angerissen, dabei dann allerdings das jeweilige Detail gekonnt porträtiert, so z.B. Fire Island auf nur drei Seiten. So ergibt sich kein zusammenhängendes, rundes Bild, das den Romanschluss vorbereiten könnte. Dafür tritt Sean auf, eine Figur, deren Tragik - oder ihr Defizit – White, präzise wie meistens, so analysiert: „Der Witz war, dass die große Liebe meines Lebens ein Mann war, der nichts von mir und fast nichts von sich selber wusste.“ Der quasi buddhistische Ansatz ist also mit Sean zur Vollendung gelangt – und doch hätte der Leser sich gerade hier eine etwas vertiefende Gestaltung gewünscht.

White eilt sehr rasch über diese New Yorker Jahre hinweg. Staunend erfahren wir, welches Ausmaß die Ächtung der Homosexualität seinerzeit in New York annehmen konnte, etwa anlässlich der Weltausstellung 1964/65. Und dann endet der Roman recht abrupt mit den Stonewall-Unruhen von 1969 und dem letzten Satz: „Aber wir fanden in der Presse nicht eine einzige Zeile über den Wendepunkt in unserem Leben.“ Der Roman, fast zwanzig Jahre danach geschrieben, soll wohl u.a. dieses Manko nachträglich beseitigen. Literarisch ist das nur zum Teil gelungen. Der Roman leidet an seiner Stoffüberfülle, an zu viel ungestalteter Realität, auch unter allzu geradlinigem chronologisch fortschreitendem Erzählen. Der an sich zutreffende kausale Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen Missständen und individuellem privatem Leiden wird so nicht immer ausreichend plausibel.

Dennoch: Das Buch ist so reich an Material wie an hervorragend geschriebenen Passagen, dass man sich wünscht, es möchten mehr Werke auf vergleichsweise hohem Niveau partiell scheitern.

(Zitate nach der Übertragung ins Deutsche von Benjamin Schwarz)




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