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Itzikuo_Peng - 06.02.2018 um 11:42 Uhr

Der letzte Schlafanzug, in den zurückzukehren Du beim letzten Aufbruch in die kalte Lichtkriegerwelt, vermutlich bang, hoffend, vielleicht diesmal schon nicht mehr hoffend – wer weiß das?, Du kannst es nicht mehr beantworten –, gedachtest. Die letzten Papiertaschentücher. Das ach so kalte Bett mit der Heizdecke und dem elektrisch verstellbaren Lattenrost – war der schwer! War. War der schwer. Auch ihn nahm der finale Orkan – zeitmangels zielorientierter Gebrauchsermittlung @ Nachlebensverwendung – mit, der finale Orkan, der Dein letztes Nicht-Refugium – ein Segen kamen alle Helferi schweißig tapfer, niemand sagte ab, niemand!, was Wunder –, entleerte, Dein Leben ausräumte, aufräumte?, die Räume räumte und strich und Löcher stopfte. Deine Ordnung. Die Schuhspanner. Die akribisch gestapelten hundert Paar Socken. Die Papiere. Die Philatelie des Schönen. Die Aktenordner. Die Fotos. Hier war ein Buchhalter des Eigenen am Werk. War.

Die letzte Seeadlerpost – Liebe Grüße, Dein … Wann landet ein Seeadler auf meinem Balkon? Oder steckst Du doch in der Haubenmeise, die ich täglich am Futterhaus sehe?, kurz zuvor noch beredet, breitgequatscht? In meiner Ferse, die mir auf dem Rückweg vom Point-of-no-return in meiner Gewissheitsfahrt brannte, obwohl die Heizung aus?

Was eines Tages mit den Urenkeln reden? Da oben zwischen den Sternen … kannst Du Dich noch an … erinnern? Vielleicht so vom Hörensagen?

Die letzten Brustkorbhebungen, die nicht mehr Deine waren, zwischen Schläuchen und Geräten zahreicher als in jedem TV-Film ever, von denen ich gar nicht wissen will, was sie bedeuteten, weil das, was da luftverpumpt wurde, schon nicht mehr Du warst.

Der letzte Abschied, einseitig. Oder? Wir haben uns stets gegenseitig gelesen, Du auch mich, das weiß ich von Dir und, Zeugnis, dem mit Deinem Vornamen versehenen Lesezeichen in meinem letzten Buch. Nun liest Du mich nicht mehr. Oder? Lesen wir uns weiter?

Die letzten Löschungen im Netz. Deine Kommentare fehlen und sie werden fehlen, ich werde sie mir einfach vorstellen müssen, mir die Lücken füllen mit Fantasie. Man selbst altert dem Unausweichlichen entgegen, schon morgen kann … Hast es ja doch weit gebracht, trotz allem, sagte ich Dir auch, und Du lachtest. Die Zahl derer, mit denen man vertrauensvoll umgeht, schwindet. Es kommen keine neuen dazu, warum nur?, warum? Nicht nur warst Du mir Vater, neinnein, mehr noch!, Du warst eine der handabzählbaren Vertrauenspersonen.

Danke für alles. Und eins noch, bei aller Trauer, allem Schrecken: Deine Erlösung, letzt-end-lich, die gönne ich Dir von (meinem ganzen) Herzen. Mach´s gut. Vielleicht sieht man sich ja mal wieder.




ArnoAbendschoen - 10.02.2018 um 11:50 Uhr

Seltsam, dass ich eine ganze Weile dachte, ein Ich-Erzähler schriebe hier über seinen eigenen imaginierten Tod und spräche sich selbst mit "Du" an. Den Irrtum habe ich im weiteren Verlauf dann natürlich als solchen erkannt. Vielleicht hatte ich anfangs Tucholskys kleine Erzählung "Nachher" im Kopf?

An dem insgesamt überzeugenden (und übrigens recht vital wirkenden) Text hat mich besonders dieser Satz berührt: "Hier war ein Buchhalter des Eigenen am Werk." Sind wir das nicht alle mehr oder weniger? Und die Schlussrechnung jeweils nicht durchgeführt oder nicht plausibel oder nicht zustellbar?




Itzikuo_Peng - 11.02.2018 um 16:46 Uhr

Zitat:

... hat mich besonders dieser Satz berührt: "Hier war ein Buchhalter des Eigenen am Werk."
Danke dafür.

Zitat:

Sind wir das nicht alle mehr oder weniger? Und die Schlussrechnung jeweils nicht durchgeführt oder nicht plausibel oder nicht zustellbar?
Ja, genau. Vor allem: nicht mehr lesbar dann, wenn man selbst nicht mehr. Der Tod totet eben alles. Sollte man wissen, schon zu Lebzeiten. Könnte man wissen. Sollte könnte ... In jeder Sekunde kann. Was will ich, was bleibt? Und kann ich beizeiten löschen schreddern festlegen bestimmen, was ich nicht will oder doch will, was bleibt? Fragen über Fragen ...




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