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Endora
Autor: Magdalena Bott · Rubrik:
Kurzgeschichten

Was mich bewegte, so spät abends noch einen Spaziergang zu machen, weiß ich nicht mehr. Ich schlenderte die dunkle Straße entlang. Es war warm. Ein Fahrradfahrer näherte sich von hinten. Als er an mir vorbei war, sah er zurück und stieg vom Rad. Er wartete, bis ich ihn erreicht hatte. Dann stieg er wieder auf, fuhr los und schaute nochmals zurück. Erneut stieg er ab. Ich wurde unsicher, hatte aber kaum Angst. Gott sei Dank kamen mir zwei junge Männer entgegen, die das Ganze beobachtet hatten. Sie fragten mich, ob alles in Ordnung sei. Der Mann mit dem Rad fuhr schnell davon. Ich bedankte mich und schlug den Weg nach links ein.
Diese Gasse war mir fremd. Als ich auf die Hauptstraße kam, kannte ich mich wieder aus. Links der Dom. Ich beschloß, kurzerhand, zu Endora zu gehen. Sie wohnte überall. Ich würde sie immer finden, bevor ich in dem trostlosen Regensburg herumirren würde, ohne Ziel.

Ich betrat ein Haus und stieg die Treppen hoch. Im ersten Stock kam ich an einer Tür vorbei, an der ein Schild sichtbar angebracht war: "TOD 1198". Ich klopfte bei Endora. Nur in einem Nachthemd bekleidet, öffnete sie mir.
"So spät bist du noch nie gewesen." "Sorry, ich wurde unterwegs angemacht." Ich sah mich im Zimmer um und lächelte. Sie hatte eine Sammlung von Puttenengeln und etliche Bücher in einem Regal. Der Raum war überheizt. Endora trug ihr Haar länger, als sonst. Ich griff in meine Tüte und zog ein Buch heraus, das ich gerade tags zuvor gekauft hatte. Es freute mich, ihr ein Geschenk machen zu können, und hielt ihr das Buch hin. Sie lächelte und nahm es wortlos.
"Setz dich." Sie deutete auf das Bett. Ich ließ mich nieder. "Du hast gar keine Jacke an." "Draußen ist es warm." Sie drückte die Zigarette aus. "Komm." Wir legten uns auf`s Bett.

Als ich am frühen Morgen das Haus verließ, schlug die Uhr gerade fünf. Ich drückte mich noch eine Stunde in der Stadt herum. Dann ging ich in mein Café, wo ich zu frühstücken pflegte.

Wie immer wachte ich um neun Uhr auf. Irgendwie fühlte ich in mir tiefe Geborgenheit. An solch einem Morgen, hatte ich gar keine Lust zu frühstücken, weil ich satt war. Ich duschte und ging zur Arbeit.

In der dritten Nacht nach diesem Tag, suchte ich vergebens nach einem Bus in Saarbrücken, der mich heimbringen sollte. Da keiner mehr fuhr, ging ich zu Fuß. Die Stadt schien mir fremd und bevor ich wieder herumirren würde, entschied ich mich, zu Endora zu gehen. Ich trat in das nächstbeste Haus ein und stieg die Treppen hoch. Bis auf Endoras Wohnung, war das Haus unbewohnt. Ich klopfte an die dunkelbraune Tür.
"Ja, bitte!" Ich trat ein. Sie sah mich streng an. "Ich will Sie nicht nerven." "Du nervst nicht. Aber heute habe ich nicht mit dir gerechnet. Wir hatten nächste Woche ausgemacht. Ach laß. Du kannst ja nichts dafür."
Sie trug wieder ein geblümtes Nachthemd, das oben nicht zugeknöpft war, so daß man einen tiefen Einblick in ihr Dekolté hatte.
"Da." Sie drückte mir eine Zeitschrift in die Hand. "Von Lesben. Für Lesben." Ich errötete und legte die Zeitschrift unbesehen auf den Tisch.
"Dreh mir mal ne Zigarette." Ich nahm den Tabak und drehte ihr eine. Sie hielt mir Camel hin. Wir setzten uns an den Küchentisch und rauchten. Dann faßte sie mich am Arm und zog mich auf ihren Schoß.

Punkt sechs saß ich in meinem Café und aß ein Croissant und ein belegtes Brötchen.

Um halb zehn klingelte es. Schlaftrunken ging ich zur Tür. Ich hatte verschlafen. Als Gisa die Treppen hoch kam, lächelte ich entschuldigend. "Mann, das Frühstück hätte ich fast verpennt, wenn du mich nicht rausgeklingelt hättest. Ich kauf dir schnell Brötchen. Ich selbst hab keinen Hunger." Ich warf mir eine lange Jacke über und flitzte in die Bäckerei. Ich war gut drauf und fühlte mich geborgen. Wie oft schon hatte ich Gisa von diesem Gefühl erzählt, mit dem ich nichts in Verbindung bringen konnte. Außer daß ich vielleicht einen angenehmen Traum gehabt haben mußte.

Eine Woche später in Berlin. Ich wurde von einem herumstreunenden Hund verfolgt, der mich durch irgendwelche Gassen hetzte. Schließlich nahm ich meinen Mut zusammen und ging auf ihn zu, mit dem Vorsatz, ihm das Maul zu sperren, wenn er mich nicht in Ruhe lassen sollte. Er blieb vor mir stehen und setzte sich plötzlich nieder. Ich streichelte ihn. "Mein Hund. Komm mit, Freund."
Wir betraten ein dunkles Haus und stiegen die Treppen hoch. Endora öffnete, bevor ich geklopft hatte. Sie lächelte, als sie den Hund sah. Er sprang freudig an ihr hoch und begrüßte sie schwanzwedelnd. Sie stellte ihm Wasser hin.
Dann wurde sie plötzlich ernst und sagte. "Ich muß mit dir sprechen."
Da ich aber nicht sprechen wollte, nahm ich sie einfach in den Arm und küßte sie. Sie ließ es sich gefallen und erwiderte meine Zärtlichkeiten.

Wie immer samstags um halb zehn, klingelte Gisa. Ich war geduscht und fertig. Sie wollte mich in ein Café zum Frühstück einladen. Wir stiegen ins Auto und fuhren in die Stadt.
"Kennst du das Café? Das ist ein Insidertipp. Hier soll es gutes und preiswertes Frühstück geben."
Wie hypnotisiert ging ich zu einem kleinen Tisch am Fenster und nahm Platz.
"Was hast du? Gefällt`s dir hier nicht?" "Oh... Ja doch. Ausgesprochen gut sogar. Ich bin hier zwar noch nie gewesen, aber irgendwie kommt es..."
Als die Bedienung kam, blieb mir der Rest des Satzes im Halse stecken. Sie lächelte wohlvertraut. "Noch mal Frühstück?"
Gisa schien es nicht gehört zu haben. Sie sagte direkt." Bitte zwei mal die Nummer drei."
"Du ißt doch gerne Croissants?" zu mir gewandt. Ich nickte nur. Obwohl ich bereits satt war, zwängte ich mir das Croissant und das Brötchen auf, um nicht wieder sagen zu müssen, daß ich keinen Hunger hatte.

Am folgenden Mittwoch irrte ich abermals nachts in den Gassen herum, weil ich nicht heimfand. Wie so oft in solchen Situationen, suchte ich Endora auf, die immer für mich da war. Sie wohnte neben dem Friedhof in einem hübschen kleinen Häuschen. Ich sah, daß innen Licht brannte und schaute durch das Fenster. Als sie mich erblickte, öffnete sie mir.
"Warum wohnen Sie hier neben dem Friedhof?" "Kind. Wir haben November `98" Ich runzelte die Stirn, wagte aber nicht, weiter zu fragen.
"Ich muß dir was sagen," hob sie ernst an, wobei sie mich fest ansah.
"Ich bin deine Mutter."
Ich brach mit einem Weinkrampf zusammen. Sie umarmte mich und sprach tröstend auf mich ein. Schließlich zog sie mich hoch und hielt mich immer noch umarmt.
In einem Anfall von Wahnsinn stieß ich sie plötzlich mit aller Gewalt von mir, ergriff ein Messer, daß zufällig auf dem Tisch lag, und stach zu. Stumm, mit geschlossenen Augen, sank sie zu Boden. Ich ging zum Telefon und wählte die Nummer der Polizei.

Um neun klingelte der Wecker. Ich war gar nicht ausgeschlafen und fühlte mich traurig und verlassen. Ich machte das Radio an und wollte gerade die Nachrichten wegschalten, als die Sprecherin sagte: "Heute Nacht wurde die saarländische Künstlerin Endora tot in ihrer Wohnung aufgefunden. Vermutlich hat sie sich selbst das Leben genommen. Endora wurde in esoterischen Kreisen als Hexe der Neuzeit bezeichnet. In ihren künstlerischen Werken stand vor allem die Magie im Vordergrund. Für ihre Arbeit wurde sie mehrfach mit Preisen ausgezeichnet."
Die Kaffeetasse in der Hand, starrte ich auf das Radio und ließ mich dann in den Stuhl sinken.
Inzwischen hatte die Musik eingesetzt, aber ich nahm sie schon nicht mehr wahr. Ich stellte die Tasse ab, stützte den Kopf in die Hände und weinte still.
Endora? Ich hatte noch nie von ihr gehört. Und doch war mir, als sei eine gute Freundin von mir gegangen.


Einstell-Datum: 2004-02-22

Hinweis: Dieser Artikel spiegelt die Meinung seines Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung der Betreiber von versalia.de übereinstimmen.

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