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Rot
Autor: Dieter Hellfeuer · Rubrik:
Phantastik

Hätte ich Spuren hinterlassen auf meinen Wegen in diesen zwanzig Jahren, nahezu unsichtbare Spuren, so als wäre ich beim ersten Kontakt mit dieser Stadt in schon fast getrocknete Farbe getreten und seitdem verteilte sich ein winziger Hauch dieser Farbe mit jedem einzelnen meiner Schritte in diesen zwanzig Jahren über alle Wege, und wäre die Farbe ursprünglich ein kräftiges Rot gewesen und sähe ich jetzt, nach diesen zwanzig Jahren aus großer, sehr großer Höhe auf die Stadt hinab, so sähe ich eine rote Karte meines Lebens in diesen zwanzig Jahren, und je größer der Abstand würde, umso mehr würde sich meine Karte zu einem einzigen Klecks verdichten, der am Ende die Reinheit und Intensität der ursprünglichen Farbe besäße.
Würde ich nun tiefer sinken, so veränderte sich die Struktur dieses Kleckses, könnte ich anhand der Schattierungen zuerst meine Wohnungen erkennen, eine davon als leuchtend roten Punkt, der sich aus all den Schritten in all den Tagen in all den Jahren ergäbe, und da ich die Hälfte der Zeit darin wohnte, besäße dieser Punkt einen Strahlenkranz aus Linien, Linien, die führten zu den Bahnhöfen, zu den Supermärkten und Geschäften, zu den Kneipen, zu den Frauen und Freunden, zu der Universität, den Kinos, Theatern, Musikclubs, Parks, Fabriken und Büros, und wie entferntere Sonnen verteilten sich die übrigen Wohnungspunkte in dem Rot, mal deutlicher, mal fast unsichtbar, aber alle mit roten Linien versehen, von denen sich manche mit jenen des hellsten Sterns kreuzten.
Ließe ich mich nun noch tiefer sinken, so tauchten um meine Sonnen wie aus dem Nichts die Endpunkte dieser Linien als Trabanten auf, mal in der Größe von Planeten, mal bloß wie deren Monde, manche gar nur wie zufällig hingekleckste Kometen, und die Planeten wären die Wohnungen der Frauen und die Monde die Wohnungen der guten Freunde und die Kometen die Wohnungen weniger guter Freunde oder die Wohnungen von Freunden der Freunde, und fiele ich noch tiefer, so könnte ich gar einzelne Wege als zarte Linien erkennen, so unendlich zart, dass ich sie wohl nur ein einziges Mal in diesen zwanzig Jahren gegangen sein werde.
Und würde ich nicht nur sehen, sondern auch fühlen, so würde ich fühlen, dass all die Punkte, all die Kometen, Monde, Planeten und Sonnen Energie ausstrahlten, und ließe ich mich nun ziellos über meine Lebenslandkarte gleiten, so fühlte ich die Energie mal als wohltuendes Streicheln, mal als brennenden Schmerz, und mit jedem Schmerz würde ich höher steigen, und je höher ich stiege, umso seltener würde das Wohltuende, umso häufiger würde das Brennen, bis ich am Ende die Stadt und diese zwanzig Jahre als einzigen, reinen Schmerz wahrnähme, als ein unendliches Nichts, ohne Halt, ohne Sinn.
Dann, wenn ich dies träumte, würde ich aufwachen, und nur langssam, sehr langsam ließe der Schmerz nach, bis die Erschöpfung mich am Ende wieder einschlafen ließe.
Einmal aber bliebe ich wach, und bei diesem einen Mal fragte ich mich, welche Sterne, Planeten und Monde, welche Linien noch hinzugekommen sein mochten nach den nächsten zwanzig Jahren, vor allem aber fragte ich mich, ob dieser eine Punkt, ob ich ihn je finden würde in diesem Universum aus roten Jahren, jenem Universum, meinem Zuhause, das sich weiter und weiter ausdehnt und mir so viel Schmerz bereitet.
Rot ist eine schöne Farbe.


Einstell-Datum: 2007-09-30

Hinweis: Dieser Artikel spiegelt die Meinung seines Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung der Betreiber von versalia.de übereinstimmen.

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