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Sahara
Autor: Helmut Schida · Rubrik:
Phantastik

Sahara

Es war Samstagabend, die Hitze war unerträglich, und Joe betrat die kleine Bar in der Raxstraße oben am Laaerberg, der eigentlich kein Berg sondern nur ein kleiner Anstieg der Autobahn war, wenn man Wien vom Süden her anfuhr. Jo war hier eigentlich nur stehen geblieben, weil es seine Blase bis in den Osten der Stadt, wo er sein Zimmer hatte, nicht mehr ausgehalten hätte. Er bestellte sein Bier und trat durch die Hintertür auf den kleinen Hof. Die Luft stand hier steif und fest und man konnte sie fast wie Seide grei-fen. Sie legte sich wie ein heißer Schleier über alles. Jo fand das Klo, erledigte sein Geschäft und machte sich auf den Rückweg ins Lokal.

Es war gerammelt voll, die Getränke rollten in Wellen über die Theke und die Ventilatoren schnitten die gelbheiße Luft mehr als sie Kühlung verschafften. Seit zehn Wochen war in der Stadt kein einziger Tropfen Regen mehr gefallen. Alte und Kranke fielen um wie die Fliegen. Und wenn man dem Wetterbericht glauben schenkte, dann würde es auch noch bis in den September und den halben Oktober hinein so bleiben.

Obwohl es knapp vor Mitternacht war, hatte es auf dem Digitalthermometer neben der Türe noch immer 38 Grad Celsius. Unter tags hatte es die letzten Wochen schon etliche Male 45 und mehr Grade gehabt.

“Laß doch noch ein Bier auffahren“, orderte Jo seine nächste Flasche Pils und blickte wie beiläufig durch die Runde. Die meisten Mädels hatten nur mehr Bikinis oder Shirts an, fast alle Männer saßen mit bloßem Oberkörper in der stickigen Luft. Alle rauchten ihre Filterlosen – Camel und Lucky Strike waren die bevorzugten Marken hier drin-nen – und allen rann der Schweiß in Strömen über Ober-körper und die Oberarme und von den Handgelenken tropfte er auf die Tischplatte.

An die Ozon- und sonstigen Warnstufen, die über Radio regelmäßig angesagt wurden, hatte man sich längst ge-wöhnt, auch daran, dass die Gewaltverbrechen in den letzten Wochen sprunghaft zugenommen hatten. Alles eine Folge der Klimaänderung, die nun doch schneller voran-kam, als die Meteorologen-Heinis uns vorausgesagt hat-ten, als sie meinten, dass in 50 oder 100 Jahren in Europa die Wüste Platz greifen würde. Auf die vom Wetterdienst war eben auch kein Verlass mehr.

Nach dem dritten Bier war für Jo wieder mal ein Besuch der WC-Anlagen fällig. Als er die Tür zum Hof aufstieß, fühlte er einen schwachen Widerstand – als ob jemand dagegen hielt – nur war da niemand. Endlich hatte er die Tür so weit offen, dass er auf den dunklen Hof schlüpfen konnte. Unter seinen Schuhsohlen knirschte es ein wenig. Es war noch immer unmenschlich heiß.

Jo bückte sich: Sand! Es war tatsächlich feinster, heller Sand, der in kleinen Wellen, den Betonboden überzog. Leicht benebelt öffnete Jo den Zipp seiner Hose, erledigte sein Geschäft und trat noch einmal auf den kleinen Hof. Gelblich glitzerte der Sand auf der Erde. Jo ging nicht mehr ins Lokal zurück, sondern trat durch einen Seitenausgang hinaus auf die Straße wo er seinen VW geparkt hatte. Un-willkürlich blickte er hinauf zum Himmel und erschrak: Kein Stern blinkte dort oben, obwohl es seit Wochen keine Wol-ken mehr gab. Verdammt, wo waren die Sterne? An ihrer Stelle zogen helle Schwaden, wie Nebel durch die Luft. Nur dass der Nebel aus Myriaden von Sandkörnern bestand.

Endlich hatte er sein Auto gefunden. Es war mit einer fin-gerdicken Schicht Sand überzogen, wie auch die Straßen, die Gehsteige, die Laternen und alles andere auch. Dazu kam nun noch leichter Wind aus Süden auf.

Jo stieg in sein Auto, startete und als er auf die Stadtauto-bahn auffuhr, kräuselte der Sand bereits in kleinen Dünen über die Fahrbahn. Er hatte noch eine Dreiviertelstunde bis nach Hause.

Der Wind wurde von Minute zu Minute stärker, die Sicht schlechter und zu beiden Seiten der Fahrbahn konnte man liegen gebliebene Fahrzeuge erkennen. Der feine Sand hatte begonnen Vergaser und andere empfindliche Teile der Autos lahm zu legen. Auch mussten ein paar Raser auf dem feinen Sand von der Fahrbahn gekommen sein.

Er drehte das Radio auf und suchte seinen Klassik-Sender. Nichts! Er drehte an den Knöpfen und stellte den Schlagersender ein: Wieder nichts! Der sollte doch stets 24 Stunden lang senden. Irgend etwas musste passiert sein.

Da wurde auch Jos Auto langsamer, nahm nicht mehr so richtig Gas an. Obwohl er das Pedal schon ganz durchge-treten hatte, zeigte der Tacho kaum mehr 40 km/h an. Und dann übersah er auch noch den Tankzug, der wie in Zeit-lupe die Böschung herunter und direkt auf seinen fast zum Stillstand gekommenen VW zurollte. Im letzten Moment trat er noch ein paar Mal wie verrückt das Gaspedal, zerrte verzweifelt am Lenkrad und wurde Sekundenbruchteile später das erste Opfer der mitteleuropäischen Sahara.


Einstell-Datum: 2003-09-22

Hinweis: Dieser Artikel spiegelt die Meinung seines Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung der Betreiber von versalia.de übereinstimmen.

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