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Zweckgemeinschaft
Autor: manfred gruber · Rubrik:
Kurzgeschichten



„Ich bin es leid, zu fasten“ sagte Mike. ´Lass mich von deinem Saft kosten` dachte er. Bei jeder Frau, die ihm begegnete, sinnierte er mittlerweile nur noch über das Eine. Und bei diesen langen Beinen, die vor ihm so provokant dahinschlawenzelten und sicher zu einem lieben und zärtlichen Frauenbild gehörten, wunderte es nicht, dass Jerry heute mehr denn je die Leine an seiner Kehle spürte. Sein Herrchen hatte in diesem Moment keine Geduld, sich einfühlsam auf Jerrys zu erledigende Geschäft zu konzentrieren, wie er es sonst gewöhnlich tat. Sie beide waren nun mal auch eine Zweckgemeinschaft. Mike holte sich ein paar spärliche Liebeseinheiten, Jerry hatte nur das Fressen im Kopf. Und damit das Verdaute am richtigen Ort seinen Besitzer verlässt, waren die täglichen Spaziergänge notwendig und vor allem für Jerry ein Hochgenuss, der sagenhaft verschiedenen Düfte wegen.

Die Langbeinige, die ihn gerade leiden ließ, roch gar nicht so unangenehm, wie es ihm von so vielen Menschen immer wieder entgegentrat. Ihr Duft ließ ihn an seine erste erfolgreiche Werbung um eine für ihn damals schon viel zu alte Hundedame zurückdenken. Auch Mike war von diesem Geruch wohl sehr angetan, denn er nahm all seinen Mut zusammen, und wenn Jerry hätte sprechen können, würde er erzählen, wie viel Mut tatsächlich dahinter steckte, denn er hatte wirklich ein feiges Herrchen.

Mike sprach die Langbeinige an. Und da Jerry nun mal für menschliche Begriffe ein ausgesprochenes Prachtexemplar an Niedlichkeit und Liebenswürdigkeit war, stand er einem vertiefenden Gespräch beider in dem Cafe an der Ecke nicht im Wege. Im Gegenteil, er war sogar der auslösende Faktor. Die Hochgewachsene mochte Hunde ausgesprochen gern, und so unterhielten sich beide fortwährend über Hunderassen, Haltung, Charaktere und Pflege von Hunden. Jerry spürte, dass die Dame nach Jahren der Abstinenz für Mike die Erleuchtung bedeutete. In den zehn Jahren seiner Existenz kam es bisher zweimal zu ähnlichen Situationen. Und auch Jerry freute sich irgendwie, denn da war etwas, was er schon fast verdrängt hatte und nun wieder langsam ans Licht drang. Seine Lefzen sonderten übermäßig Speichel ab.

Zwei Tage später lag Jerry vollgefressen auf seinem Hundeteppich neben der Standuhr im zweiten Stock, als seine Nase schon lange, bevor die Langbeinige das Haus betrat, den Duft der alten Hundedame gewahr wurde. Mike stank wie selten nicht mehr nach einem penetranten Aftershave. Es war klar, dass der Abend gelaufen war. Sollte Jerry noch einmal nach draußen wollen, wäre es vergebens gewesen. Also richtete er seinen Teppich aufs Schlafengehen ein. Erstaunlich, wie viele Stunden er schlafen konnte. Es brauchte nicht lange und er begann zu träumen, während im ersten Stock das Licht, die Musik und die gesprochenen Worte langsam dunkler und ruhiger wurden.

Ein Baum, ein großer Baum war da, fast nicht rund, sondern eher seiner Standuhr ähnlich. Viel Licht, sonnendurchflutete Baumkrone und wärmendes Gras spürte er. Und dann die Hundedame, deren Trägheit zwar langweilte, aber die um so mehr Spaß versprach, weil er das Geschehen bestimmen konnte. Er ließ sich Zeit. Mit der Hundedame. Mit seinem Traum. Manchmal war er allein. Manchmal zusammen mit der Hundedame. Irgendwann verlor er jeden Spaß und ihm war es egal, ob nun mit oder ohne Dame. Das Gras wurde kühler. Der Baum wurde größer. Das Licht schien nur noch an wenigen Stellen hindurch.

Und dann kam ein Gestank hinzu. Dieser wurde immer stechender und ließ seinen Traum ganz im Dunkel untergehen. Bis er hochfuhr. Das Stechende immer noch in der Nase, kam er allmählich zur Besinnung. Im Raum zitterte noch der Schrei, durch den er wach geworden sein musste. Er ging dem beißenden Geruch entgegen. Er musste übermäßig sabbern. Er erinnerte sich jetzt an diesen Geruch. Und er fühlte, dass damit irgendetwas Schönes zusammenhing. Er tapste die Treppe hinunter. Er rutschte fast aus. Er konnte an den unteren Stufen nicht vorbei gehen. Er musste sie kosten. Er witterte dieses Etwas zu sehr. Er kostete, er trank, er versank in diesem Genuss. Nicht nur eine Süße, sondern auch eine Wärme ging mit seiner Speise einher. Er irrte. Er wurde vor Genuss irre. Und als er satt war, schleppte er sich wieder hoch und schlief neben der Standuhr ein.

Die Uhr schlug zehn mal, als er wieder erwachte. Mike meinte zwar nicht ihn, aber sein Pfeifen in der Küche lockte Jerry herunter. Es roch nach Kaffee. Mike wendete sich an sein niedliches und liebenswürdiges Hündchen. „Du sollst nicht weiter fasten“ sagte er. „Heut ist ein ganz besonderer Tag.“ Beide warfen sich für den Morgenspaziergang in Schale. Jerry konnte es kaum erwarten. Sie gingen vorbei an den Stufen der Treppe. Und nur Jerry wunderte sich etwas über den Geruch der alten Hundedame, der ihm schon wieder in die Nase stieg.

Sie gingen zu zweit auf die Straße, vor ihnen eine zierliche, kleine Frau mit einem sehr unangenehmen Geruch. `Wie feige doch mein Herrchen ist` dachte Jerry.





Einstell-Datum: 2004-02-01

Hinweis: Dieser Artikel spiegelt die Meinung seines Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung der Betreiber von versalia.de übereinstimmen.

Bewertung: 22 (1 Stimme)

 

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