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Literaturforum: Louis-Ferdinand Céline - Reise ans Ende der Nacht


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Forum > Rezensionen > Louis-Ferdinand Céline - Reise ans Ende der Nacht
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 Thema: Louis-Ferdinand Céline - Reise ans Ende der Nacht
Kenon
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Eröffnungsbeitrag Abgeschickt am: 16.05.2007 um 12:24 Uhr

Manch kritischer Leser nähert sich Büchern in dem Wissen, dass er von ihnen belogen werden soll. Aber Louis-Ferdinand Céline, um dessen Buch "Reise ans Ende der Nacht" (1932) es hier gehen wird, verspricht ja gar nichts von heiligen dichterischen Wahrheiten, sondern stellt gleich auf den ersten Seiten klar, dass sein Roman "eine ganz und gar fiktive Geschichte", etwas für die Phantasie sei. Und damit liegt Céline schon einmal dichter an der Wahrheit als so manch anderer Dichter... Die eingangs erwähnte Kategorie kritischer Leser wird sich jedoch durch solche Versicherungen ihre Wachsamkeit nicht mindern lassen. Ja, gut – aber worum geht es denn nun in diesem Roman? Um die Schmutzigkeit des menschlichen Lebens, geschildert anhand der "Reisen" des Ferdinand Bardamu. Zuerst ist Krieg, Weltkrieg, Erster Weltkrieg. Der junge Ferdinand – er ist um die 20 – lässt sich da reinziehen, viel Freude hat er an diesem Schlachtfest nicht, er findet es sogar überaus sinnlos:
Zitat:

Er, unser Oberst, wusste womöglich, warum diese Leute schossen, und die Deutschen wusste es vielleicht ja auch, aber ich, nein wirklich, ich wusste es nicht. So tief ich auch in meinem Gedächtnis grub, ich hatte den Deutschen nie was getan. (S. 16)

Aber er kommt da wieder heraus, seine Reisen führen ihn in eine französische Afrika-Kolonie, in die Vereinigten Staaten von Amerika und wieder zurück nach Frankreich, und überall ist es mit den Menschen dasselbe, auch wenn die äußeren Umstände differieren:
Zitat:

Die Reichen brauchen nicht selber töten, um was zum Fressen zu haben. Sie lassen die Leute für sich arbeiten, wie sie sagen. Sie tun selber nichts Böses, die Reichen. Sie zahlen. Man tut alles, ihnen zu Gefallen, und alle sind hochzufrieden. [...] Weiter ist das Leben seit Anbeginn nicht gekommen. (S. 435)
Und die Armen? Die haben ihre Armen-Erbärmlichkeiten, Armen-Krankheiten, Armen-Verbrechen, Armen-Träume und ihr kleines Armen-Glück, z.B. das nach 50 Jahren üppigsten Geizes endlich abgezahlte und schon wieder verfallende Reihenhaus und die frequenten Freuden der Kopulation, die Céline in seinem Buch zu schildern überaus liebt. Boshaft zynisch und derb ist er dabei immer, so dass es gar nicht verwundert, wenn Céline zu den Einflüssen eines Charles Bukowski gezählt wird.

Der alte Protestantenknochen aus Lübeck, Thomas Mann, hat Célines Roman als "ein wildes Produkt" bezeichnet. Das ist er gewiss – und diese Wildheit treibt ihn oft ihn die flachen Wasser der Trivialität, um dann doch immer wieder und gerade rechtzeitig Wind zu bekommen. Lesen lässt sich das alles gut, man bleibt bis zum Ende dabei, nicht nur in dem Fall, dass man gerade an das Grippe-Bettlager gefesselt ist und sich ohnehin die Zeit totschlagen muss. Ist nur noch die Frage offen, wie das denn wäre, wenn die Armen plötzlich auch über materiellen Reichtum verfügten....


Louis-Ferdinand Céline: Reise ans Ende der Nacht. Reinbek bei Hamburg 2003.

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LX.C
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1. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 16.05.2007 um 15:29 Uhr

[Quote]Und die Armen? Die haben ihre Armen-Erbärmlichkeiten, Armen-Krankheiten, Armen-Verbrechen, Armen-Träume und ihr kleines Armen-Glück, z.B. das nach 50 Jahren üppigsten Geizes endlich abgezahlte und schon wieder verfallende Reihenhaus und die frequenten Freuden der Kopulation, die Céline in seinem Buch zu schildern überaus liebt.[/Quote]

Dazu drängt sich mir eine Textstelle auf, die ich gerade erst gestern las (man möge mir diesen kleinen Abstecher verzeihen):

[Quote]Der Zeugtrieb des Menschen ist wohl auch dann noch stark, wenn die Lebensbedingungen nicht mehr menschlich sind. Was will Moral, Vernunft, Wohlstand, wenn als letzte Daseinsfreude nur allein der Geschlechtsgenuß übrig bleibt? Wer ist pharisäisch genug, Maß, Beherrschung, Überlegung zu erwarten? Der Mensch lässt sich in stumpfer Gleichgültigkeit weitertreiben, wenn ihm kein besseres Blickfeld bleibt. Was hinterher kommt, ist Gebären in grauenvoller Not, hinter einem schmutzigen durchlöcherten Vorhand, in Pestluft, inmitten schweratmender Menschen, die durch die Schreie der sich Wehen windenden Mütter aus dem Schlaf geweckt werden, ist ein kleiner Sarg, oder ein neues kleines armseliges Menschenwesen, für das kein Brot und kein Raum da ist.

Quelle: Schwarz, Georg: So wohnen sie im Kohlepott (1928), in: Kürbisch, Friedrich (Hg.): Dieses Land schläft einen unruhigen Schlaf, Dietz, Bonn 1981, S. 98.
[/Quote]

Ja, von Céline schrieb Bukowski oft, mich ihm zu nähern, fühlte ich mich bisher dennoch nicht imstande. Aber die Rezension ist sehr interessant. Man kann gar nicht so viel lesen, wie man lesen möchte.


.
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Gast873
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2. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 17.06.2007 um 00:01 Uhr

Zitat:



Der alte Protestantenknochen aus Lübeck, Thomas Mann,

Meines Wissens entstammt Thomas Mann einer Patrizierfamilie, was nicht zufällig in der Wahl seiner Lieblingsstadt München begründet ist, die auch als eine erzkatholische Hochburg im Herzen Bayerns gilt.
Aber das nur marginal.

Gruß
Hyperion

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Kenon
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1481 Forenbeiträge
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3. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 19.06.2007 um 13:05 Uhr

Von seiner Geburt 1875 bis 1894 hat Thomas Mann in Lübeck gelebt. Sein erstes großes Werk spielt sich in ebendieser protestantischen Stadt ab, die heute ein unattraktives verpenntes Nest ist, in welchem man die Bürgersteige um 18 Uhr hochklappt. Die protestantischen Motive von Schuld, Sühne (nicht umsonst hat auch der erste deutsche Übersetzer von Dostojewskijs "Verbrechen und Strafe" dem Werk den Titel "Schuld und Sühne" gegeben - natürlich als Protestant) und Buße ziehen sich durch die Schriften des Thomas Mann, die protestantische Ethik wird speziell in den Buddenbrooks thematisiert. Sein gegen ihn opponierender Sohn Klaus Mann schrieb einst:

Zitat:

Gerade damals, als ich intellektuell in vielem von meinem Vater abhängig war, versuchte ich heftig, das an mir herauszuarbeiten, was ich als ihm entgegengesetzt empfand. [...] Deshalb liebte ich es, das Katholische vor dem Protestantischen zu betonen, das Pathetische vor dem Ironischen, das Plastische vor dem Musikalischen. [...] das irrational Trunkene gegen das von der Vernunft Gebändigte und Beherrschte. (Hervorhebungen: K.)

Wo ist nun der katholische, unvernünftige, weder zwangsgestörte noch lebensfeindliche Thomas Mann zu finden?

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Gast873
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4. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 21.06.2007 um 13:35 Uhr

Hey Kenon,
also unter drei Prämissen gedenke ich Dir zu antworten: a) Mein Beitrag, der vorige wie der jetzige, ist nur eine Randnotiz (s.o.), nur eine Fußnote gewesen, und
b) Ich fasse Deinen letzten Satz als eine Frage auf, die beantwortet werden will, weil keine Apologie mit einer offenen und unsichern Frage endet.
c) Ich werde mich im Folgenden kurz und knapp zu fassen vermögen.

1) Durch Deinen Beitrag hast Du freundlicherweise die Frage selbst schon beantwortet, nämlich erst in einem katholischen Umfeld, im künstlerisch-logischen Raum des Kreativen, wurde Thomas M. von den Musen, nach dem Wechsel nach München, geküsst. Sprich vorher kam nichts Bedeutendes in Lübeck dabei heraus. Da ist der Freiraum, den dem Künstler nur das militärisch-katholische (siehe Figur des Naphta später, oder "Gladius Dei") geben konnte, empirisch gesetzt.

2) Thomas Mann hat ausgedehtne Reisen mit seinem Bruder nach Italien, ins heilige Land aller Katholiken unternommen. Einflüsse kann man ebenfalls nachlesen.

3) Die Mutter von Thomas kommt aus Brasilien. Es ist anzunehmen, dass sie selber katholisch war, was zumindest die eine elterliche Hälfte und Prägung in der Erziehung des Kindes ausmacht. Ich müsste, wenn ich ihn in Tübingen erneut treffe, Walter Jens fragen, ob die Mama-Mann katholisch war, er beschäftigt sich mit solchen Genealogien.

4) Im Jahre 1893 fand die Übersiedlung nach München statt, wobei sich manche Quellen immer noch nicht recht genau einig darüber sind. Aber geschenkt, ein Jahr hin oder her, Thomas hat ohne Abitur, sofort nach Ankunft in München Vorlesungen über Philosophie (des Mittelalters) und der Literatur besucht.

5) War er dennoch nie so streng protestantisch, wie Du ihn bezeichnest. Seine Frau stammt, und das ist sicher, aus einer jüdischen Familie. Ergo wird die von dir evozierte Einseitigkeit durch die spätere Mischehe erneut gesprengt.

6) Wenn der Sohnemann das von seinem Vater behauptet, was Du oben zitiert hast, kann man ihm Glauben schenken. Falls man ihm nicht Glauben schenken will, sprechen die harten Fakten, die ich aufgezählt habe, auch eine eindeutige Sprache, aber auch nur insofern, als man getrost oder ungestrost davon ausgehen mag, dass Thomas M. überhaupt religiöser Mensch war. Dann gelten meine und Deine Argumente. Ansonsten nicht.

Gruß
Hyperion

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Narodnaja
Mitglied

2 Forenbeiträge
seit dem 17.07.2007

     
5. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 17.07.2007 um 09:26 Uhr

a)Und so wurde aus Céline dann Mann... : )
b)Schade eigentlich...
c)Wenn ich etwas geschlafen habe, versuche ich die Metarmorphose wieder umzukehren

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