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Literaturforum: Drei Gefängnisfilme


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Forum > Aesthetik > Drei Gefängnisfilme
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 Thema: Drei Gefängnisfilme
ArnoAbendschoen
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718 Forenbeiträge
seit dem 02.05.2010

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Eröffnungsbeitrag Abgeschickt am: 08.10.2021 um 18:12 Uhr

Bei Sexfilmen sehen wir, wie nicht anders zu erwarten, eine strikte Scheidung des Publikums. Der normale Porno hat von jeher zwei Lieblingsschauplätze: die Mädchenschule und das Nonnenkloster. Wohingegen die männliche Homosexualität sich am liebsten in Gefängnissen auszuleben scheint, glaubt man diesen Filmen. Niemals wollte ich mir früher etwas mit dieser Thematik ansehen. Ich hielt es für unter meiner Würde. Doch - ich tat Unrecht. In jüngerer Zeit habe ich drei Filme gesehen, die Männerliebe hinter Gittern zum Gegenstand haben. Ich war erstaunt, so viel Qualität hätte ich nicht vermutet. Doch handelt es sich nicht gerade um Produkte der Porno-Industrie ...

John Greysons "Lilies - Theater der Leidenschaft" (1996): Die Rahmenhandlung spielt 1952 in einem kanadischen Gefängnis. Ein Bischof soll einem älteren Häftling die Beichte abnehmen. Doch das ist eine Finte. Die Gefängniskapelle verwandelt sich in einen Theatersaal. Der Bischof kennt den Gefangenen, sie waren vierzig Jahre davor Schulkameraden. Nun sieht er mit ihm gemeinsam an, wie junge Sträflinge ihre Geschichte von damals nachspielen. Am Ende ist der Bischof als Mörder entlarvt.

Der Film ist jenseits seiner spektakulären Handlung vor allem unter ästhetischen Gesichtspunkten sehr lohnend anzusehen. Er verbindet die opulenten Bilder des großen italienischen Kinos mit Brechts Verfremdungstheorien. Wenn die Szene im Jahr 1912 spielt, wird der Schauplatz von damals ganz im Sinne Brechts mit den einfachsten Mitteln angedeutet. Und dann wechselt die Darstellung blitzschnell zu betörend schönen Bildern des wirklich großen Kinos. Später befinden wir uns wieder in der Gefängniskapelle, wo junge Gefangene als Laiendarsteller die Rache eines alten Mannes vorantreiben. Eine Vertiefung in der Kapelle wird mit Schläuchen geflutet - das ist der See von damals. Und dann sitzen Bischof und alter Gefangener am Ufer eines wirklichen Sees in der Weite Kanadas. Dieser permanente Wechsel der Perspektive verwirrt nicht, er ist ein großes Vergnügen und hilft der Erkenntnis auf die Sprünge.

"Proteus - Meine Liebe ist deine Freiheit" (2003) hat John Greyson gemeinsam mit dem schwarzen Südafrikaner Jack Lewis gedreht. Es ist ein historischer Film, der vor allem auf der Gefangeneninsel Robben Island vor Kapstadt spielt. Richtig, das ist der Ort, an dem Nelson Mandela lange inhaftiert war. Die Handlung beruht auf einem Gerichtsprotokoll von 1735, das Lewis in einem Archiv entdeckt hat. Zwei Gefangene, ein Holländer und ein Khoi ("Hottentotte") hatten im Gefängnis über lange Jahre ein Verhältnis. Dann schwappte die von calvinistischen Eiferern ausgelöste Welle der Intoleranz von Holland nach Südafrika, die beiden wurden vor Gericht gestellt und zum Tod verurteilt. Traurig, aber wahr. Und hier auch noch exzellent gespielt. Nebenbei erfahren wir allerlei über die botanische Forschung jener Zeit (Linnaeus) und die schon damals komplizierte ethnische Situation am Kap. Einige Szenen spielen im Amsterdam des frühen 18. Jahrhunderts.

"Gefangen" (2004) ist der erste Spielfilm von Jörg Andreas. Von ihm ist auch das kluge Drehbuch. Die Handlung ist nachvollziehbar und bleibt im Kopf. Als Drehort diente ein leer stehendes Gefängnis in Neustrelitz. Es verschafft dem Film viel Atmosphäre. Der Regisseur hat Gefühl für stimmige Bilder und die Choreographie von Schauspielern. Zwar agieren überwiegend Laiendarsteller - das Ergebnis kann sich trotzdem sehen lassen. Oder gerade deswegen?

Die Hauptfiguren sind die Gefangenen Dennis und Mike. Als Dennis vorzeitig entlassen wird, hat Mike noch lange Jahre abzusitzen. Wegen Dennis will Mike ausbrechen. Dennis will es verhindern und dann lieber selbst in den Knast zurück. Zu diesem Zweck bricht er die Auslage eines Juweliers auf und wartet seine Festnahme ab. Damit endet der Film. Die Scherben, vor denen Dennis steht, sind auch die seiner bürgerlichen Existenz. Und das Loch in der Scheibe versinnbildlicht noch etwas: Dennis ist aus dem Gefängnis seines Selbst ausgebrochen. Das Problematische an einer Gefängnisliebe und das Unvereinbare von Bürgerlichkeit und Glück, sie könnten kaum klarer dargestellt sein.

Was ist das Gefängnis für diese drei Filme? Ein letzter Fluchtpunkt für die Kunst, die Wahrheit und das Glück.

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Kenon
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1481 Forenbeiträge
seit dem 02.07.2001

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1. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 08.10.2021 um 22:26 Uhr

Zitat:

Als Drehort diente ein leer stehendes Gefängnis in Neustrelitz. Es verschafft dem Film viel Atmosphäre.

Ich kann irren, aber vermutlich handelt sich es um das Altstrelitzer Gefängnis, das 2001 geschlossen, leergezogen und unter Denkmalschutz gestellt wurde. Als Kind hat es mich immer gegruselt, wenn wir mit dem Trabant oder später Lada aus dem Süden, d.h. beispielsweise Berlin oder auch nur Fürstenberg/Havel, zurück nach Neustrelitz gekommen sind – da zog es nämlich rechterhand an einem vorbei. Diese hohen, kalkweißen und stacheldraht-bewehrten Mauern, die Elektrozäune, die scheußlichen Gebäude, von denen man wusste, dass darin Menschen eingesperrt sind, waren immer das erste, was ich von meiner Heimatstadt sah; in umgekehrter Richtung natürlich auch das letzte. Die neu gebaute JVA liegt jetzt nicht mehr an einer Fernstraße, sondern gut verborgen – größtenteils von Wald umfasst. So muss nun niemand das Elend imaginieren, wenn er mit einem Fahrzeug nach Neustrelitz aus südlicher Richtung kommt (und v.v.). Interessant, dass man in den alten Gebäuden einen Film gedreht hat.

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ArnoAbendschoen
Mitglied

718 Forenbeiträge
seit dem 02.05.2010

Das ist ArnoAbendschoen

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2. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 08.10.2021 um 23:09 Uhr

Deine Annahme, Kenon, trifft zu. Mehr zum Dreh dort und weitere Informationen hier:

https://www.meckpress.de/2016/02/07/pornodreh-im-neustrelitzer-knast/

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