- versalia.de
-- Politik & Gesellschaft
--- "Der schiefe Sturm auf Pisa"

Jon - 19.08.2002 um 19:02 Uhr

"Der schiefe Sturm auf Pisa"

Die Deutschen sind doof, können aber Fußball spielen?!
Jedenfalls einer und der kommt aus Bayern.
"Is eh scho kloar, da braucht´s doch koa Pisa net für," schallt es aus der schwarzen Südkurve.
Der Kahn wirklich was und steht im Tor und hält alles, was da kommt.
Jetzt steht es also fest: Die Deutschen sind zwar strunzdumm, aber die Bayern nicht so ganz, denn die haben Oliver Kahn, den Leistungsträger der deutschen Nationelf.
Doch nun endlich unsere Liveschaltung ins Regierungszentrum Berlin in den letzten Zügen. Des Wahlkampfes.
Heute die mit Spannung erwartete Begegnung zwischen den beiden Topmannschaften des deutschen Politsports.
Im rosaroten Trikot der Traditionsverein der Sozis, mit über hundertjähriger Vereinsgeschichte. Immer laufstark, ein wenig schwach in der Abwehr und im Angriff, seit einiger Zeit mit ausgebautem Mittelfeld, haben die Sozis schon einige Endspiele gewonnen, aber die meisten knapp vergeigt. Was wird Mannschaftskapitän Gerhard "Auto" Schröder heute aufbieten?
Die Fans der Sozis scharen sich in der Nordkurve und winken mit VW-Emblemen. Haben sie die nötige Kraft ihren "Auto" anzufeuern, die nötige Schubkraft für dieses nicht ganz einfache Heimspiel zu geben?
Der Herausforderer "Zerr" Stoiber kommt aus dem tiefsten und schwärzesten Süden und hat seine Anhänger in der Südkurve postiert. BMW-Embleme reflektieren von dort, vereinzelt werden blau-weiße Fahnen geschwenkt. Angriffsstark, nicht immer zielgerichtet und konditionsschwach, aber getragen vom Willen zur Macht, will "Zerr" Stoiber alles aufbieten, was ihm zur Verfügung steht.
Da ist ein ruppiges Spiel zu erwarten, da wird sich von beiden Seiten nichts gegönnt werden, aber hat denn überhaupt einer der beiden Kontrahenten inhaltlich etwas zu bieten. Das bleibt abzuwarten.
Die letzten Begegnungen lassen da allerdings ein müdes Geplänkel, ein Schattenboxen befürchten, das an inhaltlicher Schwachbrüstigkeit krankt und vor sich hin plätschern wird.
Noch ist der Ausgang des Wahlkampfmatches offen, auch wenn vereinzelte Prognosen anderes vermuten lassen.
Geflötet, ja nicht gepfiffen, wird das Spiel vom Alten Fritz, seinerzeit Preußenkönig und Fachmann für pädagogische Sachfragen.
Assistiert wird der Alte Fritz einerseits vom allseits bekannten Herrn Charles Darwin, bekannt in Funk und Fernsehen durch seinen Weltbestseller "Über den Ursprung der Arten durch natürliche Zuchtwahl" und andererseits vom Unbekannten Achtundsechziger.

Der Alte Fritz wirft die obligatorische Münze. Es handelt sich um eine echte Prägung deutscher Schokoladentaler aus der ehemals königlich-preußischen Manufaktur.
Anstoß haben die Schwarzen.
Der Alte Fritz zückt die Querflöte und spielt auf.
Steilpass "Zerr" Stoiber: "Ihr Sozis habt alles vermurkst mit Eurer Gesamtschule."
Jubelnde Fans schwenken die bayerische Nationalflagge. Die Südkurve bebt, die Nordkurve grinst und schwenkt zahllose Abiturzeugnisse.
Ball wird gestoppt von "Auto" Schröder: "Wir haben aber wesentlich mehr Abiturienten. Ätsch."
Verhaltene NRW-Rufe, vereinzelte Niedersachsenbeifälle. Gegrunze und Geraune auf der Südkurve, vereinzelte Dosenwürfe (Weißwürste, versteht sich).
Dribbling von "Zerr" Stoiber: "Dafür können die aber weder richtig schreiben, geschweige denn rechnen."
Buhrufe von der Nordkurve, Gejohle auf den Rängen der Schwarzen.
Einwurf von Mitte Links: "Deshalb arbeiten die auch alle nach dem Studium in Bayern."
Tosender Beifall von der Rosaroten Nordkurve, abfällige Gesten und Schmährufe im Süden.
"Zerr" Stoiber läuft geradewegs ins Abseits: "Weil bei uns eben alles in Ordnung ist und die Wirtschaft brummt."
Höhnisches Gelächter von der Rosaroten Nordkurve, gemischt mit abfälligem Bienengesumm, tosender Beifall, La Ola, Tamtam, Tätärätätä, Weißbieralarm und Süßsenfattacken im Schwarzen Süden.
Da meldet sich der Schiedsrichter Alter Fritz und sagt genüsslich: "Es freut mich sehr, dass als einziges Land unser Erzfeind Bayern die guten alten preußischen Tugenden erhält. Das schafft die rechte Untertanenmentalität."
Darwin, einer der Schiedsrichterassistenten meldet sich zu Wort: "Survival of the Fittest. Das wird mir immer vorgehalten. Der Beste kommt durch. Ich hab´s doch gar nicht so gemeint."
Etwas unterhalb der Grasnabe lässt sich ein Alt-Achtundsechziger, heute ebenfalls Schiedsrichterassistent, leise vernehmen: "Antiautoritäre Erziehung ..."
Beide Einwände gehen im allgemeinen Tumult unter, denn die auf den Rängen sitzende anwesende Verona Feldbusch schwenkt, ja was schwenkt sie da eigentlich? Ein Abitur?! Wenn ja, in welcher Farbe?
Da greift der Alte Fritz zu seiner Flöte und schon wird das Wahlkampfmatch abgepfiffen.
Halbzeit.
Spielanalyse: Ein flaues Spiel wird uns da von beiden Mannschaften abgeliefert. Keine Flanke ist gezielt. Die Pässe verlaufen im Aus, gefoult wird auch, Verletzungen sind allerdings nicht zu verzeichnen. Dafür sind die Knochen der Kontrahenten, durch beinhartes Spiel in den Vorrunden schon zu eisenhart trainiert. Da wurde uns kein ansehbares Wahlkampfspiel geliefert, sondern wieder mal mit schwacher Polemik und flauen Argumenten aus der spielerischen Mottenkiste ein taktisches Manöver vorgegaukelt, das substanzlos im jeweiligen Mittelfeld hakt und sich nicht mehr lösen kann.
Zu sehr festgefahren wird auf Positionsspiel gearbeitet, die Viererkette der einen reibt sich an der der anderen auf. Es ist ein wahres Trauerspiel.
Tante Käthe, nebenberuflicher Rudi Völler, erklärt zum Nord-Süd-Gefälle: "Die Brasilianer spielen einen guten Fußball und die haben alle kein Abitur, oder? So was gucken wir uns gerne an. Außerdem haben wir Oliver Kahn im Tor... Also besteht noch Hoffnung."
Die Sanis laufen irritiert aufs Spielfeld, mit den neuesten Umfragebögen in der zitternden Hand:
"Braucht man für Fußball Abitur?"
Das Ergebnis ist erschreckend:
Einige der deutschen Spieler haben Abitur.
Sind unsere Jungs deshalb oder trotzdem so weit gekommen?
Wer hat das qualifizierte Bayern-, wer das trashige NRW-Abi?
Straft dieses Ergebnis nicht diejenigen Lügen, die behaupten, die Deutschen seien dumm und könnten nicht Fußball spielen?
"Was man nicht im Kopf hat, hat man in den Beinen,"
verkündet ein Spruchband vollmundig, von einem gasgefüllten Zeppelin der Sportartikelfirma AdiMa über dem Stadion kreisend, allen, die es gar nicht lesen können.
Vergleicht man die Spielergehälter mit denen deutscher Universitätsprofessoren (im Durchschnitt ca. 4500.- Euro), weiß selbst der rechenschwächste, also deutsche Schüler, wer hier die rote Karte gezogen hat und das mit Recht.
"Das ist immer noch viel zu viel Geld für die Profs," merken die Studenten an, die sich in Seminaren der wenigen Dozenten drängen, die überhaupt noch Seminare geben und nicht im "wissenschaftlichen Urlaub" auf Kuba, Hawaii oder in der Toskana sind.
Da tun unsere Fußballer doch ein wenig mehr für ihr Geld.
Überhaupt, sei diese Frage erlaubt: Ist Bildung nicht eher Ballast für die hochdotierten Jobs? Zuviel Wissen kann auch schädlich sein für´s Geldverdienen.
Spitzenpositionen werden am besten mit denselben I****en besetzt, zu denen der Rest des Managements selbst gehört. Alles andere schadet dem Image und dem Betriebsklima.
Werbeeinnahmen der einzelnen Promis zeigen: Bildungslücken sind sexy, vor allem, wenn sie so gut ´rüberkommen wie z.B. Verona Feldbusch, die das Spiel von der Westkurve verfolgt. (Sie winkt noch immer und ich kann nicht erkennen, was sie da in den Händen hält.)
Werbeblock:
Fußballgroße Silicon-Ballys-Implantate sind immer preiswerter zu haben, dank der osteuropäischen Arbeitslöhne. Da lohnt es sich zu investieren, meint auch Ihr versierter Frauenarzt.
Eine Initiative ihres Bundesamtes für Arbeitslosigkeit, blinden Aktionismus und Geldvergeudung.
Zisch, jetzt noch ein Bierchen auf den Frust, da hat man wieder Lust auf den nächsten arbeits- und sinnentleerten Tag.
Doch nun wieder zum Spiel:
Der Alte Fritz pfeift die zweite Halbzeit an. Galant wirft er seine Flöte der schicken Vero zu, dreht eine Pirouette und winkt ein wenig geziert dem unmotivierten Publikum zu. Ist das auch gut so? Jawoll!
Schon spielen die Verwaschen-Roten-Sozis über den linken Flügel das Migrantenproblem an.
"Bei so vielen Ausländern, die nicht der deutschen Sprache mächtig sind ...", versucht "Auto" Schröders Mannschaft ein Tor heraus zu spielen.
Ansätze einer lauen Reaktion auf der Roten Nordkurve, "Stoi, Stoi, Stoiber" kommt es dumpf von der Schwarzen Südkurve auf den Platz geschwollen.
"Genau," kontert vom rechtem Flügel "Zerr" Stoiber, kann aber nur mit einem bösen Foul an den Ball kommen, "wir haben eh schon zu viele Ausländer im Boot und Sie wollen noch mehr ins Land holen, bei den vielen Arbeitslosen."
Buhrufe, Pfeifen, Trampeln der Rosaroten bringt das Stadion zum Beben nur noch vom hämischen Gelächter und gezielten Weischwurschtwerfen der Schwarzen in Richtung "Auto" Schröder getoppt.
"Auto" Schröder schaut nach dem Schieri, der lässt aber weiterspielen, da seine Augen auf Veronas Beinen ruhen und er an das Essen mit ihr nach dem Spiel denkt.
(Endlich erkenne ich was Verona da in den Händen hält: Es ist die Speisekarte des teuersten Restaurants der Bundeshauptstadt. Fraglich ist allerdings, ob es dort die ausgewogenen Pommes Rot-Schwarz geben wird.)
"Auto" Schröder gibt sich gelassen, verweist auf die Allianz
aus Unternehmern, Gewerkschaften und Kirchen: "Wir brauchen Fachkräfte, damit wir den Anschluss nicht verpassen."
Rote Karte von der Bild-Zeitung, dem diesjährigen Ausrichter des Wahlkampfes: "Viel zu langer Satz, damit unverständlich und für den Druck nicht geeignet."
"Zerr" Stoiber murmelt: "Deutschland den Bayern, Tatata raus ..."
Die Südkurve fällt in "Zerr" Stoibers Sing-Sang ein, die Nordkurve summt verstohlen die "Internationale", denn Oskar Lafontaine hat sich unbemerkt aufs Spielfeld geschummelt und zeigt immer wieder sein waschechtes und knallrotes Leibchen vor.
Was hat der Mann vor?
Das Spiel dümpelt zäh vor sich hin. Keiner hat wirklich mehr was zu sagen, kann es aber geschickt hinter leeren Worthülsen verbergen.
Währenddessen fragen sich die Schüler in den deutschen Schulen und vor den Bildschirmen, wann sie denn endlich den Unterricht bekommen werden, der den längst schon veränderten Bedürfnissen angepasst ist.
Der Alte Fritz schäkert derweil charmant mit Frau Feldbusch, wendet sich endgültig aus Enttäuschung darüber, dass die Deutschen noch immer nichts über effektives Angriffsspiel dazu gelernt haben vom Spielgeschehen ab und das Match verendet in politischen Grabenkämpfen.
Wahlkampf auf den Rücken derjenigen, die eh nichts zu melden haben, seien es Ausländer, Schüler und Lehrer und letztlich Eltern.
Das ist Wahlkampfstrategie, besonders der konservativen Kräfte auch wider besseren Wissens.
Da wird gebolzt, was die Knochen hergeben, Tiefschläge gezielt angesetzt und verteilt und wieder versandet das ganze Problem und wird bierärschig ausgesessen, wie es so Sitte ist in deutschen Landen.
Nein, Finnland kann nicht als Beispiel dienen, da leben nicht so viele Menschen, Migranten schon gar nicht, Schweden geht vielleicht, aber dann doch nicht, wie wäre es mit Japan, da herrscht Drill und die haben weltweit die höchste Schülerselbsttötungsrate, das reguliert sich dann von selbst, Problem gelöst, Klappe zu, Affe tot.
Die Bayern, ja die haben´s gut.
Da schafft es zwar nur knapp die Hälfte der Schüler sich überhaupt einen Schulabschluss zu erkämpfen, aber wo gehobelt wird, da fallen Späne, bisschen Schwund ist immer und den entsorgt man dann am besten ins Umland. Sozusagen pädagogischer Sondermüll, nicht dem deutschen Reinheitsgebot entsprechend. Statistiken haben zu stimmen. Da wird die soziale Wirklichkeit gegen den Strich gebürstet, damit die Bilanzen passen.
Nur wer sich ein solch inhumanes Weltbild leisten kann, bleibt Klo-Ball-Player. Es ist Weischwurscht, wie viele nicht mehr mitspielen können werden, wenn´s einigen wenigen Hauptakteuren Gewinn bringt. Wer möchte da nicht mitmachen, als Aktionär. Alle anderen sind Spielverderber, Nestbeschmutzer ...
"Denn wichtig ist, was hinten ´rauskommt," sagte schon dereinst der Weise aus dem Saumagenland und der muss es ja wissen, ist er doch endlich wieder rehabilitiert und an den Busen seiner Partei, auch als Angela Merkel bekannt, gedrückt worden, Spendenaffäre hin oder her.
Deutschland braucht eben immer starke Vorbilder, die zeigen, wo der Hammer hängt, was wirklich trendy ist, in der großen weiten Welt des Geldes.
Braucht man dafür einen Schulabschluss?
Nein, es reicht, den Klassiker "Der Pate" zu lesen (für diejenigen, die nicht lesen können: Es gibt auch einen Film!) und man hat das Weltwirtschaftssystem im Handyformat!
Endlich ist das Spiel zu Ende. Hat eh keinen mehr interessiert.
Wer hat gewonnen? Egal.
Verloren hat auf jeden Fall wieder mal die Vernunft.
Mein Buchtipp:



Da ich selbst "nur" ein NRW-Abi habe, wäre ich sehr erfreut, wenn Sie meinen Text korrigieren würden.
©2002 Jon

"Der Pate"




URL: https://www.versalia.de/forum/beitrag.php?board=v_forum&thread=149
© 2001-2024 by Arne-Wigand Baganz // versalia.de