- versalia.de
-- Rezensionen II
--- Slawomir Mrozek - Balthasar

Schreiber - 17.12.2007 um 19:50 Uhr

DER POLNISCHE SPÖTTER
Slawomir Mrozek, Balthasar
(Diogenes Verlag, Zürich 2007) 376 S., € 22,90
"Mrozeks Gedanken sind so ungewöhnlich, daß sie jedem verständlich sind." - so urteilte einmal Gabriel Laub über den hier zur Disposition stehenden Autor. In den Augen Reich-Ranickis ist Mrozek ein engagierter Schriftsteller, Humanist, Satiriker, Surrealist und "ein Mann des Absurden - also zeigt er das Widersinnige, um die Vernunft zu provozieren." Nach Karasek gelingt es Mrozek sogar, "die pfiffige Vieldeutigkeit der marxistischen Dialektik zu persiflieren." Man zählt Mrozek neben Beckett und Dürrenmatt zu den bedeutendsten Dramatikern unserer Zeit. Seine hier vorgelegt ´Autobiographie´ (Untertitel) ist übertragen aus dem polnischen Original (2006) von Marta Kijowska. Zur Erklärung des Titels muß man wissen, daß sich Mrozek (geb. 1930) nach seinem Gehirnschlag (2002) "Balthasar" nannte, zum Zeichen, daß er danach nicht mehr derselbe war" (Klappentext). Er litt seither an Aphasie und wollte die Frage der Selbstidentifizierung thematisieren - und es ging ihm darum, mit Hilfe einer Therapeutin sein Erinnerungs-, Sprech- und Schreibvermögen wieder zu erlangen. Der erste, kürzere Teil des vorliegenden Buches bezieht sich auf seinen Mexiko-Aufenthalt (1990 - 1996), der zweite Teil beschreibt das Leben seit der Kindheit bis zur Ausreise aus Polen.
Man nannte ihn den "polnischen Spötter", sein Werk kreist um die Politik, zielt allerdings auf die Ethik. Das Absurde setzt bei ihm nicht wie bei Beckett den Menschen in Beziehung zum Absoluten, sondern zum Mitmenschen als Individuum oder Gruppe. Er spürt die Unzulänglichkeiten und Falschheiten der gesellschaftlichen, politischen und moralischen Normen auf. Mrozek ist eigentlich ein Realist, für den das Konkrete absurde Ausmaße bekommt. Ihn interessiert mehr das anthropologische als das Soziologische, gleichwohl kennzeichnet die Sprache die kulturelle Herkunft seiner Protagonisten. Häufig geraten ihm auch parodistische Elemente v.a. aus politischen Versatzstücken in die Dialoganteile. Kaum zu glauben, daß dieser Vielschreiber einmal sagte: "Ich erzähle nicht gern, ich höre lieber zu."
Und während Mrozek sein wunderbar-absurdistisches in Prosa und Dramenform verfaßte, hielt er sich mehr im Ausland als in Polen auf - wobei er Mexiko nach eigenem Bekunden als seine "Bestimmung - für immer" angesehen hatte - er bezeichnete die Jahre 1993 - 1995 als "die schöpferischsten in meiner gesamten Zeit in Mexiko." Aus privaten und wirtschaftlichen Gründen erfolgte im September 1996 die endgültige Rückkehr nach Polen, wo er weiterhin Erfolg hat. Allerdings wird nicht eigentlich verständlich, warum Mrozek nach 33 Jahren im westlichen Ausland freiwillig nach Polen zurückkehrte. Ein Problem des vorliegenden Buches mag sein, daß sich Mrozek schwer für sein Thema entscheiden kann: "Kehren wir aber zur Gegenwart zurück, von der ja dieses Buch handeln soll. Doch bevor ich meinen Bericht fortsetze, sei es mir erlaubt, mich in die Vergangenheit zu vertiefen." Jedenfalls erfahren wir dadurch, daß Mrozek während der Kriegsjahre in Ermangelung gleichaltriger Freunde begonnen hatte, ein eifriger Leser zu werden.
Einige Kapitel später entschuldigt sich Mrozek quasi: "Verzeihen Sie bitte die Detailliertheit meiner Erinnerungen" - erinnern wir uns: gerade daran hatte er vorher gezweifelt bzw. darum hat er eben gerungen! Mit diesem Buch mußte er sich in seinem Kampf gegen die Aphasie etwas beweisen. Auf rund 80 Seiten läßt sich nachlesen, wie sich der 2. Weltkrieg aus privater polnischer Perspektive darstellte. Erst um den Jahreswechsel 1949/50 herum nimmt Mrozek Kontakt mit Schriftstellern und Künstlern auf. In der Folgezeiut spricht er von seiner "ideologischen Verwirrung" - allgemein war er für den Marxismus-Leninismus, wenn es konkret wurde, aber dagegen. Mrozek arbeitete einige Zeit als Journalist, dann begann er ab 1956 Feuilletonistisches und Literarisches zu schreiben. Der Polnische Schriftstellerverband finanziert ihm und etlichen anderen jungen Literaten (u.a. auch Wislawa Szymborska) eine Reise nach Paris.
Fasziniert von Theateraufführungen in Paris beschließt Mrozek bei seiner Rückkehr nach Krakau ein Stück zu schreiben: ´Polizei´. Nie mehr später hat er so schnell ein Stück verfaßt - und "zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, ein echter Schriftsteller zu sein." Obwohl sich ein erster Theatererfolg einstellt, reist Mrozek Ende 1959 in die USA, wo er an einer zweimonatigen sog. ´Summer-School´ für Literatur in Harvard teilnimmt - in dieser Zeit lernt er übrigens Professor Henry Kissinger kennen. Nach Polen zurückgekehrt beschließt Mrozek aus der Kommunistischen Partei auszutreten: "... das Grundprinzip des Kommunismus war absurd. In der Praxis reduzierte es sich doch darauf, daß der erstbeste Idiot nicht nur den Beruf des Literaten, sondern auch jeden anderen ergreifen konnte."
Auf den letzten Seiten des vorliegenden Buches kehrt Mrozek sozusagen wieder in die Gegenwart zurück: im Mai 2002 erleidet er seinen Gehirnschlag, im dezember 2003 hat er bei einem Kurzaufenthalt in Paris einen Traum, daß sein neuer Name "Balthasar" lauten solle. Nach seiner Entlassung aus der Klinik war er völlig unselbständig, er benötigt etwa drei Jahre, "um mit den einfachsten (...) Dingen fertig zu werden." Eine ganz spezifische Aussage müßte uns allerdings fast erschüttern: "Indem ich nun aber den Namen wechsle und mich als ´Balthasar´ bezeichne, gebe ich meine Unvollkommenheit offen zu. Von jetzt an kann man mich für das, was ich vor der Aphasie geschrieben habe, weder loben noch tadeln, denn jener Mensch existiert nicht mehr." Aber hat Mrozek nicht mit dem vorliegenden Buch genau das Gegenteil bewiesen?!
Eine tragische Variante kommt noch dazu: durch die Aphasie hat Mrozek seine Fremdsprachenkenntnisse verloren - und schreibt mit Überzeugung nur noch Polnisch. Schließlich widmet er im ´Epilog´ das Buch all denen, die an Aphasie leiden. Und so ist dies eine insgesamt eher sentimentale als intellektuelle Abhandlung - es ist nicht ganz sicher, wieviel eigentlich von dem "Spötter" übrig geblieben ist - die Literaturwelt muß sich wahrscheinlich tatsächlich damit abfinden, daß das Genie Mrozek der Vergangenheit angehört. KS




URL: https://www.versalia.de/forum/beitrag.php?board=v_forum&thread=3196
© 2001-2024 by Arne-Wigand Baganz // versalia.de