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klaasen - 21.08.2009 um 23:11 Uhr

Einmal Leben und zurück

Fritz Rau, Konzertveranstalter von Lippmann und Rau. Ich nenne ihn Gangster Rau. Der Mann hat mich zerstört. Mir das genommen, wofür ich mein Leben lang gekämpft habe.
Er rief mich an. Meinte, es gäbe da ein Problem. Meine Freundin Jutta hatte mich gewarnt. Sie meinte: ,,Gehe nicht ohne Anwalt nach Frankfurt.“
Ich hatte gerade mit Scorpions ein Konzert in Mainz veranstaltet. Und war eigentlich gut drauf.
Als ich am Abend gegen 18:00 Uhr bei der Konzertagentur Lippmann und Rau eintraf, traf mich der Schlag.
Heuschrecken am Tisch. Das saßen sie: Rau, Scherer, Anwälte und sonstiges Getier und schauten mit großen Augen auf mich. Es war ein langer Tisch. Sie hatten irgendwelche wichtigen Papiere vor sich liegen. Dann sprach der ,Papst´. Für den hielt er sich, der Fritz. War James Brown der Goodfather of Soul, so hielt der Fritz sich für den Papst unter uns Konzertveranstaltern. Kurzum, er schrie mich an: ” Ich mach dich fertig. Du wirst nie wieder ein Konzert veranstalten. Du Faschist.”
Ich wusste nicht, um was es ging. Dann kam Zosel von der Konzertagentur Zosel Konzerts in Wiesbaden zu Tür rein.
Rau beschwerte sich darüber, dass seine Konzertplakate von meinen Konzertplakaten überklebt wurden und ein großer Schaden entstanden sei. Die Quelle für die Behauptung sei Zosel. Mir war klar, dass Zosel mit meinen Plakaten Raus Plakate überklebt hatte. Nur so konnte er mich, seinen Konkurrenten, loswerden. Ich hatte keine Chance, das Gegenteil zu beweisen. Die einzigen die die Wahrheit an diesem Abend kannten, war Zosel und ich. Es hatte keinen Sinn, Rau vom Gegenteil überzeugen zu wollen. Er hatte sich wie eine hungrige Zecke festgebissen. Ich sprach am nächsten Tag mit Jutta und machte ihr klar, dass es nur einen Weg gäbe, um das Kartenhaus und die Konzertagentur zu retten. Nämlich, dass ich ginge. Ich schenkte ihr das Kartenhaus und die Konzertagentur, besorgte mir bei Aeroflot ein Ticket und flog nach Tokio. Nun war ich wieder einmal auf der Strasse. Ohne einen Pfennig in einer fremden Großstadt. Ein neuer Dschungelkampf stand mir bevor. Ich lief durch Tokios Strassen ohne ein festes Ziel. Die Lichter in dieser Stadt hatten etwas Magisches. Sie verliehen mir Sicherheit.
Ich ging in das erst beste Spielcasino und spielte mit meinem letzten Geld. Ich gewann. Etwa 30.000 Mark. Ich dachte:, Man jetzt hast du einen guten Startschuss´. Die ganzen Chips hatte ich in einen Hut gesteckt und suchte vergeblich den Schalter, um die Chips einzulösen. Es gab ihn nicht, diesen Schalter der mich aus meiner verzwickten Lage hätte befreien könnten. Alles, was ich erfuhr war, dass es dafür kein Geld gab. Dass man wieder kommen kann und sie zum Spielen einsetzen konnte. Ich war stocksauer. Nahm den Hut und warf ihn mit den Chips in die Menge. Mehr als hundert Leute stürzten sich auf die Chips, die in allen Farben nun den Boden zierten. Innerlich lachte ich. Dachte so bei mir: ,Warum kämpfen sie um diese wertlosen Chips´? Konnte das nicht verstehen. Erst ein Jahr später erfuhr ich rein zufällig, dass es dafür spezielle Wechselstuben gab, die rechtlich gesehen verboten sind. Demnach hatte ich aus Unwissenheit 30.000 Mark weggeworfen. Ich ging torkelnd an die Luft.
Ein Mädchen mit einem Gesicht wie Monalisa sprach mich an und lud mich zu einem Drink in einer Bar ein.
An diesem Abend überraschte mich nichts mehr. Auch nicht, dass ich von einer Frau angesprochen wurde, mit ihr in eine Bar zu gehen. Wir unterhielten uns gut. Lachten, tranken und landeten irgendwann in einem noblen Hotel. Wir taten das, was alle Verliebten tun. Wir liebten uns. Aber plötzlich überfiel mich etwas Sonderbares. Ich hatte nicht das Gefühl gehabt, mit einer Frau geschlafen zu haben. Äußerlich sah sie aus wie eine Frau.
Wirkte zerbrechlich, war anschmiegsam und wunderschön. Aber der Gedanke, dass ich vielleicht mit einem Mann geschlafen haben könnte, machte mich rasend. Es war eben nur ein Gefühl, das einfach plötzlich im Raum stand. Ich nahm ihre Hand, streichelte ihr Haar und sagte ihr, dass ich mich nicht wohl fühlte. Ich erzählte ihr dann schließlich von meinem Verdacht. Sie wurde rot im Geschicht und ging auf die Knie. Sie fing zu weinen und klammerte sich kniend an mir fest und sprach auf japanisch, dann auf englisch und das bis zu Morgengrauen. Früh am Morgen bat sie mich, hier zu warten. Ich wartete auf dem Zimmer. Dann kam sie mit einem älteren Herrn.
Der Mann verbeugte sich dreissigmal vor mir und sprach von Geld. Viel Geld, wenn ich seine Tochter heiratete. Anschießend stellte er sich als ihr Vater vor. Sie waren eine sehr, sehr reiche Familie und besaßen ein Anwesen so groß wie das Weisse Haus. Man erzählte mir, dass sie viele Operationen über sich hatte ergehen lassen, um als Frau zu leben. Ich kannte mich damit genau so wenig aus wie ein Cowboy mit einem Indianer. Mir fehlte die Sensibilität zu diesem Thema. Ich war feige und passte den richtigen Moment zur Flucht ab. Es war für mich unmöglich, mit dieser Angelegenheit umzugehen. Ich konnte sie nicht lieben. Auch wenn sie bildhübsch war und sich als Frau fühlte. Ich hatte im Kopf das Bild eines Mannes. Da gab es keinen Ausweg für mich, es anders zu sehen oder zu fühlen. Ich konnte ihr lautes Weinen auf der Strasse hören. Sie rief meinen Namen. Sie tat mir leid und irgendwie mochte ich sie auch. Ein Jahr zuvor hatte ich Kay auf dem Weg von Tanger nach Paris kennen gelernt. Sie lebte in Kitakyushu bei Fukuoka. Sie lebte zuvor einige Jahre als Lehrerin in Hawaii.
Wir hatten eine Affäre und sie liebte mich sehr. Ich rief sie an und schilderte ihr meine augenblickliche Situation. Sie war aus dem Häuschen. Konnte es nicht glauben, dass ich in Japan sei. Sie gab mir die Adresse ihrer Schwester, die in Roppongi, einem Stadtteil von Tokio, lebte.
Es ging alles gut. Ihre Schwester nahm mich bei sich auf. Sie hatte ein Kind im Alter von 6 Jahren. Ihr Mann war der meist gesuchteste Gangster von Japan. Was ich aber erst später erfuhr. Auch erfuhr ich erst viel später, dass die Schwester rund um die Uhr von der Polizei überwacht wurde. Also wurde ich auch überwacht. Ich trank mich durch Tokios Bar und sammelt innerhalb von zwei Wochen etwa dreihundert Visitenkarten von interessierten Damen. Das lag nicht an meinem Aussehen. Es lag, wie ich mir habe sagen lassen, an der deutschen Sprache. Die Japanerin waren verrückt auf diesen Akzent. Natürlich liebten sie auch große Kerle wie mich. Ich hatte immer das Gefühl, ich tränke mit einem Kind. Sie waren klein und eine Japanerin im Alter von Vierzig, glich dem Aussehnen nach einer 18Jährigen. Wusste nicht, wie sie das machten. Mit der Tochter von Kays Schwester lernte ich beim Fernsehen japanisch. Die Kleine schaute jeden morgen Schulfernsehen. Nach einiger Zeit beherrschte ich etwas japanisch. Jeden Freitag und Samstag ging ich in eine Diskothek im Stadtteil von Roppongi. Sie lag im obersten Stock eines Wolkenkratzers. Man musste ca. 3000.00 Yen Eintritt bezahlen und hatte dann Essen und Getränke frei. Man konnte also soviel Essen und Trinken wie man wollte. Allerdings musste man Schlange stehen mit etwa 2000 Japanern. Bis man dann endlich oben war, war es auch schon früh am Morgen. Die Diskothek konnte bis zu 3000 Leute fassen. Wahrscheinlich mehr.

Ein kleines Erdbeben machte mich krank. War sozusagen schon im siebten Himmel. Dass ich überlebt habe, hatte ich meinem starken Lebenswillen zu verdanken. Anschließend wollte man mich bei der deutschen Botschaft sehen. Ein alter, sympathischer Herr begrüßte mich und ich glaubte nach diesem Empfang, etwas Besonderes sein zu müssen. Er sprach in den höchsten Tönen über mich. Meinte, dass ich ja ehrenvoll aus der Armee entlassen wurde und auch sonst in der Gesellschaft gute Dinge geleistet hätte.
Tatsächlich aber war es so, dass ich den Militärdienst verweigert hatte. Na, nicht ganz. Als ich am ersten Tag in Blackborn City antreten musste, bei Kassel gelegen, wollte man, dass ich eine Uniform anziehe. Ich weigerte mich. Man sperrte mich ein. Am nächsten Morgen dann gab man mir ein zweites Mal den Befehl, die Uniform anzuziehen. Auch diesmal verweigerte ich den Befehl. Also, dachte ich mir, gehst du am nächsten Morgen wieder mit schwarzer Hose, weißem Hemd, schwarzer Kravatte und schwarzem Jacket raus und steckst dir noch einen Joint in den Mund. Gesagt, getan. Das war zuviel für den kleinen Spiess. Er schickte mich in die Klapsmühle. Dort konnte man mit mir auch nichts anfangen und gab mir die Entlassungspapiere in einem Couvert, das mit einem roten Siegel verklebt war. Von der Armee hörte ich nie wieder etwas.

Teil2.
Ich hatte nun einige Zeit bei der Schwester von Kay in Tokio verbracht und machte mich mit dem Shinkansen Train nach Kitakyushu auf, wo Kay noch bei der Familie wohnte. Mir platzen die Ohren als der Zug seine Höchstgeschwindigkeit von 500 Kilometern pro Stunde erreichte. So viel ich weiss, hieß der Stadtteil Ishiharamachi, wo Kays Eltern wohnten. Als wir uns dann wieder sahen, war es so, als wären wir nie von einander getrennt gewesen. Wir verbrachten einige schöne Wochen miteinander. Kays Ziel: Heiraten und kleine Balgs aufziehen. Ich hatte nichts dagegen.

Bei einem Essen mit der Familie saß der Vater in seinem grauen Kimono als Oberhaupt, fünf Stuhllängen entfernt mir gegenüber.
Er stand auf, schrie mit dunkler und lauter Stimme und machte mir damit unmissverständlich klar, dass er es auf keinen Fall dulden könne, dass seine Tochter einen Ausländer heiraten würde. Das wiederholte er schreiend fünf Mal. Dann setzte er sich, schrie seine Frau an und befahl ihr, ihm seinen langen Grasschneider zu bringen. Bekannt auch unter dem Namen "Kusanagi no Tsurrugi" - Japanisches Schwert. Nachdem er es in der Hand hatte, stand er auf und zog das Schwert aus der Scheide. Sah mich schmunzelnd an und liess es wieder sinken. Mir war klar, dass mit dem Vater nicht gut Kirschen essen war ... Kay heulte Rotz und Wasser. Entschuldigung. Sie weinte sich die Augen aus. Entschuldigung. Sie weinte. Wir schmiedeten einen Plan, um zu flüchten. Kay rief ihre Schwester in Tokio an und gab ihr den Auftrag, eine Bleibe für uns zu suchen. Vorerst aber wohnten wir bei ihr. Wir waren keine zwei Tage zu Gast bei ihrer Schwester, als ein Überfallkommando die Tür bei Kays Schwester in Tokio einschlug. Es war ein Ramba Zamba. Ein total verrücktes Theaterstück könnte man auch sagen. Sie vermuteten, dass Kays Schwester ihren Mann, den meist gesuchtesten Gangster von Tokio, bei sich versteckt hat. Und ich mitten drin in diesem Tollhaus. Sie fanden ihn nicht.. Die Wohnung glich einem Trümmerhaufen. Wohnen konnten wir dort nicht mehr. Wir suchten uns ein Hotel. Kay und mir war klar, dass die Liebesgeschichte hier zu Ende war. Ich besorgte mir ein günstiges Ticket, das über Korea, mit kurzen Aufenthalt in Alaskaf flog und schließlich in Paris endete. Dreißig Stunden Flugzeit hatte ich nun hinter mir. Eine Flasche Whisky in mir.
Der Herzschmerz blieb und Paris war zu einem grauen Wolf in meinen Augen geworden. Ich soff mich beinahe zu Tode. Das ,Whisky a Gogo´ war mein Domizil geworden. In Saint-Germain sah ich Alain Delon, der mir in einer Bar gegenüber saß und einen Whisky nach dem anderen in sich hinein schüttete. Ich sprach ihn aber nicht an. Er sprach mich an. Ich verstand aber kein Wort und so unterhielten sich unsere Gläser, via anstoßen, miteinander.
Die Geschichte könnte hier zu Ende sein. Ist sie aber nicht. Ein guter Freund, Wilhelm Schwäble, heute Professor und in London lebend, dessen Vater in Marokko Häuser baute, schlug mir, vor nach Rabat zu gehen. Sein Freund, ein Neffe des Königs, war ihm noch etwas schuldig. Er meinte, ich könne, solange ich Lust habe, bei ihm wohnen. Ich flog also mit einer kleinen Maschine von Paris nach Rabat ohne Visum. Zur Information: Umgeben vom intensiven Blau des Meeres und Himmels liegt eingebettet in seinen ockerfarbenen Befestigungsmauern eine weiße Stadt, deren Minarett mit den Wolken zu spielen scheint. Das ist Rabat, die Hauptstadt des Königreichs Marokkos.
Rabat befindet sich im Norden von Marokko in der Nähe von Meknes und Fès. Die Hauptstadt wird im Osten vom Atlasgebirge und im Westen vom Atlantischen Ozean eingeschlossen.
Also, angekommen in Rabat schwamm mein Hemd am Körper wie ein Fisch im Wasser. Ich wurde sofort verhaftet weil ich kein Visum hatte und saß einige Tage im Gefängnis. Der Neffe des Königs befreite mich dann aus dieser unangenehmen Lage. Er holte mich in einem Jeep ab und fuhr schneller als erlaubt. Als dann die Polizeisirene aufheulte, gab er noch mehr Gas. Es schien im Spaß zu machen. Fuhr wie ein Verrückter durch die engen Gassen und die Polizei immer hinter her. Irgendwann dann stoppte uns die Polizei. Er zeigte nur ein Dokument und die Polizisten knieten regelrecht vor ihm. Mir war klar, dass dieser Mensch unantastbar war. Konnte sich aufführen wie der Letzte Mohikaner.
Er war mit königlichen Blut getränkt. Hatte also Narrenfreiheit. Er war ca. 25 Jahre alt. Sein kleiner Palast war eingerichtet wie in einem Märchen von Tausend und eine Nacht. Wir spielten die meiste Zeit zusammen Schach. Ich gewann. Er verlor. Das machte ihn nicht zu meinem besten Freund. Täglich kam eine Horde Frauen. Er war ein Unersättlicher. Das ging mir auf den Keks und ich zog ins Hilton. Der damalige Direktor war ein Deutscher und ich hatte frei Logis. Spielte Golf und traf nicht ein einziges Mal den Ball. Statt dessen, hatte ich den Rasen in einen Schweizer Käse verwandelt. Man legte mir nahe, einen anderen Zeitvertreib zu wählen. Also, machte ich mich auf zum Pool. Dort drehte man gerade einen Deutschen Film mit bekannten deutschen Schauspielern ... Die interessierten mich aber nicht die Bohne. Führten sich auf wie der letzte Schreck. Unangenehme Zeitgenossen, die Deutschen. Sobald sie aus ihrem kleinen Zuhause ausgebrochen waren, führen sie sich auf wie eine Horde wilder Steinzeitmenschen. Ich besuchte in Rabat einen Basar und hielt mich dort auf, wo Tourist ein Fremdwort war. Kleine Kinder balancierten dünnes, aufgestapeltes Brot auf ihren Händen. Als ich dann wohl einen Schritt zu nah an der Wirklichkeit in das wahre Leben der Ausgestoßenen eintauchte, bewarf man mich mit Steinen. Sie wollten nicht in ihrer Armut erkannt werden. Ich zog mich zurück und landete irgendwann in der Wüste. Hatte mich verlaufen und die Sonne trocknete mich aus. Da lag ich nun im Sand und wusste nicht, in welche Richtung ich gehen sollte. Zum Glück fand man mich. Sonst wäre ich als ein langer, ausgedorrter Zweig in der Wüste liegend in die Geschichte eingegangen.

3.teil

Ich lernte ein russisches Ehepaar in Paris kennen. Er war Zahnarzt, sie eine Künstlerin. Ein kleines, verstecktes Haus zwischen alten Bäumen war ihr Zuhause. Glich einem Hexenhäuschen. Ich durfte dort einige Zeit wohnen.Und wäre ich nun in einem Film, so könnte man jetzt glauben, dass der Schreiber übertreibt. Tatsächlich zeigte mir der Russe Urlaubsfotos, worauf ich Kay sah. Er und seine Frau kannten Kay. Unglaublich. Ging das noch alles mit rechten Dingen zu? War ich jetzt total verrückt geworden? Und nicht genug damit teilte er mir auch noch mit, dass ein Besuch von Kay ins Haus stand. Sie also zu Besuch nach Paris kam. Er und seine Frau hatten eine kurze Zeit auf Waikiki gelebt, wo sie Kay und Freunde von Kay kennengelernt hatten. So die Geschichte. Ich klärte Beide auf und bat sie, Kay nichts von meiner Anwesenheit hier in Paris mitzuteilen. Sie versuchten mich zu überreden, was ihnen nach mehreren Anläufen dann auch gelang. Dann stand sie in der Tür. Ich vergesse nie die weit aufgeschlagenen Augen den offenen Mund und die Tränen, die sie überfielen. Und das erste Mal in meinem Leben konnte ich eine Träne auf meinen Wangen spüren. Als Kind war mir eingetrichert worden, dass Jungen nicht weinen. Das war in mir fest gewachsen wie Haare auf dem Kopf. Die Schule in die ich ging, war noch von altem Nazi gespickt. Ständige Prügel mit einem Rohrstock auf den Fingernägeln waren mir so vertraut wie das Aufstehen am Morgen. Am liebsten zogen die Lehrer an meinen Ohren und drehten sie dann um 180 Grad. Oder drehten mir die Wangen um. Selten war der Arschtritt ein Zuchtmittel. Aber, es gab ihn dann und wann.

Wir eroberten Paris. Menschen standen Schlange, um mit uns in die eine oder andere Diskothek, oder Bar mitgehen zu dürfen. Das lag mehr an Kays Ausstrahlung. Ich war zurückhaltender, nicht so der Quatscher. Mehr ein in sich versunkener Schatz, der nicht die Öffentlichkeit suchte. Aber es kam die Zeit, wo Kay zurück nach Kitakyushu musste. Sie hatte eine Stelle als Lehrerin und liebte diese Arbeit. Wir standen auf dem Bahnhof und Kay war zur Abfahrt zum Flughafen bereit. Sie stieg ein und der Zug fuhr los. Jetzt heulte auch ich Rotz und Wasser. Ohne Tränen. Das musste ich noch lernen. Ich tränte innerlich.

Als dann der letzte Wagon an mir vorbei fuhr, sah ich Kay auf der andere Seite der Gleise stehen. Sie war nicht abgefahren. Sie konnte nicht. Nicht jetzt. Nicht heute!

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