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Wolkenduft - 09.12.2009 um 18:52 Uhr

Wenn ich dich betrachte, während du redest, entsteht in mir ein Bild von dir. Ich höre dir zu, und was du sagst, fügt sich in mir zu fragmenthaftem Ganzen zusammen, Lücken aufgefüllt, unscharfe Ränder erweitert, ergänzt durch Fantasie, denn Farben laufen in Farben über, Wiederkehrendes lässt Ahnung der Fragmente dazwischen aufsteigen.
Wenn ich dich reden höre, nehme ich alles, was du sagst, in mich auf und gleichzeitig sind völlig subjektiv bestimmte Inhalte betont, weil ich nun mal eine farbige Brille trage, die Farbe meiner Wahrnehmung, ihre Schärfe, ist relativ. Ich versuche, sie zu schärfen, möglichst alles an dir wahrzunehmen, aber Schärfe entsteht durch Fokus. Eigentlich müsste ich vollkommen ungerichtet meinen Blick auf dir ruhen lassen, aber dann würde das Bild verschwimmen, Blindheit durch den Versuch, mehr zu sehen.
Daher nehme ich dich wahr, wie es in mein Bild von dir passt.
Du existierst in mir und wie du in mir bist, faszinierst du mich.
Alle Menschen laufen als ihre Abbilder in mir herum, nur dass ihre Vielfältigkeit, ihre Komplexität reduziert ist, dafür in meinen Augen scharf. Ich sehe, was andere nicht sehen, Details sind eigene, bunte Bilder, so bunt und anders bunt als du scheinst, wenn ich dich uninteressiert beobachte.
Dann ist mein Bild brauner. Verglichen mit deinem Bild, das in mir lacht.
Meine Augen sehen vor Allem bestimmte Farben. Verstärken sie ungewollt, weil ich für manche Dinge blind bin. Blind sein will.
Wie kann ich da einschätzen, wie ich in dir bin, verglichen mit dem, wie ich mich sehe?
Ich ahne, versuche zu erkennen, was man von außen von mir sieht, versuche, mich in das schillernde Abbild von dir in mir hinein zu versetzen, und durch deine Augen zu sehen.
Nur, dass ich deine Augen ergänze.
Sie sehen mit einer Farbe, einer Wahrnehmung, die ich durch meine Wahrnehmung von dir dir zuschreibe.
Was siehst du wohl durch deine Augen?
Wie siehst du mich wirklich und wie kann ich nur phantastisch ergänzen, wie du siehst und wie du mich siehst?
Rede ich mit einem Du, als das du dich gar nicht selbst siehst? Ist dieses Du denn in dir, ist nicht jedes Du in dir und wie du dich siehst, dein Ich, ein Du von vielen? Kann man nicht Beliebiges in dir sehen?
Sicherlich, die Farbenkombination, einige dominierende Akzente und Konturen wiederholen sich, eindringlich müssten sie von fast jedem Auge als für dich charakteristisch wahrgenommen werden.
Wie kann ich denn jemals wissen, wie du mich siehst? Erklärst du es mir, gehen schon Nuancen, Details verloren, wenn du dein Gefühl in Worte verpackst, die es verrationalisieren, ihm Schatten und Konturen nehmen und durch ihren Wortcharakter ergänzen.
Und wie kann ich dann jemals aus dieser verändernden Wortverpackung auf ihren Inhalt schließen? Habe ich doch nur meine Art und Weise zu sprechen, meine Relation von Gefühl und Wort; Ich verpacke ja vielleicht anders als du. Weil ich an Verpackungen Anderes wichtiger und zentraler finde, als du.
Wählst du ein schönes Wort, Ästhetik lässt auf Angenehmes, positive Wahrnehmung schließen?
Wählst du Abstraktes, das mit beliebigem Inhalt gefüllt werden kann, so unterschiedlich, aber vermutlich in einem gleich: in ihrer Großheit, Umfassenheit und Präsenz?
Suchst du Vergleiche, Situationen, die ähnliches Gefühl in mir auslösen, in der Hoffnung, dass bei mir die phantastische Vorstellung ebendieser das gleiche Gefühl auslöst? Und tut es das denn? Sind wir als Menschen denn doch irgendwo gleich? Haben wir die gleichen Gefühle und können uns darüber bloß manchmal nicht verständigen, weil wir anders mit Sprache umgehen?
Müsste man sich da nicht sehr viel unmissverständlicher über nonverbale Kommunikation verständigen können? Oder ist auch da die individuelle Entschlüsselung und Verschlüsselung anders, weil jeder nur den ihm eigenen Schlüssel seiner Wahrnehmung besitzt?
Gibt es bloß Ähnlichkeiten? Sind es Ähnlichkeiten des Gefühls, oder Ähnlichkeiten der Brille, der Wahrnehmung, sodass unterschiedliche Gefühle durch verschiedene Brillen betrachtet sich vielleicht ähneln?
Und was zählt, das Gefühl an sich, oder wie wir es wahrnehmen?
Fühlen wir denn gleich?
Und ist denn, bei spontaner, triebähnlicher, „gedankenloser“, intentionsloser nonverbaler Kommunikation die Wahrscheinlichkeit eines Missverständnisses minimiert? Absicht führt zu Erwartung führt zu zielgerichtetem Verhalten führt zu verstärkter Beobachtung der eigenen und der anderen Person, der Reaktionen; Dabei ist die Beobachtung immer durch die individuelle Wahrnehmung nuanciert.
Oder wird man gerade durch die wiederholte Betrachtung und Reflexion blind für die Akzente, die sich durch die Sicht aus den eigenen Augen ergeben? Stellt man gewissermaßen „unscharf“ um mehr zu sehen, als man eigentlich mit seinen Augen sehen kann? Und ist das denn eigentlich möglich oder wird man nicht dadurch noch blinder?
Und außerdem: Wie sollen Menschen sich sonst erreichen, austauschen können?
Man kann sich gegenübersitzen und nur nonverbal kommunizieren. Verschafft das denn „wirklichere“ Klarheit? Sind nicht vielmehr die Bilder, die Deutungen des Verhaltens des anderen auch nicht minder subjektiv „erkannt“?
Gibt es denn überhaupt ein „Erkennen“? Dann müsste es ein „allgemeingültiges“ Sein geben, das hinter subjektivem Bild erkannt werden kann.
Das hieße aber, dass Erkennen nicht mit dem eigenen Blick, den eigenen Augen funktioniert.
Ich kann aber nur durch meine Augen sehen.
Jeder Versuch eines Menschen, durch die Augen eines anderen zu sehen, erfordert zwangsläufig einen Blick durch die eigenen Augen.
Ich bin nicht so wie Du.
Oder vielleicht doch?
Was nützt es, zu erkennen, dass man die Welt durch seine subjektive Brille individuelle betrachtet, wie niemand sonst, wenn man doch nie wirklich sehen kann, was andere Menschen sehen oder gar, wie die Welt an sich aussieht?
Oder existiert die Welt an sich eigentlich nicht, weil keine Augen sie ja auch schließlich nicht sehen können, und jeder Blick, der wahrnimmt und aufnimmt subjektiv ist?
Vielleicht gibt es also gar nichts zu erkennen, nur wahrzunehmen – ich nehme, was ich sehe, für wahr an. Und wenn es scheint, dass zwei Menschen etwas Gleiches oder sehr Ähnliches wahrnehmen, etwa, weil sie die gleichen Wörter benutzen oder vielleicht eine ähnliche „Verpackungswahrnehmung“ haben, kann man sich darüber austauschen, und doch, egal, was ich auch versuche, zu betrachten, sobald ich es tue ist zwangsläufig eine Subjektivierung die Folge.
Meine Subjektivierung.
Also gibt es vielleicht kein Objekt, sondern nur Subjekt, oder gibt es das Objekt auch, wenn keiner es sieht, wenn keiner es wahrnimmt?
Leuchten die Sterne und Augen erkennen sie, oder leuchten die Sterne weil Augen sie erkennen? (birnenpalme, ich hoffe, du erlaubst mir diesen Bezug auf einen deiner Texte...)




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