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-- Medienkritik & Kommunikation
--- Der Egomane im Internet

ArnoAbendschoen - 06.12.2010 um 21:11 Uhr

Der Egomane – es kann auch eine Egomanin sein – drängt sich nicht vor; er wird entdeckt. Er stellt Gedichte oder Prosa ins Netz und wartet dann wie eine Spinne. Wie diese verhält er sich lieber ruhig und kommentiert daher die Beiträge anderer gewöhnlich nicht. Endlich kommt die erste Reaktion auf einen seiner eigenen Texte. Mitautor XY hat irgendetwas Besonderes daran gefunden und schreibt zwei Zeilen dazu. Von jetzt an erhält XY regelmäßig Post vom Egomanen. Er schreibt ihm, sie seien doch Geistesverwandte, und lässt sich über die eigene Produktion weitschweifig aus. Diejenige des Geistesverwandten scheint ihn kaum zu interessieren. Er äußert sich nie zu dessen Veröffentlichungen.

Wenn er schreibt, benutzt er nur die Kleinschreibung. Das begründet er so: „Es geht schneller. Ich schreibe ja fast so schnell, wie ich spreche.“ Und es liest sich auch wie ein nicht redigiertes Selbstgespräch. Bei Meinungsdifferenzen erinnert seine Argumentation an ein Flächenbombardement mit Streubomben: wenig zielgenau, dafür bombastisch, statt überzeugend nur betäubend.

Der Egomane hat etwas von Mark Twain neu übersetzt. Er schickt es XY und fügt hinzu: „Lies auch seine Autobiographie, dann wird Dir vieles klarer.“ Darauf, dass XY die Autobiographie schon gelesen haben könnte, kommt er nicht. XY liest das Vorwort durch, das der Egomane zu seiner Übersetzung geschrieben hat, und findet: Er hat ihn oft missverstanden.

Wenn der Egomane selbst ein Buch veröffentlicht, muss er auch eine Homepage haben. Dort richtet er ein Gästebuch und ein Forum ein, Letzteres „für meine hoffentlich rasch wachsende Fangemeinde“, wie er formuliert. Im Gästebuch trägt sich zuerst seine Tante ein: „Ich grüße Dich, mein lieber Neffe (meine liebe Nichte).“ Ein Unbekannter lobt die graphische Gestaltung der Seite. Und das war es dort schon. Im Forum dauert es ein halbes Jahr, dann erscheint als erste und einzige überhaupt eine lange und abwägende Kritik von Z., der das Buch als einer von ganz Wenigen gekauft und gelesen hat. Z. hat gerade selbst ein Buch herausgebracht, doch das nimmt der Egomane durchaus nicht zur Kenntnis. Er will Leser und zwar Nur-Leser. Leser, die selbst schreiben, flößen ihm Grauen ein. In seinem Universum ist Platz nur für eine Sonne.




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