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-- Rezensionen II
--- Josef Foschepoth - Überwachtes Deutschland

ArnoAbendschoen - 21.01.2013 um 22:08 Uhr

Der eine oder andere mag im November 2012 den 3SAT-Kulturzeit-Beitrag über das kurz davor erschienene Buch gesehen haben. Er mag sich nach dieser Sendung von dem Band sensationelle Details aus der Praxis der Überwachung versprochen haben. In diesem Fall dürfte ihn das Buch vielleicht enttäuschen. Foschepoth selbst formuliert in der Einleitung seine Absicht so: „Gegenstand dieses Buches ist die historische Analyse und Deutung der Politik der Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs, ihres Entstehungs- und Wirkungszusammenhangs, ihre Konzipierung und Umsetzung …“ Der Satz ist noch viel länger, wird noch trockener und zeigt bereits die Eigenart des Autors.

Foschepoth ist Historiker, Universitätsprofessor in Freiburg. Wahrscheinlich ist er besessen von diesem weitgehend verdrängten Thema: Art und Umfang der Schnüffelei im Westen Deutschlands vor 1990. Er hat jahrelang fleißig in Archiven gearbeitet und viele bislang geheime Unterlagen ausgewertet. In der Tat legt er einen Bericht vor, der zu einer kritischen Überprüfung der Geschichtsschreibung der alten Bundesrepublik führen kann. Nur ist Foschepoth nicht der große, mitreißend formulierende Stilist, der sein Thema mit einem Schlag ins Zentrum der allgemeinen Debatte rückt. Mit diesem Buch muss der Leser sich Mühe geben, es ist geprägt vom Stil der Vorlesungen und Seminare. Der Autor bläut ein und der Leser bimst den Stoff… Vielleicht hat er schon nach der dritten Wiederholung begriffen, worin die Politik der doppelten Eindämmung bestand – es wird ihm noch viele weitere Male zu verdeutlichen versucht.

Der Autor geht chronologisch vor. Zunächst stellt er die Verhältnisse bis 1968 – auch so ein Wendejahr – dar, nacheinander die Post- und Telefonüberwachung seitens der Westmächte und die durch den westdeutschen Staat. Der Schwerpunkt liegt bereits hier beim Staats- und Verfassungsrechtlichen. Der Verlauf von Verhandlungen über die Ablösung des Besatzungsrechts wird sehr ausführlich behandelt. Man erkennt, wie sich das deutsche Recht zur Überwachung aus dem Besatzungsrecht der Nachkriegszeit herleitete – und wie wenig es auf dem Grundgesetz fußte, ja mit diesem immer wieder in Konflikt geriet. Die Praxis von Post und Geheimdiensten in jenen gut zwei Jahrzehnten kommt dennoch nicht zu kurz. Foschepoth konnte zahlreiche und ergiebige Quellen auswerten. Erstaunt und befremdet erfährt man, welche Massen von Postgut damals überwacht, zensiert und zu einem Gutteil auch vernichtet wurden. Es geht immer um Millionen, um –zig Millionen, um hundert Millionen und mehr. Wie gut geölt diese Apparate waren, hervorragend durchorganisiert …

Viel Raum nimmt danach die Darstellung der Abhöraffäre von 1963/1964 ein, noch mehr die der Notstands- und G 10-Gesetzgebung von 1968, hier vor allem auch der politisch-parlamentarische Weg dorthin. Gerade bei Letzterem hätte man sich als interessierter Laie und damaliger Zeitgenosse eine straffere Darstellung gewünscht, auch mehr Bezug zur Öffentlichkeit seinerzeit. Das Buch scheint sich in diesen Abschnitten fast nur an ein kleines Fachpublikum zu wenden. Angenehm überrascht war der Rezensent dann allerdings, wie die Rechtsprechung zu jenen einschneidenden Grundgesetzänderungen präsentiert wird. Das wiederum ist fast spannend zu lesen.

Das folgende Kapitel ist der Überwachungspraxis bis 1989 gewidmet. Für diesen Zeitraum waren dem Autor die meisten Archive verschlossen, insbesondere die der beteiligten deutschen wie alliierten Geheimdienste. Es bleibt offen, ob die Forschung insoweit später mehr ans Licht bringen kann. Entsprechend der Gesetzgebung von 1968 dürften ein Großteil der gewonnenen Informationen wie auch die Spuren ihrer Gewinnung frühzeitig vernichtet worden sein. Unterdrücken, löschen, schreddern, so erfahren wir hier nebenbei, das sind keine Pannen, es hat System, gehört zum Wesen dieser Arbeit. Foschepoth behilft sich damit, die zahlreichen Affären (Fall Traube usw.) anhand ihrer Aufdeckung in den Leitmedien Spiegel, Zeit, Stern usw. zu dokumentieren.

Der Autor wirft noch kurz einen Seitenblick auf Situation und Praxis der DDR und kommt zu dem Ergebnis, die Überwachung dort sei zwar sehr ambitioniert gewesen, doch in der Realität aufgrund materieller wie technischer Unterlegenheit mit der des viel effektiveren Westen nicht vergleichbar. Schockiert uns das? Ja, das sollte es. Er regt dazu, wie in seinem abschließenden Resümee ganz allgemein, neue Forschungsprojekte an. In der Tat: Was das Buch aufdeckt und anstößt, es sollte uns umtreiben, nicht nur um der historischen Wahrheit willen. Die Rechtslage hat sich seit 1990 nur wenig geändert, die Praxis vermutlich auch nicht.

Ein Wort noch zum mangelhaften Lektorat bzw. Korrektorat. Zahllos sind die Kommafehler. („Ohne das eine, war jedoch das andere nicht zu haben.“) Der Text schwankt zwischen „Rechtstaatlichkeit“ und „Rechtsstaatlichkeit“. Er liebt falsche Konjunktionen, z.B. „um“ anstelle von „so dass“. Die trockene Lektüre wird durch lustige Verschreiber aufgelockert: Ein bayrischer Regierungsbezirk? Die „Opferpfalz“. Die Grünen? Waren noch nicht „anvaciert“. „In Elm“ legt die Annahme eines Ortes nahe – es handelt sich um ein kleines Gebirge. Weniger amüsant ist es, wenn aus im Anhang abgedrucktem Dokument sinnverfälschend im Haupttext so zitiert wird: „ … ganz nach dem Gutdünken der Zensur oder Anweisung des Absenders oder Empfängers.“ Richtig muss es heißen: ohne Anweisung. Und wirklich ärgerlich sind häufige falsche Bezüge oder misslungene bzw. verstümmelte Satzkonstruktionen. Im Fall von hoffentlich erfolgender Neuauflage sollte das Buch Seite für Seite auf solche Schnitzer hin durchgesehen werden.

(Das Buch „Überwachtes Deutschland – Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik“ von Josef Foschepoth ist 2012 im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht erschienen und kostet EUR 34,99.)




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