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--- Andrew Holleran - Tänzer der Nacht

ArnoAbendschoen - 27.01.2015 um 18:14 Uhr

„Dancer from the Dance“, wie der Originaltitel lautet, erschien 1978 und war einer der ersten drei großen Romane über die US-amerikanische Schwulenszene, die sich nach Stonewall stark entwickelt hatte. Im New York der siebziger Jahre war sie nicht nur ein quantitativer Faktor, sie trat auch ins öffentliche Bewusstsein und prägte als Community mit eigenem Lebensstil mehrere Stadtviertel wie auch einige Badeorte am Atlantik. Jene Jahre waren geprägt von Hedonismus und exzessiver Selbstverwirklichung, durchaus verständlich nach generationenlanger Unterdrückung. Holleran wurde mit seinem Erstling, der ihn berühmt machte, Chronist wie auch schon Kritiker jener bunten Welt.

Der Erfolg des Buches ist leicht zu verstehen. Die Eingeweihten fanden erstmals ihre Lebenswirklichkeit literarisch gestaltet, und zwar in aller Breite, und interessierte Außenstehende konnten tiefe Einblicke in eine für sie exotische Welt erhalten. Ohne Zweifel hat das Werk seine großen Qualitäten. Es ist farbig, reich an Gestalten wie an tieferen Einsichten. Nur als kleine Kostprobe: „In einem Land, in dem man nur das ist, was man macht (einem Land von Arbeitern) oder das Geld, das man besitzt, hatte Malone genauso wie wir aufgehört, überhaupt irgendeine Identität zu haben. Er war jetzt einfach ein Lächeln, eine Kollektion guter Manieren, eine wehmütige Verheißung, ebenso flüchtig wie die Brise, die ihm gerade die Haare aus der Stirn blies …“ (S. 205)

Der Roman ist die Geschichte von Malone und Sutherland, zwei platonischen Freunden, der eine ein attraktiver, gescheiter Ex-Anwalt, den seine hochromantische Jagd nach Liebe nicht nur die bürgerliche Existenz kostet, sondern schließlich desillusioniert wie ausgehöhlt zurücklässt – der andere ein hochkultivierter Zyniker - Drogenhändler und Dragqueen -, ganz dem Oberflächenreiz hingegeben, reif für den Tod. Mit ihnen erleben wir zehn Jahre in Manhattan und auf Fire Island und die Subkultur jener Zeit. Holleran gelingen großartige Passagen, blendend formuliert und von hoher analytischer Qualität. Dazu gehört etwa jener Teil des zweiten Kapitels, in dem Sutherland mit dem Millionenerben John Schaeffer, den er unter seine Fittiche nimmt, in einer populären Disco auf dem Sofa sitzt und den Neuling in die Szene einführt. Das ist eine Situation ganz à la Proust, dennoch originell und kraftvoll. Viele ähnlich überzeugende Abschnitte folgen, seitenlang oder nur wenige Sätze umfassend. Dennoch: Als Ganzes erscheint der Roman nicht wirklich geglückt …

Da ist zunächst die formale Seite. Die Erzählperspektiven gehen ein wenig durcheinander oder bleiben schwache Vorwände. Der Hauptteil des Romans ist eingekleidet vom Briefwechsel zweier Freunde, der eine hat sich aufs Land zurückgezogen, der andere berichtet ihm vom Fortgang des Geschehens in New York und schickt ihm einen Roman, den er über jene Welt geschrieben hat. Ihre Korrespondenz ähnelt, besonders zum Ende hin, mehr und mehr einem Selbstgespräch des Autors. Die Briefpartner erscheinen nun miteinander und mit dem Ich-Erzähler des Romans innerlich fast identisch. Letzterer ist eine in die Romanhandlung schwer einzuordnende, blasse Nebenfigur, die zufällig immer dann als Augen- und Ohrenzeuge zur Stelle ist, wenn Malone und Sutherland Bemerkenswertes tun, erleben oder sagen. Gleichzeitig ist er noch Mitglied eines anonymen Chores von weiteren Gruppenmitgliedern. Über lange Strecken bleibt der Ich-Erzähler ganz aus dem Spiel, weiß aber seltsamerweise über die Helden wie ihre fernste Vergangenheit stets gut Bescheid.

Dem Leser fallen im Verlauf des Romans sachliche Widersprüche auf. So ist John Schaeffer später „der hübsche junge Mann“ (S. 158) oder „das Idealbild eines gutaussehenden Amerikaners“ (S. 180), während er davor als „dünner bleicher Junge mit Hornbrille“ vorgestellt wurde (S. 41). Auch mit der zeitlichen Abfolge der Ereignisse hapert es gelegentlich. So lebt Malone 1972 vor seinem Coming-out in Washington (S. 60) – andererseits soll er in einer schon 1971 in New York eröffneten Schwulendisco von Anfang an mit Sutherland dabei gewesen sein (S. 102, 103).

Sowohl Malone wie auch Sutherland sind als Figuren nicht wirklich glaubwürdig. Bei Malone vermisst man eine insgesamt nachvollziehbare Entwicklung. Während sein inneres Coming-out überzeugend dargestellt ist, erscheint der Prozess seiner späteren Desillusionierung wie im Zeitraffer, abwechselnd in rasender Geschwindigkeit oder komplett angehalten. Sutherland dagegen ist das Endprodukt einer so tollen Biographie, wie sie schwerlich ein einzelner Sterblicher in sein Erdendasein pressen kann. Nun hat der Roman den Anspruch, vor allem Satire zu sein, und das ist er wohl auch, aber zu oft unterbrochen von psychologischem Realismus oder ausgesprochen realistischen Milieuschilderungen. Holleran weiß auch das Stadtbild oder das Wetter oder Küstenimpressionen gut zu vermitteln – und verwässert damit die Satire. So haben wir es mit einem Hohlspiegel zu tun, der partiell die Wirklichkeit irritierend exakt wiedergibt. Auf der anderen Seite ist dann wieder zu viel komponierte Koinzidenz in der Handlung: Sutherland stirbt den Drogentod, gleichzeitig verschwindet Malone in einer ungeheuren Weite des Raumes, und dann brennt es in derselben Nacht auch noch in der Everard-Sauna. Diese Katastrophe (mit neun Toten) hat es tatsächlich am 25. Mai 1977 gegeben. Holleran verlegt sie in den Spätsommer und gibt die Opferzahl mit zwölf an. Wozu?

Gelegentlich mischen sich weitere Zweifel in das Missvergnügen des Lesers. Schimmert nicht hier und da schwuler Selbsthass auf? Da gibt es auf Seite 183 eine Parkszene, die den Ich-Erzähler zu einer Analyse voller Verachtung, also Selbstverachtung, verführt. Oder man fragt sich, welche Rolle die Reste katholischer Sexualmoral spielen, etwa wenn der Begriff „unfruchtbar“ ins Spiel kommt (S. 226). Dann das konventionelle Verständnis der Geschlechterrollen und ihre Übertragung auf die schwule Welt – wie antiquiert das schon damals war … (Umgekehrt spielt Gay Liberation eine allzu marginale Rolle.) Gern würde man sich mit der Versicherung beruhigen, jene Stellen gäben allein die Position einer literarischen Figur wieder, doch spricht nicht der Autor gerade hier durch sie?

Der Roman als Ganzes leidet unter Grundwidersprüchen, die zu ungeschickt dargestellt sind, als dass sie als dialektisches Moment ästhetisch befriedigend wirken könnten. Der korrespondierende Romanschreiber will so ursprünglich nur herausgehobene tragische Einzelschicksale darstellen – tatsächlich geraten ihm die anonymen Massen jener Zeit häufig ins Blickfeld, und sein Briefpartner lobt dies später auch ausdrücklich. Ähnlich widerspruchsvoll ist auch die Schlussmoral, die jener „Paul“ auf den letzten zwei Seiten zu ziehen versucht: sich von der Subkultur ab- und real tätigem Leben zuwenden – oder doch jenes Milieu als Ausdruck reiner Vitalität bewusst miterleben und –gestalten? Die Frage bleibt offen wie die Wirkung des Romans auf einen heute insgesamt seltsam ambivalent.

(Zitiert wurde nach der Übersetzung von Gerd-Christian von Maltzahn / Stefan Troßbach – Deutsche Taschenbuchausgabe von 1985.)




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