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-- Lektüregespräche
--- August 2016

Kenon - 16.08.2016 um 09:20 Uhr

Joseph Roth - Das falsche Gewicht. Die Geschichte eines Eichmeisters.

Eine Erzählung veröffentlicht im Jahre 1937. Aus dem mährischen Nikolsburg (Mikulov) kommend, wird der Eichmeister Eibenschütz in den Osten des Habsburgerreiches nach "Zlotogrod" versetzt und erlebt dort erst den Niedergang seiner Ehe, dann seinen eigenen.

Zitat:

Herz habe ich nicht im Dienst

Dazu:
Am Rande des Reiches (Die Zeit, 16.09.1999)
Die ukrainische Stadt Brody war die Heimat des Journalisten und Schriftstellers Joseph Roth




Itzikuo_Peng - 22.08.2016 um 13:45 Uhr

An diesem schönen, kühlen Tag habe ich mir mal wieder meine beiden insel taschenbuch Taschenbücher von Heine Sämtliche Gedichte und Hölderlin Die Gedichte aus dem realen Regal gezogen, beide habe ich Anfang der 2000er Jahre begonnen, von vorne bis hinten zu lesen, was natürlich aufgrund der Stofffülle (bei mir) Jahre dauert. Mit Heine bin ich fast durch, Hölderin im ersten Drittel.

Doch beide erfreuen mich regelmäßig. So z. B. die Hölderlin-Zeilen aus dem Gedicht An die Stille

[Quote]Dort im waldumkränzten Schattentale
Schlürft´ ich, schlummernd unter´m Rosenstrauch
Trunkenheit aus deiner Götterschale,
Angeweht von deinem Liebeshauch.[/Quote]

Dies veranlasste mich, inspiriert wie Hölle, Dauer-Onliner, auf Facebook meinen Status in Ermangelung eines dort anklickbaren adäquaten Symbols als "fühlt sich heute so heine hölderlin" zu bezeichnen.

Damit konnten viele meiner facebookigen Freunde nicht viel anfangen, im Zeitalter des Click-and-Rush kein Wunder. Naja, ich habe nicht viele Freunde dort, weder auf Facebook noch im echten Leben. Eine Handvoll genügt. Und meist habe ich es eh lieber mit toten Dichtern, die ich seelenverwandt nennen kann, ohne dass sie widersprechen.




Kenon - 22.08.2016 um 21:05 Uhr

Als Auflockerung zu Joseph Roths Gesamtwerk:

Arkady Ostrovsky - The Invention of Russia: The Journey
from Gorbachev´s Freedom to Putin´s War

Russland ist ein dunkles Rätsel. Der Autor Arkady Ostrovsky, Gewinner des Orwell Prize 2016, versucht in seiner Monographie zu erklären, warum es heute wieder von einem Diktator regiert wird, der seine Untertanen mit der verlogensten Staatspropaganda an der Nase herumführen kann und der durch sein Wirken vor allem außerhalb der legitimen russischen Grenzen zu einer der größten Gefahren für den Frieden in der Welt geworden ist. Die meisten Russen haben leider gar nichts aus ihrer leidvollen Geschichte gelernt.

Zu Hölderlin:

Seine langen Gedichte sind mir meist zu sperrig, nicht konzentriert genug, doch nicht ohne Diamanten.

Zitat:

Liebe trümmert Felsen nieder,
Zaubert Paradiese hin,
Schaffet Erd und Himmel wieder –
Göttlich, wie im Anbeginn.




ArnoAbendschoen - 25.08.2016 um 22:14 Uhr

Um auf das Eröffnungsthema zurückzukommen: Diese Erzählung, vor Jahrzehnten gelesen, hat keinerlei Spuren in meinem Gedächtnis hinterlassen, im Unterschied zu anderen Werken von Roth (Radetzkymarsch, Kapuzinergruft). Durch Blättern und mit Hilfe von Wikipedia versuche ich, den Anschluss wieder zu gewinnen ...

Es ist wohl eine der letzten von ihm geschriebenen Texte und mir scheint, man merkt ihm den Abstieg des Schriftstellers Roth infolge des Alkoholismus deutlich an (wie übrigens auch der Kapuzinerguft). Da finden sich bemerkenswert banale Formulierungen, die er als guter Stilist früher gewiss vermieden oder korrigiert hätte. Kapitel XXXI fängt so an: "Es wurde immer schlimmer." Zu Beginn von XLI: " ... und, wie man zu sagen pflegte: kein Hahn krähte nach ihm."

Für wen ist der formal so betulich realistische Text geschrieben? Offenbar für ein sehr breites, unkritisches Lesepublikum. Inhaltlich werden Massen von skandalösen Ereignissen und Zuständen aufeinandergetürmt und ineinander verwoben, typisches Kennzeichen von Trivialliteratur.

Und was mir persönlich inzwischen nur noch peinlich ist: diese verdruckste Misogynie bei Roth.
Allerdings: Einem, der den großartigen Radetzkymarsch geschrieben hat, sieht man fast alles nach.

Arno Abendschön




Kenon - 26.08.2016 um 00:42 Uhr

"Das falsche Gewicht" als Trivialliteratur einzuordnen halte ich für ein recht hartes Urteil. Für mich ist die Erzählung noch gut genug gewesen, allerdings habe ich offensichtlich auch keine besonders hohen Ansprüche. Dass der Autor dem Alkohol verfallen ist, mag traurig sein und sich in seinen Werken widerspiegeln - der Eichmeister geht ja den selben Weg, kein Wunder, wenn es in Zlotogrod an jeder Ecke "Neunziggrädigen" gibt. Das kann man als Leser mit sicherem Abstand verfolgen, ich halte es für lesenswert und finde es bspw. auch nicht banal, wenn Eibenschütz vor sich rechtfertigt, dass er sich nur noch jeden zweiten Tag rasiert. Natürlich zerfasern Roth die Erzählungen manchmal und verlieren an Spannkraft, aber sie sind noch immer besser als vieles, was sonst zur Wahl steht. Roth war ein sehr talentierter Erzähler.

Eigentlich wollte ich nur Roths "Reisen in die Ukraine und nach Russland" lesen, nun lese ich alles von hinten nach vorn. Angefangen hat es einmal mit "Hotel Savoy", in dem ich in Łódź dann auch übernachtet habe. Den "Liftjungen" gibt es immer noch - aber wer weiß, wie lange das Hotel durchhält. Es war nicht sehr viel Betrieb.




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