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-- Prosa
--- Lasst uns ein Einkaufszentrum bauen

ArnoAbendschoen - 12.10.2016 um 23:24 Uhr

(Wo Berliner einkaufen, jenseits von KaDeWe und Galeries Lafayette)

Das ist schon lange nicht mehr so: Wenn drei Deutsche zusammenkommen, gründen sie einen Verein … Heute kann man stattdessen sagen: Wenn zehntausend Berliner beieinander wohnen, bekommen sie ein Einkaufszentrum. Ich bin schon in mindestens drei Dutzend solcher Paläste gewesen. Als ich früher mal gute Worte für das Alexa am Alexanderplatz einlegte, bekam ich einiges zu lesen: Wie kann man nur … Eine Zeitung schmähte das Alexa als „architektonische Todsünde in Schweinchenrosa“, doch ich widerrufe nichts. Mit seinen einfalls- wie abwechslungsreich gut durchgestalteten Details überragt das Alexa die Masse dieser Kaufkraftstaubsauger bei weitem.

Wenn Sie sich richtig gruseln wollen, dann besuchen Sie DAS SCHLOSS in Steglitz, schräg gegenüber vom Steglitzer Kreisel. Bei dieser Gelegenheit: Falls Sie Bedarf an einem leer gezogenen, asbestverseuchten Hochhaus hätten – bitte sehr, es war bis vor kurzem wohlfeil zu haben. Alles andere bekommt man im SCHLOSS. Ich kam aus dem Staunen nicht heraus: Die Steglitzer, Lankwitzer und all die anderen bummeln durch dieses große Einkaufszentrum, als wäre es nicht eine einzige Absurdität. Da hat man in eine lange Reihe mediokrer Geschäftshäuser wahrhaftig ein Disneyland-Schloss hineingequetscht, ein Edel-Ramsch-Versailles mit imperialer Fassade und im Innern strotzend von neobarocken Scheußlichkeiten. Hier könnte ein Märchengruselfilm für Vier- bis Sechsjährige gedreht werden: Froschkönigs Rache.

Das positive Gegenbeispiel sind die Tegeler Hallen am Borsigturm. Wo früher Dampflokomotiven hergestellt wurden, brummt jetzt das Geschäft in einem Seele wie Geldbeutel weitenden großen Gehäuse - so schön können technische Relikte und Zitate sein. Man sieht geradezu den Zusammenhang von Produktivität und Konsum. Hier ist nichts pseudoästhetisch, jedes Detail ist historisch oder zeitgemäß funktional und erfreulich für das Auge. Die großzügigen Dimensionen wirken Stress und Hektik entgegen. Wo so viel Platz ist, gibt es nicht das übliche Gedränge. Der große Hermann Tietz irrte, als er sagte: Die Ärsche müssen sich reiben (- damit es mit dem Umsatz klappt). Es geht auch anders.

Zurück zur Steglitzer Schlossstraße. Dort haben sie noch drei weitere Einkaufszentren, den Boulevard Berlin in der Mitte, das SSC und das Forum Steglitz am anderen Ende der Straße, vom SCHLOSS aus gesehen, letztere gleich nebeneinander. Diese beiden rufen wehmütige Erinnerungen in mir wach. An der Stelle des einen befand sich vor Jahrzehnten das Kaufhaus Held, in dessen Imbiss der junge Abendschön sich mittags eine Zeitlang verköstigte, oft mit sämiger Erbsensuppe und fetter Wursteinlage, wozu ein Malzbier gereicht wurde. (Ich war noch sehr mager.) Die hübsche Mamsell hinter dem Büfett war eine lebhafte Schwarzhaarige, und ein boshafter Kollege unterstellte mir „’n Hang fürs Küchenpersonal“ …

Später ging ich ins Forum Steglitz essen, die Erstgeburt unter den Steglitzer Einkaufszentren. Ich erkenne es nach seinem Umbau nicht wieder, im Innern schon gar nicht. Gewiss, man drängelt sich noch immer, aber in welch geschmackvollem Ambiente heute. Nein, so durchgestylt war es damals nicht. Ich suche die Retirade im Tiefgeschoss auf und beim Passieren eines Ganges fallen mir Fotos an der Wand auf: das Forum einst und jetzt. Da hängt ein Bild, betitelt: Rolltreppen im Forum Steglitz 1975. (Es waren übrigens keine Rolltreppen, sondern Laufbänder, die uns auf- und abwärts beförderten.) Ich schaue gebannt hin: Ob ich vielleicht auf dem Bild bin? Nein, in dieser Masse Mensch stecke ich zufällig nicht. Sie sehen alle aus, wie man sich DDR-Bürger zu Unrecht gern vorstellt: graue, uniforme Mäuse. Das Bild ist das einzige Schwarzweiß-Foto unter lauter farbigen. Hätte ich einen Kugelschreiber, würde ich daneben schreiben: Alles Lüge, so farblos waren wir gar nicht!

Spandau hat die Arcaden und Marzahn das Eastgate, Lichtenberg das Allee Center und an der Grenze zu Friedrichshain das Ring Center I, II und III. In der Wilmersdorfer ist eines wie am Potsdamer oder am Leipziger Platz und an jeder zweiten oder dritten Ecke noch eins. Oder es wird gerade gebaut oder geplant. Berlin wird immer mehr zu einer Milchstraße von Einkaufszentren …

James Joyce ironisiert im „Ulysses“ die zivilisatorischen Tendenzen der Briten in den Kolonien, indem er ein bekanntes Bibelzitat verfremdet: „Hier ist gut sein. Lasst uns ein Wasserklosett bauen.“ In Berlin, vielleicht der Stadt mit der höchsten Centerdichte weltweit, denken sie heute: Hier ist gut sein. Lasst uns ein Einkaufszentrum bauen.




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