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-- Rezensionen II
--- Liselotte von der Pfalz - Autonomie im Lamento

ArnoAbendschoen - 23.10.2018 um 23:46 Uhr

In der Barockzeit war Zwangsverheiratung von Fürstenkindern nichts Ungewöhnliches. Politisch-dynastische Gründe führten zu manchen Ehen, die keineswegs auf Zuneigung der Brautleute beruhten und zwangsläufig oft unharmonisch verliefen. Der Fall der Liselotte von der Pfalz (1652 – 1722), Tochter des pfälzischen Kurfürsten, ist ein besonders krasses Beispiel. Knapp neunzehnjährig musste sie den Hof in Heidelberg verlassen, um den ihr bis dahin unbekannten Philippe d’Orléans, den jüngeren Bruder Ludwigs XIV., zu heiraten. Mit der Übersiedelung in das fremde Land war auch der Wechsel der Konfession verbunden, die Calvinistin wurde Katholikin, ohne ihre reformierten Überzeugungen jemals aufzugeben. Die Ehe wurde zur permanenten Katastrophe. Ihr Mann war offen homosexuell und bis an sein Ende 1701 abhängig von seinen Geliebten, die ihrerseits Liselotte fortwährend zu schaden suchten. Über Koitus und Kinderzeugen schreibt sie tief frustriert 1718 an ihre Halbschwester Louise:

„ … denn es ist in allem im anfang und end ein gar heßlich und gefehrliches und schmutziges handwerk, so mir nie gefallen. M. de Chasteautier sagt als, daß, wenn man jemands den heurat verleyden wolle, müsse man mich davon (reden machen) worauf die Rotzenheuserin antwort, daß ich nie recht geheurat gewesen und nicht wüßte, was ein rechter heurat sei mit einem mann, von dem man verliebt ist und der einem wieder liebt, daß dies alles endert und anderst macht.“

Von ihren drei Kindern mit Philippe erreichten zwei das Erwachsenenalter und wurden ihrerseits aus dynastischen Gründen verheiratet, im Fall des Sohnes gegen Liselottes ausdrücklichen Willen. Die familiären Spannungen untergruben ihre Stellung am Hof und das Verhältnis zum König, die anfangs erträglich gewesen waren. Verheerend wirkte sich auch ihr Hass auf Madame de Maintenon aus, die letzte Mätresse und spätere heimliche Ehefrau des Sonnenkönigs. All das kulminierte im Pfälzischen Erbfolgekrieg, als französische Armeen unter Berufung auf angebliche Ansprüche der Kurfürstentochter große Teile Südwestdeutschlands verwüsteten. Liselotte war ohne Einfluss auf die Kriegspolitik, unter deren Folgen sie sehr litt.

Von ihren siebzig Lebensjahren hat sie gut fünfzig unter solchen Bedingungen am französischen Hof verbracht. Wie hat sie es ausgehalten? Sie ging viel spazieren, sie ritt gern und ging zeitweise auf die Jagd. Sie liebte Hunde und das Theater. Schon als junge Ehefrau wollte sie in ein Kloster eintreten, der König verbot es, ebenso wie später die Übersiedelung zu ihrer Tochter an den Lothringer Hof. In ihren Briefen taucht ab und zu die Utopie einer Rückkehr nach Deutschland auf. Sie weiß, dass das nie geschehen und sie ihre Verwandten im Leben nicht mehr sehen wird. Stattdessen schreibt sie ihnen jahrzehntelang Briefe. Saint-Simon charakterisiert sie in seinen Erinnerungen so:

„Oft aber mied sie schmollend die Gesellschaft, wo sie wegen ihrer schroffen und ungeselligen Art wie auch wegen ihrer bissigen Bemerkungen gefürchtet war, und verbrachte dann in einem Raum, den sie sich ausgesucht hatte und dessen Fenster mehr als zehn Fuß über der Erde lagen, den ganzen Tag damit, die Porträts der Pfälzer Kurfürsten und anderer deutscher Fürsten, mit denen sie die Wände vollgehängt hatte, zu betrachten; und jeden Tag ihres Lebens schrieb sie mit eigener Hand ganze Bände von Briefen, von denen sie auch selbst Kopien anfertigte und aufbewahrte.“

Liselotte schrieb also vor allem Briefe, es sollen etwa 60.000 gewesen sein, von denen rund 5.000 erhalten blieben. Alt und krank analysiert sie 1721 in einem Brief an Louise die Funktion dieser Korrespondenz für sie:

„Ich kann nicht leben, ohne gar nichts zu tun; arbeyten noch spinnen kann ich ohnmöglich, allezeit plauderen were mir unerträglich und würde mir mehr schaden, als das schreiben; allezeit lesen kann ich auch nicht, mein Hirnkasten ist zu verwirrt, umb mich im lesen zu applizieren können; schreiben amusiert mich und gibt meinen trauerigen gedanken distraction.“

Der Arzt hat ihr nun das nächtliche Schreiben verboten, das sie lange Zeit, wie sie der Halbschwester gesteht, „bis um 4 oder 5 morgens“ betrieben hatte. Dass ihr Bienenfleiß der ministeriell angeordneten Postüberwachung jahrzehntelang viel Arbeit machte, wusste sie. Sie nahm durchaus Rücksicht, übte Selbstzensur und trieb gleichzeitig ihr Spiel mit den Kontrolleuren. Sie schrieb den deutschen Verwandten Intimstes über die anderen Großen am französischen Hof. Dabei fällt im Lauf der Zeit eine gewisse Ambivalenz ihrer Urteile auf, gerade auch über ihren Mann, ihre Kinder oder den König.

Was sind Gehalt und Ertrag einer Existenz, die sich so im Briefeschreiben verwirklichte? Die Korrespondenz dieser nach der Quantität größten deutschen Briefautorin hat zwar großen kulturhistorischen, aber kaum literarischen Wert. Ihre Brieftexte sind das Gegenteil von Kunstprosa. Liselotte schreibt, wie sie mit den Adressaten – es sind zumeist Frauen – reden würde. Es ist im Wesentlichen das Dauerlamento einer Unglücklichen, die sich selbst zum Durchhalten auffordert und in den Antworten Zuspruch und Aufmunterung erwartet und empfängt. Auf diese Weise baut sie sich eine geistige Gegenwelt zum Höfisch-Materiellen auf, das sie unbefriedigt lässt. Sie erreicht auf diesem Umweg die ihr einzig mögliche Art von Autonomie.

Liselottes Horizont umfasst durchaus auch Unpersönliches. Gelegentlich schreibt sie über Literatur, Staat oder Religion. Ihre Kritik des Klerus fällt vernichtend aus. Aus einem Brief von 1719 an Louise:

„Wer sich etwas guts von pfaffen und mönchen versicht, wird wohl betrogen. Nichts in der Welt ist schlimmer, als dass … nämblich pfaffen und mönchen; wollen allezeit regieren. Alle geistliche, in welcher religion es auch sein mag, seind ambitieux und wollen allezeit regieren, wo sie sein; das gibt ihnen der teufel ein, sie zu ertappen.“

Nach dem Tod des Sonnenkönigs 1715 scheinen ihre letzten Jahre etwas leichter. Ihr Sohn ist jetzt Regent für den minderjährigen Ludwig XV. Dennoch neigt sich die Waage zur negativen Lebensbilanz. Liselotte schwankt zwischen Altersdepression und Gottergebenheit. Eineinhalb Jahre vor ihrem Tod schreibt sie der Halbschwester:

„Könnte ich jemands zu etwas gut sein, würde meine gesundheit mir lieb sein; allein, liebe Louise, dies glück habe ich leyder nicht, bin also das leben satt, ergebe mich in den willen des allmächtigen und schleppe mein leben so fort, bis es gottes wille sein wird, mich davon zu erlösen.“

Liselotte schrieb weder für die Öffentlichkeit noch für die Nachwelt. Dennoch wurden ab 1788 immer wieder Sammlungen ihrer Briefe veröffentlicht, wissenschaftlich untersucht und auch ideologisch missbraucht. Sie wurde die Kronzeugin der deutschen Nationalbewussten des 19. Jahrhundert und diente auch, indem von französischer Sittenverderbnis die Rede war, diskreter Homophobie. Dabei blieb unbeachtet, dass Liselotte aufgrund ihrer gesamten Lebenssituation nicht objektiv sein, nicht objektiv berichten konnte. Sie setzt die Pfalz mit Deutschland gleich und blendet in der verklärenden Erinnerung an ihre Jugend die allgemeine Misere nach dem Dreißigjährigen Krieg völlig aus. Sie idealisiert so sehr, dass es zum Lachen reizen kann, z.B. wenn sie 1722 Louise über die Nachtigallen in Frankreich schreibt:

„Ich glaube, ich habe Euch schon gesagt, daß sie bei weitem nicht so starke stimmen haben, noch so lang schlagen, als bei uns. Alle tier, vögel und vierfüßige tier, seind kleiner und schwächer hier, als bei uns; das wildbret hat auch den rechten geschmack nicht, ist drucken und zehe.“

Liselotte war der Prototyp des ohnmächtig Einsamen, der nur die Luft einer von ihm selbst erzeugten Atmosphäre atmet. All das Schreiben hat dann eine Tendenz zum Unfruchtbaren. Allerdings ist Liselotte auf eine andere Weise doch fruchtbar gewesen - sie war die Stammmutter vieler europäischer Monarchen. Ihr Urururenkel Louis Philippe wurde Bürgerkönig der Franzosen. Aber das ist eine andere melancholische Geschichte.

(Zitate der Liselotte nach dem Auswahlband von Helmuth Kiesel in dessen reformierter Orthographie. Das Saint-Simon-Zitat in der Übersetzung von Norbert Schweigert.)




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