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-- Aesthetik
--- Beach Rats - Film von Eliza Hittman

ArnoAbendschoen - 01.03.2019 um 23:47 Uhr

Für die in Brooklyn geborene und aufgewachsene Filmemacherin Eliza Hittman war „Beach Rats“, herausgekommen 2017, erst der zweite Spielfilm. Sie schrieb auch das Drehbuch und siedelte die Handlung in ihr bekannten Milieus an. Die meisten Szenen spielen am Strand von Coney Island oder an nahe gelegenen Küstenabschnitten oder in Stadtvierteln ganz im Süden von Brooklyn. Bevölkert ist der Film von Durchschnittstypen aus etwas heruntergekommenen New Yorker Vororten. Diese Menschen reden die knappe, prosaische Alltagssprache und was sie erleben, ist nicht wirklich spektakulär. Der Film ist also sehr nahe dran an der Realität von heute. Umso beeindruckender ist die ungewöhnliche ästhetische Umsetzung der Filmhandlung.

Frankie (Harris Dickinson) lebt mit seiner jüngeren Schwester noch bei den Eltern in einem älteren Reihenhaus. Der kleine Garten dahinter ist verwahrlost. Der Vater hat Krebs und stirbt bald. Es sind Sommerferien und Frankie verbringt viel Zeit mit drei Kumpels am Strand oder in Kneipen. Frankie scheint gut zu ihnen zu passen, zu ihrer leicht großmäuligen Anspruchslosigkeit, ihrem Interesse an jungen Frauen, das kaum einmal erwidert wird, und ihrem hohen Drogenkonsum. Dann wirft Simone (Madeline Weinstein) ein Auge auf Frankie und der lässt sich nach anfänglichem Zögern auf sie ein. Er tut das vor allem, um seine Stellung innerhalb des Jungmännerquartetts zu festigen. Doch Simone hat ihn und seine von ihr mehr erahnte als klar erkannte Problematik bald satt und trennt sich von ihm.

Frankies Rückseite, die weder die Kumpels noch Simone kennen, sieht so aus: Er ist insgeheim an Männern um die fünfzig interessiert und sucht über ein Dating-Portal passende sexuelle Kontakte. Sein Doppelleben behagt ihm keineswegs. Daher unternimmt er einen ungeschickten Versuch, sich den Freunden zu offenbaren, die beiden grundverschiedenen Milieus sich ein wenig annähern zu lassen – mit der fatalen Folge eines gemeinschaftlich begangenen Raubüberfalls. Am Ende sehen wir Frankie allein, isoliert im Vergnügungspark. Wie er sein Leben künftig führen wird, bleibt offen.

Erregender als die Handlung ist die Bildersprache. Frankie lebt in einer Welt, die nur aus Teilansichten, Fragmenten, Rudimenten zu bestehen scheint. Man möchte den alten Satz, wonach das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile, umkehren. Hier sind die Ausschnitte der Realität absolut, irgendein Zusammenhang oder gar eine Totalität undenkbar. Die Kameraführung folgt konsequent diesem bildästhetischen Programm, ist besessen davon, uns Details von Körpern, Gesichtern, Innenräumen zu zeigen. Einem Kritiker fiel dazu das Wort „klaustrophobisch“ ein. In der Tat ist der Film atmosphärisch bedrückend. Die Kamera zeigt den sterbenskranken Vater zusammengekrümmt von der Seite und verweilt nach der Beerdigung auf einem Teil des schwarzbestrumpften mütterlichen Beins. Besonders krass die im Internet sich feilbietenden reiferen Männer: reihenweise und unverbunden lauter Torsi aus Bäuchen, Schenkeln, grimassierenden und schlecht beleuchteten Gesichtern und natürlich Genitalien. Dieser New York-Film kommt ohne jedes Hochhaus aus, obwohl selbst in Coney Island viele stehen. Einmal gerät kurz die nächtlich beleuchtete Freiheitsstatue ins Bild – wie eine ironische Ankündigung kommenden Unheils. Die Clique kreuzt gerade auf einem Tanzschiff vor der Stadt und hier wird der Vorhang, hinter dem sich Frankies zweite Existenz abspielt, auf einmal durchscheinend.

Ebenso faszinierend wie die Kameraarbeit ist Harry Dickinsons Mimik. Es gelingt ihm, sich fein nuanciert auf jede der rasch wechselnden Situationen einzustellen, das Innenleben seiner Figur im bloßen Gesichtsausdruck offenzulegen. So schlicht die Dialoge, so beredt und differenziert sein Mienenspiel, doch nie aufgesetzt wirkend.

Erst das Schlussbild zeigt den abendlichen Vergnügungspark, die hoch aufragenden, farbig illuminierten Fahrgeschäfte, das Spektakel des Freitagabend-Feuerwerks in prachtvoller Großaufnahme. Indem Frankie aus allem, dem er verbunden war, herausgefallen ist – gesperrt nun auch sein Zugriff im Dating-Portal -, sieht er sich erstmals als Individuum der Welt als Ganzes gegenüber, vielleicht auch ihrer Schönheit. Der Roman seines erwachsenen Lebens kann beginnen.




Kenon - 04.03.2019 um 23:13 Uhr

Ich möchte Deine aufwändige Auseinandersetzung mit dem Film nicht herabsetzen, aber ich fand ihn ziemlich fad, eigentlich hätte es mir gereicht, den Trailer zu sehen oder ein Poster. Harris Dickinson ist jung und darf uns seinen ins Groteske übertrainierten Körper, der sich unerklärterweise nach älteren Männern sehnt, in Strandszenen zeigen. Ok, das ist ja für wenige Momente ganz nett anzuschauen, macht aber für mich noch keinen Spielfilm.



ArnoAbendschoen - 05.03.2019 um 00:06 Uhr

Zugegeben, nach erstmaligem Ansehen des Films war auch ich eher befremdet, Kenon. Rezensionen schreibe ich jedoch erst nach mehrmaligem Überprüfen. Und mit jedem Mal hat mich dann die visuelle Umsetzung der Thematik Einsamkeit und Orientierungslosigkeit mehr in ihren Bann gezogen. Der Film lebt von der Spannung zwischen magerer Handlung und knappen, spröden Dialogen einerseits und beklemmenden Bildern andererseits.

Dickinsons Körper übertrainiert? Hm, darauf habe ich gar nicht geachtet, nur auf die Mimik. Dass die von ihm verkörperte Figur auf deutlich Ältere fixiert ist, ist für mich persönlich auch nicht nachvollziehbar. Doch weiß ich, dass gerade das gelegentlich vorkommt, finde die Handlung daher insoweit glaubwürdig. Auf gruselige Weise beeindruckend fand ich die im Film dargestellte Welt der Dating-Portale.

Schönen Abendgruß
Arno




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