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-- Aesthetik
--- Der Ornithologe - Film von João Pedro Rodrigues

ArnoAbendschoen - 02.12.2019 um 21:31 Uhr

Das knapp zwei Stunden lange Werk des portugiesischen Filmemachers João Pedro Rodrigues „Der Ornithologe“, 2016 herausgekommen, zeichnet sich durch hohe cineastische Qualität, enorme Spannweite der Thematik und einen geglückten Genremix aus. Es beginnt wie ein Naturdokumentarfilm aus einer der schönsten Landschaften Europas. Der Ornithologe Fernando (Paul Hamy), ein Mann Anfang dreißig, erkundet auf einem Kajak die Vogelwelt in einem tief eingeschnittenen Flusstal im Norden Portugals: Steinadler, Gänsegeier, Schwarzstörche. Dabei kentert er und wird von zwei chinesischen Pilgerinnen gerettet, die vom Jakobsweg abgekommen sind. Die beiden jungen Frauen sind nicht nur eifrige Christen, es sind auch sadistische Lesbierinnen. Fernando wird zu einem neuen Heiligen Sebastian gemacht, befreit sich mit Mühe und erlebt danach herumirrend immer Seltsameres. Zum Wendepunkt wird die Begegnung mit dem taubstummen Hirten Jesus, den er erst körperlich liebt und dann in einem Kampf tötet. Von da an nimmt die Handlung zunehmend phantastische, surreale Züge an. Fernando begegnet in einem Märchenurwald ausgestopften exotischen Tieren (die dennoch bedrohliche Laute von sich geben), einem lateinisch sprechenden Amazonentrio und Tomé, dem gleichfalls gewaltsam umgekommenen Zwillingsbruder von Jesus. Fernando erweckt Tomé zum Leben, wird von diesem zur Sühne des Brudertods erstochen - und am Schluss sehen wir beide als Paar heiter zu Fuß dem Zentrum von Padua zustreben. Der deutlich gealterte Ornithologe (jetzt von Rodrigues selbst gespielt) hat seine Identität vollkommen verändert und heißt jetzt Antonio.

Was soll all das bedeuten? Rodrigues hat hier eine aktuelle Fassung der Geschichte bzw. Legende vom Heiligen Antonius von Padua geschaffen. Portugals Nationalheiliger hieß ursprünglich Fernando und kam aus Lissabon. Infolge eines Schiffbruchs gelangte er nach Italien und wurde einer der großen Prediger des noch jungen Franziskanerordens. Der Regisseur erzählt nun mit seinem Film eine moderne Abenteuergeschichte, in der sich in Anlehnung an den Lebenslauf des Heiligen seine eigene Biographie widerspiegelt. (Der homosexuelle Rodrigues hatte anfangs Biologie studiert und wurde später vom Atheisten zum Gläubigen.) Der Streifen schwankt so zwischen doppelter Identifikation (Fernando = Rodrigues = Heiliger Antonius) sowie Nachfolge einerseits und gewagter künstlerischer Blasphemie andererseits. Rodrigues schreibt selbst in einem Text über sein Werk: „Wie im Leben des Heiligen finden sich in meinem Film der symbolische Tod, Auferstehung und Märtyrertum … Es ist der Geist des Heiligen, der Leben in den Film haucht, und Fernando zu einer neuen Identität finden lässt …“ Es sei ihm also um „Auseinandersetzung mit Spiritualität“ gegangen.

Damit sind wir beim Problematischen des Werks. Es besteht nicht allein darin, dass unter den Adressaten des Films auch Nichtgläubige sind, die jene Heilsbotschaft, die Entwicklung vom atheistischen Biologen zum christlichen Pilger, für sich nicht nachvollziehen werden. Das Dilemma liegt auch in der Darstellung selbst. Sie soll eine geistige Entwicklung illustrieren, d.h. sie sich materialisieren lassen. Etwas nicht unmittelbar mit den Sinnen Erfahrbares, Transzendentes wird in üppige Filmsprache übersetzt. Im Verlauf der Handlung müssen die Mittel dazu immer stärker wirken, die Szenen krasser, blutiger werden. Und das Ergebnis ist ein ziemlich banales Mirakel: Anstelle des athletisch blühenden Anfangdreißigers Hamy sehen wir den asketisch-asthenischen Anfangfünfziger Rodrigues vor uns.

Trotz dieses Einwands: Das Werk überzeugt insgesamt als Film einfach durch die Wucht seiner Bilder, die Magie der Natur in ihm und die enorme schauspielerische Leistung von Paul Hamy. Dieser Film hat einen langen Atem. Als Motto vorangestellt ist ihm ein Zitat aus der Pfingstpredigt des Heiligen Antonius von 1222: „Wer sich dem Geiste nähert, wird seine Wärme spüren und sein Herz wird sich in neue Sphären erheben.“ So allgemein und umfassend formuliert, kann der Gehalt des Werks dann doch von sehr vielen aufgenommen werden.

Auf dem Filmfestival von Locarno bekam Rodrigues 2016 den Silbernen Leoparden für die Beste Regie.




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