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-- Aesthetik
--- Cowboy Junction - Film von Gregory Christian

ArnoAbendschoen - 11.05.2021 um 12:42 Uhr

„Cowboy Junction“ von 2006 ist der erste Film des in Armenien geborenen Gregory Christian. Er emigrierte 1980 mit Eltern und Geschwistern aus der UdSSR in die USA. Von ihm ist das Drehbuch, er war Produzent, führte Regie und übernahm eine der drei Hauptrollen.

Der Film spielt in einem ungenannten Präriestaat, dessen Kargheit in allem so überdeutlich ins Bild kommt, dass stilisierter Naturalismus die Machart des Streifens vielleicht am besten trifft. Oder expressiver Provinzialismus? Selten waren, was die Interieurs mit ihren grellen Farben und scheußlichen Möbeln angeht, Öde und Geschmacklosigkeit derart lebendig und in die Augen springend. Das Schlafzimmer ist violett ausgemalt, mit spätneobarocker Einrichtung wie aus der Großen Depression, das Wohnzimmer beeindruckt mit schreiendem Grün, das ganze Heim mit dem Kunstgeschmack eines Alptraums.

Die Handlung dieser schrillen Tragödie versuche ich vielleicht vergeblich so zu charakterisieren: Teorema (von Pasolini) meets Brokeback Mountain. Doch es scheinen sich auch Billy the Kid und eine Desperate Housewife in einen Film noir verirrt zu haben. Was für eine Stilmischung und dabei ein dennoch in sich homogenes Werk. Die drei Hauptfiguren sind allesamt schwer traumatisiert. Sie sprechen vom Schicksal als einer höheren Macht. Die Kraft religiöser Überzeugungen ist noch spürbar. Gleichzeitig werden Psychopharmaka geschluckt und wird psychiatrische Behandlung selbstverständlich in Anspruch genommen. Und im Hintergrund spielen zwei Tote entscheidend mit.

Er (Gregory Christian), der Hausherr – Namen gibt es in diesem seltsamen Film nicht –, ist eine Art Handlungsreisender von heute, den wir mit einem überlangen Schlitten auf staubigen Pisten herumkurven sehen. Ein allzu gut aussehender junger Cowboy (James Michael Bobby) steigt zu ihm in den Wagen, eine allzu große Knarre mit sich tragend. Von Anfang an kommt deren enge Beziehung zur Sexualität ins Spiel. Die beiden amüsieren sich auf den Vordersitzen. Der Cowboy wird nach Hause mitgenommen und der jungen Hausfrau (Elyse Mirto) als Hilfe für Haus und Garten vorgestellt. Sie ist natürlich unbefriedigt und … Ja, wenn Sie den weiteren Verlauf jetzt schon auf die eine oder die andere Weise zu erahnen glauben, irren Sie sich wahrscheinlich. Nur so viel: Alle drei kommen im Verlauf der Handlung zu Erkenntnissen, die sie für ihr Leben gern vermieden hätten.

Die Dialoge sind extrem pointiert. Oft wird Ironie als Spezialwaffe eingesetzt. Manchmal geht man auch zart miteinander um, bis wieder der unvermeidliche Umschlag ins offen Brutale kommt. Zwischen den dreien läuft eine private Tragödie mit fataler Vorgeschichte ab. Gesellschaftliche Bezüge kommen nur diskret ins Spiel.

Angesichts eines Endes in einem ultimativen Sinn kann man sich fragen: Steht der Film nicht in der unseligen Tradition der Hollywood-Filme der fünfziger Jahre? Damals war es im Film nicht unüblich, die Lesbe oder den Homo am Schluss auf grausame Weise zu töten. Der öffentlichen Sexualmoral wurde damit Genüge getan, allen Abweichenden eine Lektion erteilt. Im Vergleich zu jenen älteren Werken fallen hier Rollenverschiebungen auf. Jetzt sind alle Opfer, Werkzeuge eines grausamen Schicksals. Am ehesten trifft Schuld noch den pseudo-bisexuellen Ehemann. Der Schluss ist mit seiner Jenseitsphantasie religiös eingefärbt, gerade sie eine Provokation für den Bible Belt: Schwule, die gemeinsam in die Ewigkeit eingehen.

Was macht diesen Film, wie viele andere amerikanische jenseits von Hollywood und Mainstream, so anregend? Das Aufeinandertreffen unterschiedlicher, ja gegensätzlicher kultureller Inhalte, ihre wechselseitige Durchdringung. Das gibt es in dieser Schärfe im alten Europa (noch) nicht. Ferner: die gewohnt souveränen Leistungen der Schauspieler. In den USA scheint selbst dem Low-Budget-Film ein unerschöpfliches Reservoir begabter und gut ausgebildeter Schauspieler zur Verfügung zu stehen.




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