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-- Rezensionen II
--- Manfred Hausmann - Kleine Liebe zu Amerika

ArnoAbendschoen - 29.12.2021 um 16:53 Uhr

Manfred Hausmann (1898 – 1986) war ein erfolgreicher deutscher Autor des 20. Jahrhunderts, seine zahlreichen Veröffentlichungen werden zum Teil noch heute verlegt und gelesen. Hausmann war zeitweise Feuilletonredakteur in Bremen und jahrzehntelang eine maßgebliche Größe im Kulturleben der Stadt. Daneben betätigte er sich über lange Zeit als evangelischer Laienprediger. Er bereiste im Spätherbst und Frühwinter 1929 die Osthälfte der USA und veröffentlichte im Jahr darauf den Reisebericht „Kleine Liebe zu Amerika“. Eine Neuauflage kam 1938 heraus, meine Taschenbuchausgabe datiert von 1961. Die bisher letzte Ausgabe kam 2000 auf den Markt (alle bei S. Fischer).

Das Buch ist fast schon eine Reiseerzählung. Hausmann macht aus sich selbst einen „jungen Mann“ in der dritten Person und ihn dabei etwas jünger, als er selbst damals tatsächlich war. Der Untertitel lautet: „Ein junger Mann schlendert durch die Staaten“. Der Text schildert nicht allein die Städte, Landschaften und Begegnungen auf der Reise, er porträtiert auch fortlaufend den Reisenden selbst, verzeichnet seine Reaktionen, seine Entwicklung. Es wird großen Wert darauf gelegt, dass der Porträtierte jung ist; außerdem ist er noch dies alles: leichtfüßig, unternehmungslustig, anpassungswillig und –fähig, genau beobachtend, selbstironisch und oft auch poetisch. Er bereist das Land mit dem Bewusstsein, als Bürger des alten Europa die immer weiter aufsteigende neue Weltmacht Nr. 1 zu erleben. Über die amerikanische Demokratie und ihre praktischen Folgen im Alltag äußert er sich mit Sympathie. Zu den Stärken des Textes gehören die Naturschilderungen. Die sich nach dem Börsenkrach von Ende Oktober 1929 langsam zuspitzende ökonomische Lage kommt erst spät zur Sprache, im Kapitel „Über dem Mississippi“. Hier berichtet ein deutscher Auswanderer ausführlich von seiner beruflichen Odyssee.

Wer selbst viel später Reisen in die USA unternommen hat, kann immer wieder Vergleiche ziehen. Was kommt ihm bekannt vor, was war vor knapp hundert Jahren anders? Die Art und Weise des Reisens hat sich vor allem verändert. Hausmann reiste per Schiff, sein Bericht beginnt mitten auf dem Atlantik. Wir erfahren, wie gemächlich die Zeitumstellung damals bewältigt wurde: die Uhr jeden Tag der Überfahrt eine Stunde zurückgestellt. Das Schiff mit seinen drei Klassen legt zuerst in Halifax an, Auswanderer nach Kanada verlassen es. Die „Dresden“ nähert sich Manhattan langsam durch die Bucht von New York, als wäre es die Ouvertüre zu „Lohengrin“. Dann der Broadway, der Trubel in einer Cafeteria, die Auffahrt auf das Woolworth Building, damals noch das höchste Gebäude, Gauner im Central Park erfolgreich abgewehrt … Hausmann reist weiter nach Kuba, wie es damals üblich war: mit dem Zug, der in Key West endet, wo man Dampferanschluss hatte. (Die Bahntrasse über die vielen Inseln dorthin wurde 1935 durch einen Wirbelsturm zerstört.) Später berichtet der Autor aus Miami, Atlanta, St. Louis und Chicago.

Leicht befremdlich wirken die langen erotischen Einschübe. Der junge Mann nähert sich dreimal jungen Frauen, folgt einer Schwarzen in eine Baptistenkirche in Harlem, techtelmechtelt mit einer Kreolin auf dem Schiff nach Havanna – dabei bleibt er slapstickmäßig in einem Bordkabinenfenster stecken – und scheint endlich bei einer forschen US-amerikanischen Reporterin in Havanna ans Ziel gelangt zu sein. Als Zugabe folgt dann noch ein erotisches Anhalterabenteuer in Florida, das ums Haar mit seiner Festnahme geendet hätte. In diesen Passagen verstärkt sich Hausmanns allgemeine Tendenz zu Klischees und Stereotypen, vor allem gegenüber der schwarzen Bevölkerung. Sie wird am stärksten spürbar im Kapitel über jene Baptistenkirche. Zwar dürfte der Gottesdienst der ausschließlich schwarzen Gemeindemitglieder in seinem Verlauf korrekt wiedergegeben sein, doch mit welchen Untertönen und Vorurteilen! Ich werde hier keine Zitate bringen, mit Ausnahme der Feststellung: „Aber mit Christentum hat das Ganze nichts zu schaffen …“ Schreibt Hausmann, der sich bald selbst in einen sehr aktiven Christen verwandeln wird. Er hat die lange, gehässige Passage auch in den Auflagen von 1938 und 1961 beibehalten. Und im Kapitel „Colored People“ lese ich noch immer den üblen Ausdruck „Tierleiber“ …

Nein, ich bin nicht der Meinung, wegen solcher Stellen sollte ein Bann verhängt werden. Auch der Literaturgeschichte hat man sich so zu stellen, wie sie tatsächlich verlaufen ist. Hausmann war ein talentierter Autor. Das Buch ist insgesamt ein gut geschriebenes, gut lesbares Zeitdokument, hat über die neunzig Jahre hinweg viel von seiner ursprünglichen Frische bewahrt. Nur sollte man sich dessen bewusst sein, dass es einer geschrieben hat, der im Lauf seines langen Lebens mit nacheinander vier politischen Systemen gut zurechtgekommen und immer obenauf gewesen ist. Der Fall Hausmann hat etwas Exemplarisches, auch deshalb sollten sein Werk und seine Biografie nicht dem Vergessen anheimfallen.




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