Ich greife den Jahreszeiten vor und lese einen Text über den Frühling von Johannes Schlaf (1862–1941), der derart naturschwärmerisch ist, dass er den Rand der Lächerlichkeit berührt und oft darüber hinausstößt. Dass der Autor im späten 19. Jahrhundert an einer Nervenkrankheit und Gemütsdepression gelitten hat, die in der Charité behandelt werden musste, wundert mich daher nicht.
Der Text ist trotzdem eine interessante Abwechslung zu den braven Sachen, die ich mir sonst gebe und er wird sicherlich nicht der letzte sein, den ich von Herrn Schlaf lese.
Johannes Schlaf – Frühling (1896)
Zitat:
Und alle das eine: Du, und das Lied von Dir.
Und so ist sein Text:
Die Sonne und alle Gestirne: dein Blick. Strahlend, leuchtend, sehnend, helllachend, freundlich, klar, mild, schelmisch verhüllt. Und die Blumen: der Duft deines Körpers. Die ganze, weite Erde: das ist dein Leib. Und das goldige Lebenslicht über den Breiten ist die Wärme deines Leibes, und die milde Luft, weiches Moos und Gras sind seine schmeichelnde, süße Weichheit. Graswogen und alle die vielen, vielen, unendlichen Bewegungen: so gehst du, und so ist das Wogen und Wiegen deiner Glieder. Und wie es singt und flötet und zwitschert und jauchzt: das ist deine Stimme.