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-- Aesthetik
--- 1000 Jahre schlafen

Kenon - 29.07.2020 um 22:56 Uhr

Als sogenannter Kulturschaffender muss man gelegentlich erkennen, dass viele schöne Ideen für Lieder und Texte bzw. Versatzstücke aus ihnen bereits existieren und vor und nicht von einem selbst erfunden worden sind. Man ist aber nicht einfach nur zu spät auf die Welt gekommen, man hätte selbst, was man so bewundert, auch nie erfunden, wenn man früher gelebt hätte, ganz einfach weil man jemand anders ist und es auch unter den geänderten Umständen gewesen wäre. Auf jeden Fall wäre man nicht der mit den schönen Ideen gewesen.
Ein Musiker in einer meiner Jugendbands hatte die Angewohnheit, uns eigene Kompositionen bzw. Ideen zum Beginn der Probe vorzustellen. Er war dann immer in einer ziemlich enthusiastischen Stimmung und bediente mit großer Überzeugung und Sicherheit die Tasten des Keyboards, obwohl es nicht sein Hauptinstrument war. Spätestens nach ein paar Takten hatten wir ihn immer entlarvt. Er spielte uns etwas vor, das er im Radio gehört hatte. Ich weiß nicht, was er sich dabei dachte: Hatte er gehofft, wir merken es nicht, hatte er geglaubt, es könnte wirklich von ihm sein? Wie gesagt: Ich weiß es nicht. Wir waren jung. Vielleicht ist es ihm heute peinlich, wenn er daran zurückdenkt. Immerhin hat er Geschmack gezeigt und mit dem Nachspielen bewiesen, dass er ein musikalisches Gehör besitzt. Das ist ja auch schon einiges.
Ich habe mich zuletzt über den Namen eines ungarischen Craft-Biers gefreut und geärgert. In - ich glaube nicht ganz korrektem - Englisch, weil ein “the” fehlt, heißt es “Wake me up when pandemic ends” - locker übersetzt: “Weck mich auf, wenn die Pandemie vorbei ist”. Das finde ich sehr cool, extrem cool und hätte es gern selber erfunden. Nun zitiere ich es nur, aber immerhin; dieser Satz hätte ein schöner Schluss einer meiner Texte sein können. Der Name des Bieres ist eine Abwandlung eines Green Day-Titels: “Wake Me Up When September Ends” - vermutlich ganz bewusst. In den ungarischen Charts schaffte es dieser Song immerhin bis auf Platz 10, ist also auch in Ungarn nicht ganz unbekannt.
Schlafen und Aufwachen. Da fallen mir ein paar weitere Zeilen ein, die einfach nur phantastisch sind:

I am tired, I am weary
I could sleep for a thousand years
A thousand dreams that would awake me
Different colors made of tears


Für tausend Jahre schlafen. Einverstanden. Danach sollte die Pandemie dann doch wohl auf jeden Fall vorbei sein.




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