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Ralf Beil - A House Full of Music
Mit dem Kopf gegen die Wand
„In diesem Fall werde ich es halt zu meinem Lebensinhalt machen, meinen Kopf gegen diese Wand zu schlagen“, soll John Cage Schönberg geantwortet haben, nachdem dieser ihn darauf hingewiesen hatte, dass man um Musik zu machen ein Gefühl für Harmonie haben müsse. Wer kein Gefühl für Harmonie habe, würde immer an eine Wand kommen, durch die er nicht hindurchkäme. Außer eben mit dem Kopf gegen die Wand. So radikal diese Ansage des Studenten John Cage nach zwei-jährigen Studium an seinen Lehrer Arnold Schönberg war, so extrem ist auch sein Werk, dem in dieser prachtvollen Publikation des Hatje Cantz Verlages ausgiebig gehuldigt wird. Auf mehr als 400 Seiten mit 543 farbigen Abbildungen wird dem 100. Geburtstag von John Cage im September 2012 gedacht, aber nicht nur über seine eigenes Grundlagenwerk , sondern auch durch die Wechselbeziehungen seiner Musik mit anderen Künstlern, die sich ebenso radikal mit Kunst und Musik auseinandergesetzt haben.
12 Stich“verben“, die weh tun können
John Cage`s radikalstes Werk, sein Schlüsselwerk „4`33`“, hieß ursprünglich „Silent Prayer“ und auch wenn sich im 20. Jahrhundert zunehmend die Überzeugung Nietzsches durchgesetzt habe, dass Gott tot sei, so strebe der Künstler an sich, doch nach dem Höheren, dem Transzendenten. „Glauben“ ist eines von zwölf Stich“verben“, also Stichwörtern, die den Leser durch dieses Buch begleiten und verschiedene Aspekte der modernen Musik aus den unterschiedlichsten Perspektiven beleuchten. Die weiteren Verben lauten: speichern, collagieren, schweigen, zerstören, rechnen, würfeln, fühlen, denken, möblieren, wiederholen, spielen. Alle 12 beschreiben die grundsätzlichen Strategien des Umgangs mit Musik im 20. Jahrhundert. Das Repertoire reicht dabei vom Komponisten Erik Satie über den Künstler Duchamp bis zu den Punkmusikern „Einstürzende Neubauten.“ Das interessante dabei ist vor allem, dass erstmals Zusammenhänge und Bezüge hergestellt werden, die sich in diesem Lexikon der modernen Musik nachschlagen und querlesen lassen. So bestehen etwa zwischen dem von Brian Eno bahnbrechenden Werk „Music for Airports“ und Erik Satie`s „Musique d’Ameublement“, zwischen denen immerhin 60 Jahre liegen, klare Rückbezüge, die hier neu erlesen werden können.
L’arte dei Rumori
„Die Kunst des Lärms“ ist der Titel des Manifests des italienischen Futuristen Luigi Russolo, der erstmals Geräusche dem Territorium der Klänge zuordnete und damit - zumindest musikhistorisch - Geschichte schrieb. Aber es gibt auch radikale Gegenentwürfe, die diesem Diktum einerseits widersprechen und es andererseits bestätigen. John Cage’s „4`33``“ drehte die bisherige Losung „Es gibt Musik, aber das Publikum soll nicht zuhören“ Saties in „Es gibt keine Musik, aber das Publikum soll zuhören“ um. Und das schon 1952, wohl als Replik auf die „White Paintings“, die ebenso einen visuellen Raum bereitstellten, der es ermöglichte, sonst meist unter der Bewusstseinsschwelle liegende optische Erscheinungen wahrzunehmen. Ähnlich funktioniert auch „4`33``“, der Moment wird in den Vordergrund gerückt, es gibt keinen wie diesen und das Stück ist nie dasselbe. Die Aufmerksamkeit des Zuhörers wird auf seine Umgebung gelenkt, statt auf die Bühne. Die „Hochspannung akustischer Erwartung“ ermöglicht dann unter der Bewusstseinsschwelle liegende akustische Erscheinungen wahrzunehmen. Also der „Lärm“ in uns oder um uns, l’arte die rumori.
Den Pionieren in Kunst und Musik
John Cage (1912–1992) hat „die Frage nach den Grenzen der Musik und ihren Verbindungen zu anderen Kunstfeldern und der Alltagswelt immer wieder neu gestellt. Gemeinsam mit Erik Satie, Marcel Duchamp, Nam June Paik, und Joseph Beuys zählt er zu den großen Strategen und Pionieren der Musik und Kunst im 20. Jahrhundert“, schreibt der Herausgeber im Vorwort. Interdisziplinäre Essays von Kunst- und Musikwissenschaftlern sowie beispielhafte Werk- und Quellentexte von Künstlern, Musikern und Komponisten zeigen neben tatsächlich beeindruckenden Bilddokumenten die Vielfalt paralleler Aktivitäten und Überschneidungen zwischen Musik und Kunst auf – von Laurie Anderson über Robert Filliou und Anri Sala bis zu Iannis Xenakis.
Begleitend ist auch ein Band mit CD in der Reihe Kunst zum Hören (Deutsche Ausgabe ISBN 978-3-7757-3317-5) bei Hatje Cantz erschienen. Die Ausstellung zum Thema im Institut Mathildenhöhe Darmstadt läuft von 13. Mai – 9. September 2012.
A House Full of Music
Strategien in Musik und Kunst
Hrsg. Ralf Beil, Peter Kraut, Institut Mathildenhöhe Darmstadt, Texte von Ralf Beil, Stefan Fricke, Peter Kraut, Thomas Schäfer u.a., Gestaltung von KOMA AMOK
Deutsch
2012. 416 Seiten, 543 farbige Abb.
25,30 x 31,30 cm
gebunden mit Schutzumschlag
Lieferbar
ISBN 978-3-7757-3318-2
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2012-06-06)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.
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