Der „Florentiner wie er im Buche steht“ soll nicht nur einer der besten Renaissance-Maler gewesen sein, sondern – laut Giorgio Vasari – auch ein „witziger Patron, der immer zu Späßen von typisch florentinischer Derbheit aufgelegt war“ gewesen sein. Auch andere Quellen hätten besonders des Malers Schalkhaftigkeit hervorgehoben und Borghini bezeichnete ihn sogar als „schlagfertig und scharfzüngig, bisweilen auch recht kauzig“. So habe er sich sogar einmal wegen „Störung der öffentlichen Ordnung“ vor Gericht verantworten müssen. Anlass und Ausgang des Verfahrens bleiben aber unbekannt, wie auch der Herausgeber Damian Dombrowski leider eingestehen muss. Der durch sein „burleskes Naturell“ bekannte Florentiner habe jedenfalls nur dann gearbeitet, wann er wollte und sei ein innovativer Gestalter gewesen, der den Eindruck des Konventionellen bewusst vermieden habe. Ein unabhängiger Kopf, der feste Arbeitszeiten ablehnte und manchmal sogar die eigenen Gehilfen zum Narren hielt. Wenn Dombrowski dem Leser in seinem Vorwort zwar die dazugehörigen Anekdoten vorenthält, so ist er doch umso genauer bei der Beschreibung der wichtigsten Werke Botticellis und zögert auch mit knackigen Details nicht.
Eines von Botticellis berühmtesten Gemälden, das in den Florentiner Uffizien hängt, ist nicht nur als Kühlschrankmagnetkitsch bekannt geworden, sondern vor allem auch als Gegenüberstellung zu Michelangelos „David“, auch wenn es sich bei letzterem um eine Skulptur und nicht um ein Gemälde handelt. Die Rede ist von „Die Geburt der Venus“, das ca. um 1488 entstanden war und in den Ausmaßen 184,5 x 285,5 immerhin eine halbe Museumswand der Uffizien einnimmt. „Nacktheit wird hier nicht als Mangel, sondern als Privileg zu Bewusstsein gebracht: als göttliche Nacktheit“, schreibt Dombrowski und verheimlicht dem Leser nicht, woraus die Schaumgeborene hier aus ihrer Muschel eigentlich entsteigt: „Kronos, der seinen Vater Uranos entmannt hatte, warf dessen Genitalien ins Meer, wo sich der Samen mit dem Wasser vermischte, das ringsum aufschäumte und Aphrodite gebar.“ Aber bei Sandro Botticellis „Geburt der Venus“ gehe es nicht um die Spiegelung der irdischen Natur, sondern um die, einer reinen geistigen Welt. „Die Nachahmung der `idea´ und nicht die noch so perfekte Nachahmung der geschaffenen Natur.“ Körperliche Schönheit galt nämlich seit jeher als Voraussetzung für die Erkenntnis des „göttlichen Wesens“ und das Streben der Seele zur göttlichen Schönheit nehme vom Anblick körperlicher Schönheit seinen Ausgang. Diese sei – wie Ficino schreibt – der „Angelhaken“, an dem die Seele aufwärts gezogen werde. „Die Geburt der Venus ist eines der ersten Gemälde, in denen die Loyalität gegenüber einer `höheren Wirklichkeit´ die Selbstermächtigung der Kunst begründete“, schreibt Dombrowski.
„Das Kommen der Liebe war nicht ohne die Grausamkeit des vorhergehenden Kastrationsaktes möglich und zusammen mit der Liebe entsteht auch die Begierde, die auf Erden schon immer das meiste Elend verursacht hat.“ Das Janusgesicht der voluptas hatte Botticelli schon in „Minerva und der Kentaur“ thematisiert. „Keuschheit als Option, um aus der heillosen Verkettung von Schönheit, Liebe, Grausamkeit und Tod auszubrechen, sei das Prinzip der Venus pudica. Botticelli hegte – laut Dombrowski – keinen Zweifel daran, dass der Mensch von sich aus zur erlösenden Tugend gelangen könne. Zweifellos reicht ein Blick auf eines seiner Gemälde, um sich zum Göttlichen emporgehoben zu fühlen.
Und das kann man – neben den Uffizien in Florenz – auch in vielen anderen Städten Europas, wo seine Werke hängen, die allesamt von Dombrowski in diesem schmalen Bändchen vom Wagenbach Verlag beschrieben werden: „Heiliger Sebastian“ in der Berliner Gemäldegalerie, „Anbetung der Könige“, „Pallas und der Kentaur“ und „Allegorie des Frühlings“ in den Uffizien, Heiliger Augustinus in der Kirche Ognisanti in Florenz, „Die Prüfungen des Mose“ und „Bestrafung der Rotte Korah“ in der Sixtinischen Kapelle in Rom, „Beweinung Christi“ in der Pinakothek in München, „Mystische Weihnacht“ in der National Gallery in London und noch viele andere mehr!
Damian Dombrowski
Botticelli
Ein Florentiner Maler über Gott, die Welt und sich selbst