Dieser von der deutschen Kritik jedenfalls bis heute leider kaum beachtete Roman des Publizisten Patrick Flanery ist ein ganz beachtliches literarisches Debüt, das nicht nur von sprachlichem Können und konzeptioneller Reife zeugt, sondern auch von einer geradezu perfekt recherchierten Durchdringung der südafrikanischen Geschichte der siebziger und achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts und des widersprüchlichen Schicksal einiger großer Schriftsteller dieser Zeit.
Der Rezensent weiß nicht, ob Patrick Flanery in der Schaffung seiner Hauptfigur Clare Wald, der betagten südafrikanischen, weißen Schriftstellerin von Weltrang auf Nadine Gordimer anspielt, aber sicher ist er darin, dass er sich mit seiner zweiten Hauptfigur, dem jungen Journalist Sam Leroux ziemlich identifiziert. So wie er will er wissen, was in der Zeit vor dem Ende der Apartheid geschehen ist, wer welche Rolle spielte, welches Ausmaß die Zensur hatte und wie auch berühmte Autoren in ihr Netz eingebunden waren. Hier hat Flanery, wie er im Nachwort betont, sich sehr inspirieren lassen von Coetzees Essays über die Zensur.
In Südafrika geboren, kehrt der junge Journalist Sam Leroux nach klangen Jahren zum ersten Mal in seine Heimat zurück. Er hat den großen Auftrag bekommen, in Zusammenarbeit mit der großen und berühmten Clare Wald deren Biographie zu schreiben. Doch als er ihr seine ersten Fragen stellt, lässt sie ihn kalt abblitzen. Über das meiste in ihrem Leben will sie nicht brechen. Ihre Geschichte, vor allem ihre Familiengeschichte und das Schicksal ihrer Schwester Nora und vor allem ihrer Tochter Laura, die sich im bewaffneten Widerstand engagierte und seit langem spurlos verschwunden ist, scheinen für sie ein Tabu.
Und auch Sam Leroux selbst sieht sich, je länger je mehr, mit seiner eigenen Vergangenheit konfrontiert. Patrick Flanery führt durch eine sehr geschickte Komposition nicht nur den jungen Journalistin immer tiefer in seine Vergangenheit und die Erkenntnis, dass sie mit der von Clare Wald mehr zu tun hat, als er und der gebannte Leser ahnen, sondern er lässt auch Clare Wald sich öffnen und gibt dem Lesre durch kleine Kapitel aus ihrem neuen Buch „Absuliton“ immer mehr Hinweise, die sich schließlich zu einem Netz zusammenfügen.
So wird nicht nur das Leben und das Schicksal von Clare Wald mit allen seinen Widersprüchen deutlich, sondern auch die Wahrheit über ihre Schwester Nora und ihrer Tochter Laura kommt stückweise ans Licht. Und der biographische Zusammenhang zwischen Clare Wald und Sam Leroux wird offensichtlich.
All das vor dem Hintergrund der Geschichte der südafrikanischen Apartheid, der Rolle der Intellektuellen im System und bei dessen Überwindung, die bis heute voller gesellschaftlicher Widersprüche steckt.
Ein wirklich lesenswerter, leider viel zu wenig beachteter Roman
Er erzählt eine unheimlich dichte Geschichte, die angereichert ist mit detailliertem und gut recherchiertem Hintergrund- und Faktenwissen. “Absolution” ist das Porträt eines zersplitterten, eines verwundeten Landes, eine intensive und glaubwürdige Auseinandersetzung mit Zensur und Politik und gleichzeitig die ganz persönliche Geschichte zweier Menschen, die ein Leben führen, das geprägt ist von dunklen Geheimnissen und der Hoffnung auf Absolution.
Patrick Flanery, Absolution, DVA 2013, ISBN 978-3-421-04554-6
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2014-01-23)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.