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John H. Baker - The Art of Nick Cave. New Critical Essays
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H. Baker, John - The Art of Nick Cave. New Critical Essays bestellen
H. Baker, John:
The Art of Nick Cave.
New Critical Essays

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(Bücher frei Haus)

Es war wohl Mitte der Achtziger Jahre als der Australier Nick Cave mit seinen Bad Seeds hinter einem roten Samtvorhang hervortrat und „im Tuxedo und einer Rabennestfrisur“ einige der besten Songs des American Songbooks coverte. Die Vorläufer-LP zu diesem Album - „Kicking against the Pricks“ - hieß „The Firstborn is Dead“ und nahm auf Elvis Presley’s Geburtsort Bezug, sowohl im Titel als auch im Eröffnungssong „Tupelo“, der die Fehlgeburt des Elvis-Zwillings beschwor. Die „Bad Seeds“ sollten Cohen, Dylan, Young und vor allem Cash einer neuen, noch radikaleren Verwertung zuführen, denn mit Nick Cave stand ihnen ein Sänger vor, der sich bei seinen beiden Vorgängerbands schon richtig ausgetobt hatte. Jetzt wollte er es noch einmal genau wissen und so fand die erste wundersame Verwandlung von Saulus zu Paulus statt, wie man in Anknüpfung an sein biblisches Werk, das manche gerne ins Alte und Neue Testament einteilen, anmerken könnte. „It seems to me that in your songs, Nick, you’re doing a Jung-style trip of examining your shadow, all the dark things you don’t want to be. A lot of your songs are like trips into the subconscious and are therefore nightmarish”, meinte Shane McGowan (The Pogues) einmal zu Nick Cave mit dem er 1992 „What a wonderful World“ aufgenommen hatte. Nathan Wiseman-Trowse schreibt in seinem Essay „The Singer and the Song“ in vorliegendem Konferenzband, warum Cave 1986 gerade Lieder aus dem amerikanischen Mississippi-Delta und der Blues-Tradition coverte. Nach seinem Punkjahren mit The Boys Next Door und The Birthday Party wollte der „pale young man with the crow`s nest hair“ einen radikalen Neubeginn wagen, der weniger vorhersehbar war, als die vergangenen Exzesse mit seinen beiden alten Bands: Nick, the Black Crow King.
Das Alte und das Neue Testament according to Nick Cave
Sein Werk habe sich in den letzten 40 Jahren quasi vom Alten zum Neuen Testament bewegt, schreibt John H Baker in seinem Essay „`There is a kingdom´: Nick Cave, Christian Artist?“ in der vorliegenden, ausschließlich dem Werk des Ausnahmekünstlers gewidmeten Publikation der Chicago University Press. Aber vollzog Nick Cave dabei auch selbst einen Wandel, etwa wie der biblische Saulus zum Paulus? Sicherlich können seine Lieder spätestens seit „The Boatman‘s Call“ (1997), das Baker als das Album verortet, das die Wandlung vom schreienden Punksänger zum Preacherman endgültig besiegelt habe, in den Kanon des American Songbook eingereiht werden, eines sei Nick Cave aber ganz sicherlich nicht geworden: ein christlicher Künstler. „Cave`s Work can, as the critical cliché has it, be seen as moving from an `Old Testament´ to a `New Testament´ period, although not in a conventionally Christian fashion“, so Baker. Natürlich beziehen sich viele seiner Alben vor und nach Boatman‘s Call auf biblische Themen, aber was Cave daran immer schon am meisten interessiert hatte war weniger die Heilslehre an sich, als ein strafender, rachsüchtiger Gott, der mit Vergeltung drohte und nicht zögerte, seine ganz Schöpfung – als sie ihm misslungen war – einmal auch mitsamt einer Sintflut ersaufen zu lassen. Ähnlich wie es Cave mit seinen beiden ersten Bands gemacht hatte, könnte man süffisant anmerken.
The Prodigal Son
Nur Noah durfte überleben (Genesis 6-9) und mit ihm jeweils ein Paar von jeder Art. Vielleicht lässt sich Cave`s Hinwendung zum Neuen Testament und einer damit verbundenen Vernachlässigung Gottes zugunsten seines Sohnes Jesus auch als Geschichte aus Lukas 15:10 interpretieren: „God rejoices more in the return of a sinner than in the loyalty of the pious“. Der „prodigal son“ und seine Rückkehr wurde von Nick Cave schon auf seinem 1990er Album „The Good Son“ ja schon ausgiebig besungen. Der Gott von Cave‘s späterem Werk (Spätwerk wäre hier noch zu früh) sei mehr in uns, ein Ergebnis unserer Vorstellungskraft, verwirklicht in künstlerischem Ausdruck. „I found that through language I was writing God into existence. Language became a blanket that I threw over the invisible man, which gave him shape and form“, so Nick Cave in einem Interview. Dem Gothic Horror seines Frühwerkes wich die Sehnsucht nach Liebe und dem Love Song, am besten wohl expressed in den Songs „Ship Song“, „Straight to you“, et al. Der zornige junge Mann Nick Cave wurde alsbald zum Schamanen und Totengräber eines rein kirchlichen Verständnisses von Gott. Der verlorene Sohn war zur Einsicht gekommen und kehrte endlich heim, ins Reich der Liebe und des Love Songs.
Cuntsumption & Duende
Dass es bei Nick Cave aber nie so ganz nobel zuging, beweist auch sein unlängst erschienener zweiter Roman „The Death of Bunny Monroe“ (2009), indem es nur so von four-lettered words wimmelt. Avril Lavigne‘s pussy wird dort als „Valhalla of all vaginas“ beschrieben und die Segnungen der Konsumgesellschaft als „holes in search of wholes“. Der „funny misanthropic miserabilist“ schrieb sich mit seiner grotesken Komödie aber auch in das Walhalla der Feministinnen ein, denn er schuf mit Bunny Monroe einen Antihelden, der Solanas‘ „Society for Cutting-Up Men“ (SCUM) posthum alle Berechtigung gibt. Ganz im Gegensatz zu Cave’s Prosa steht aber seine Lyrik, die er in seinen Liedern wie kein anderer mit ganz viel Pathos ausdrückt. „These songs that speak of love, without having within their lines an ache or sigh, are not Love Songs at all“, kritisierte Nick Cave bei einem Vortrag der Wiener Schule für Dichtung einmal den herkömmlichen Love Song. „The only way of reaching God is through love on earth“, ergänzt hier Baker passend, denn Cave „aktualisiere“ Gott durch das Schreiben und schreibe ihn so in seine Existenz. Gerade durch künstlerische Entfaltung werde Gott manifest und sein Wirken auch anderen zuteil, wovon man im Falle Nick Cave´s natürlich besonders profitiert. Nick Cave bezieht sich auf Garcia Lorcas „The Theory and Function of Duende“, wenn er meint, dass der Love Song ein „katabatic narrative“ ebenso sein kann, wie ein göttliches Ereignis. „Neither god nor devil had the power to do what she did, the power of `bringing me to my knees´“ heisst es nicht umsonst auf Boatman’s Call.
Nick Cave: Autor, Drehbuchautor, Sänger, Schauspieler, Musiker und …Fadista!
„Cave has been a fadista in the broadest sense of the word and the lyric of „Sorrow’s Child“ by itself is already a fado.“, zitiert Sarah Wishart in ihrem Essay Richard Elliot. Der Love Song nach Nick Cave würde uns näher zu Gott zu bringen: „ultimately the Love Song exists to fill, with language, the silence between ourselves and God, to decrease the distance between the temporal and the divine“, so Nick Cave. Weitere Essays in vorliegendem Band beschäftigen sich u.a. mit „‘Into My Arms’: Themes of Desire and Spirituality in The Boatman’s Call“ (Peter Billingham), „The Performance of Voice: Nick Cave and the Dialectic of Abandonment“ (Carl Lavery), „‘The College Professor Says It’: Using Nick Cave’s Lyrics in the University Classroom“ (Paul Lumsden), „A Beautiful, Evil Thing: The Music of Nick Cave and the Bad Seeds“ (David Pattie), „‘Executioner-Style”: Nick Cave and the Murder Ballad Tradition“ (Nick Groom), „In Praise of Flat-out Meanness: Nick Cave’s ‘Stagger Lee’“ (Dan Rose), „‘You Won’t Want the Moment to End’: Nick Cave in the Theatre, from King Ink to Collaborating with Vesturport“ (Karoline Gritzner), „Welcome to Hell: Nick Cave and Ghosts ... of the Civil Dead“ (Rebecca Johinke), „‘People Just Ain’t No Good’: Nick Cave’s Noir Western, The Proposition“ (William Verrone), „Nick Cave and the Gothic: Ghost Stories, Fucked Organs, Spectral Liturgy“ (Isabella van Elferen), „‘The Time of Our Great Undoing’: Love, Madness, Catastrophe and the Secret Afterlife of Romanticism in Nick Cave’s Love Songs“ (Steven Barfield) und “From ‘Cute Cunts’ to ‘No Pussy’: Sexuality, Sovereignty and the Sacred“ (Fred Botting).

John H. Baker (Hg.)
The Art of Nick Cave. New Critical Essays
Distributed for Intellect Ltd, Chicago University Press
282 pages

[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2015-01-20)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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