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Hannes Leidinger - Zwischen den Weltkriegen ÖSTERREICH BOX 2: 1918-1938
Buchinformation

Revolutionärer Internationalismus, Donauföderation, vor allem aber der Anschluss an das Deutsche Reich waren Forderungen am Anfang der „erzwungenen“ Ersten Republlik im Österreich. Die Suche nach der nationalen Identität wurde allzu leichtfertig einer alle politischen Lager anheimfallenden Deutschtümelei überantwortet. Mit Ausnahme der Kommunisten war in der Zwischenkriegszeit niemand von der Existenz und Überlebensfähigkeit einer „Republik Österreich“ überzeugt. Am 12. November 1918, bei der Ausrufung der österreichischen Ersten Republik, rissen Demonstranten das weiße Teil der rot-weiß-roten Fahne heraus, und banden die beiden verbliebenen roten Fahnenteile wieder zusammen. Die nunmehrige „rote Fahne“ wurde am Fahnenmast vor dem österreichischen Reichsrat, dem nunmehrigen Parlament, gehisst. Ein eindrucksvolles Video – wie man heute sagen würde – zeigt die Bewegung der Masse, die sich für einen eigenen Staat einsetzte, der sich den umliegenden Räterepubliken in München und Ungarn anschließen wollte. Aber das war keine Mehrheit der Bevölkerung, denn die wollte ebenso wie ihre Parteien den Anschluss, außer eben der kleinen kommunistischen Partei, die sich in ihrer Politik von Moskau unterstützt sah: wenig zuvor hatten in Russland Arbeiter und Bauern den Zar davongejagt und eine „Sowjet“ ausgerufen, eine „Vereinigung der Sowjets (Arbeiter- und Soldatenräte)“.

Von der Föderation zum Rumpf

Mit dem von der Ersten Republik Österreich vorerst noch beanspruchten sogenannten „Sudetenland“ hätte Österreich immerhin 10 Millionen Bevölkerung gehabt, aber die Siegermächte wollte das nicht und so wurde es nur ein „Rumpfösterreich“ aus gerade mal 6,5 Millionen Bewohnern und von 676.648 km² auf 83.871 km² Territorium. Vor allem die Industrie des Grenzlandes wäre für die Republik überlebensnotwendig gewesen. „Österreich-Ungarn“ war - was die Fläche betrifft - der zweitgrößte Staat nach Russland gewesen und was die Bevölkerung betrifft - nach Russland und Deutschland - der drittgrößte, allerdings bis vor dem Krieg, 1914. Kein Wunder eigentlich, dass niemand an dieses kleine Österreich glaubte, in einer Zeit in der Großstaaten und Gebilde gang und gäbe waren. Vom westlichsten Punkt, Bangs in Vorarlberg, bis zum östlichsten Punkt, Chiliszeny in der Bukowina waren es vorher 1.274 km gewesen. Zwischen dem nördlichsten Ort, Hilgersdorf (heute: Severní bei Litomerice) in Böhmen bis Spizza in Dalmatien, heute in Kroatien, waren es immerhin 1.046 km. In der Ersten Republik hatte man bis Vorarlberg noch knappe 800km und in den Süden knappe 400km und noch dazu wollten sich Tirol, Salzburg und Vorarlberg lossagen – mittels Volksabstimmungen.

Vom Rumpf in den Rachen

Eine „Donauföderation“ mit den ehemaligen Staaten der Monarchie hätte vielleicht die Anschlussbewegung verhindern können, Der interessierte Zuseher bekommt einiges an Dokumentationsmaterial geboten und zwar nicht nur über Politik, sondern auch das soziale und kulturelle Leben in der Ersten Republik. Erschreckende Bilder zeigen den Brand des Justizpalastes, 1927, oder den Bürgerkrieg 1934, aber auch die Aufmärsche der verschiedenen Heimwehrverbände und des Republikanischen Schutzbundes zuvor. Bilder von Mussolinis Reise nach Deutschland oder einer Wiener Kundgebung gegen die Besetzung des Ruhrgebietes wechseln sich mit Ansprachen und Reden von Politikern zu den verschiedensten Anlässen. Eine Kinderklinik, in der auf die Heilbarkeit der Tuberkulose hingewiesen wird und an die Bevölkerung appelliert wird, die Untersuchungen an den Kindern rechtzeitig vornehmen zu lassen, wird ebenso gezeigt wie kulturelle Errungenschaften wie etwa den ersten „Selbstanschluss-Fernsprecher“ (Telefon!). Winterfreuden am Arlberg die Elektrifizierung der Tauernbahn, wissenschaftliche Leistungen der Hochschulen und Filmpremieren, etwa von „Stadt ohne Juden“, der erstmals 1924 in Wien gezeigt wurde und in diesen Tagen – 2016 – gerade wieder mittels crowdfunding restauriert wird – in seiner gesamten Länge.

„Proletarisches Kino in Österreich“, herausgegeben von Christian Dewald und Michael Loebenstein und ebenfalls beim Filmarchiv Wien (ISBN-13: 978-3-902531-29-2) erschienen ist ein weiterer Tipp der interessanten Publikationen des Filmarchivs Wien. Ausführliche Booklets helfen in beiden Fällen bei der Orientierung des aufschlussreichen Materials zur Zwischenkriegszeit in Österreich.

Hannes Leidinger / Karin Moser (Hg.)
Zwischen den Weltkriegen
ÖSTERREICH BOX 2: 1918-1938
Verlag Filmarchiv Austria
DVD, 2008
ISBN-13: 978-3-902531-59-9

[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2016-12-21)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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