Die erste Staffel von Boardwalk Empire setzte einen Rahmen, der durch Überschriften wie Prohibition, Politik und organisiertes Verbrechen und Prostitution deutlich gezeichnet war. Auch die Handlung wies alles auf, was einen klassischen Mafia-Thriller ausmacht: Tempo, Gewalt, aufeinander folgende Plots und erschütternde Wendungen. Bei der zweiten Staffel erhält dieses Konzept nicht direkt eine Absage, aber das Metier erfährt beträchtliche Änderungen in der Ausfüllung der Charaktere wie in der Inszenierung der Dramaturgie, was einige Zuschauer enttäuschen mag, aber bei genauerer Betrachtung auch vieles in sich birgt, was für eine außerordentliche Qualität spricht.
Die zweite Staffel beginnt mit der Erosion der in der ersten vorgestellten Machtsphären. Mit der Belichtung, die immer mehr ins Halbdunkle und Schummrige abdriftet, geht auch die Strahlkraft des Imperiums von Nucky Thompson verloren, dessen Position angezweifelt und von interessierter Seite attackiert wird. Neue Beziehungen und Konstellationen werden geknüpft, die alle unter der Zielrichtung zustande kommen, das Imperium des Kämmerers von Atlantic City zu übernehmen. Dieses alles geschieht vor dem tatsächlichen historischen Hintergrund der Prohibition in den USA der Zwanziger Jahre. Es ist die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, in denen die aufkommende Weltmacht zwischen Vergnügungssucht und Bigotterie taumelt, in der ein Ku-Klux-Klan zunehmend aggressiv gegen die schwarze Bevölkerung vorgeht und ein weißer Boxer namens Jack Dempsey als die Great White Hope in die Geschichte des Rassismus eingehen sollte. Es ist die Zeit, in der bestimmte Migrationsethnien ihre Claims in den USA abstecken: die Iren unterwandern die Polizei, die Italiener die Gewerkschaften und den Bau, die Polen dominieren die Fleischindustrie, die Juden entdecken das Brokergewerbe und wie weißen Angelsachsen reklamieren die politischen Ämter für sich.
Die Hauptfiguren der Serie spiegeln diese Gruppen wieder. Das Erzähltempo wird langsam, zuweilen sehr langsam. Das, was zunächst als ein Angebot an aufkommende Langeweile erscheint, schlägt allerdings um in eine epische Tiefe, die eine enorme Komplexität offenbart. Nucky Thompson, der zivilisierte Kriminelle mit den feinen Umgangsformen und der angenehmen Erscheinung, entpuppt sich doch noch als höllisches Monster, Jimmie Darmody, der plötzliche Rivale, der in der ersten Staffel als Soldat und Killer erschien, offenbart tiefes menschliches Leid und die Fähigkeit zu aufrichtiger Liebe und Margaret Schröder, die Gebildete, Feinfühlige, entpuppt sich als bigotte, skrupellose Bestie mit hoher Verletzlichkeit. Das Arrangement wimmelt von atemberaubend interessanten Charakteren, Eli Thompson und van Alden, Lucy Danziger und Chalkie White, Al Capone und Lucky Luciano, die Reihe ließe sich nahezu unbegrenzt fortsetzen, nichts ist holzschnittartig vereinfacht, alles verstört und befremdet durch seine Komplexität. Die einzelnen Episoden lassen sich nicht in raschem Tempo nacheinander anschauen, sie müssen sich setzen, bevor man bereit ist, sich auf die nächste charakterologische Studie einlassen zu können.
Vor dem historischen Hintergrund, der noch gewinnt durch Erklärungen von Verbindungen, die nahezu 100 Jahre andauerten wie die Liaison von irischer US-Küstenwache und dem Zoll sowie der IRA, bekommen die filmisch verlangsamten Charakterstudien eine Tiefe, die sehr dazu beiträgt, das historische Prozedere zu verstehen. Die Protagonisten erhalten eine Dimension, die sie weit über das Genre klassischer Unterhaltungsfilme hinausgehen lassen.
Stellt sich nur noch die Frage, was nach dem historischen Setting der ersten Staffel und der facettenreichen Darreichung der Charaktere in der zweiten als dramaturgische Konsequenz in der dritten Staffel geschehen wird. Allein diese Frage beantwortet, wie gelungen das Bisherige war.
[*] Diese Rezension schrieb: Gerhard Mersmann (2012-11-21)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.