Unlängst im Wiener Akademietheater konnte man Zeuge einer dramatisierten Version des ohnehin schon so dramatischen Stoffes des Othellos werden, die dramatisch und kurzweilig wie sie war, keine gefühlten dreieinhalb Stunden dauerte. Die ersten Sätze wurden im Dunkeln gesprochen und dafür sogar die Lichter der Notausgänge von den Platzanweiserinnen abgedichtet. Der Zuschauerraum wurde dadurch in ein tatsächliches Schwarz getaucht und manchem Theaterbesucher war das sichtlich unangenehm, wie das Flüstern und Rascheln vermuten ließ. Als es dann endlich Licht wurde stand die Schauspielertruppe vor einem auf Panelen aufgemalten Markuslöwen, bis die zweite Szene die ganze Fassade einstürzen ließ und der Schauplatz von Venedig nach Zypern wechselte.
Die teuflische Intrige des Jago, der aus purem Neid oder einfacher Bosheit, das Liebespaar Othello und Desdemona auseinander bringt, ist auch als Eifersuchtsdrama in die Weltliteratur eingegangen, aber man sollte mehr von der Arglosigkeit Othellos und der Schurkerei Jagos sprechen, wie Hans Matter in seiner Kurzversion des Dramas schreibt. „Im Schoß der Zeit ruht so manches, das noch geboren werden will“ und will es nicht, so kann man dem Ganzen ja ein bisschen nachhelfen, wird sich Jago wohl gedacht haben. Aber was gewinnt Jago dabei? Macht er es aus der puren Lust zum Bösen?
Am Anfang der Zypernszene steht nicht nur das staubige Zertrümmern der Kulisse in Jan Bosses Inszenierung des Othello am Wiener Akademietheater, es werden auch riesige Windmaschinen an den Publikumsausgängen aufgefahren und so die Atmosphäre eines Seesturmes erzeugt, mein volles Mitleid dabei, für die ersten Reihen, die um ihre schönen Frisuren fürchten mussten. Auf der Bühne liegt dann eine verwüstete Landschaft, mit Federn bestreut, kahle, nackte Wände, eine Hängematte und die kalte Atmosphäre eines kleinen Weltuntergangs. Dabei war es doch nur der Krieg gegen die Türken, den die Venezianer noch einmal für sich entscheiden konnten und Zypern wiedereingliederten unter das Banner des Markuslöwen. Auf den Trümmern dieser Landschaft erscheint die schwangere Bianca und trällert Joy Divisions „Love will tear us apart, again“, ein schnöder Vorgeschmack, auf das, was da noch kommen wird.
„Verflucht sei meine Seele, aber ich liebe dich wirklich“, schreit Othello verzweifelt gegen die Intrigen Jagos an und denkt dabei an seine zärtliche Desdemona. „Wenn du mich liebst, dann zeigst du mir jetzt deine Gedanken“, wird er sie später bitten, wenn der Samen der Zwietracht schon in seinem Herzen gefruchtet haben wird und das leise Gift des Misstrauens seinen Körper von innen aufgefressen haben wird. Ehrlichkeit? Treue? „O ja, wie Sommerfliegen auf der Fleischbank, Die im Entstehen schon buhlen. O du Unkraut, So reizend liebliche und von Duft so süß, Dass du den Sinn betäubst – o wärst du nie geboren! -“ schimpft Othello bald seine Geliebte Desdemona und bald ist ihm in seiner Verzweiflung nicht mehr zu helfen.
In einer der Szenen liegen die drei Frauen des Stücks, Bianca, Emilia und Desdemona in der Hängematte und intonieren John Lennon`s „Woman is the Nigger of the World“ und man mag ob dieses Scherzes und der harmlosen Szenerie erleichtert auflachen, denn sie ist nur die Einleitung für das grausame Schlachten, das noch folgen wird. Erst Rodrigo von Cassio oder beide sich gegenseitig, dann Othello seine Desdemona, blutüberströmt, in einer in Dunkelheit getauchten Lagerfeuerszene (und das auf der Bühne), fällt der nackte Körper der Desdemona rücklings aus der Hängematte und Jago, der triumphiert und sagt einfach gar nichts mehr. Doch Othello, der spät erst seinen Irrtum erkennt, richtet sich selbst und spricht die Worte „Sprecht von mir, wie ich bin – verkleinert nichts, /Noch setzt in Bosheit zu. Dann müsst ihr melden/ Von einem, der nicht klug, doch zu sehr liebte (…)“. Mögen seine Worte eine Warnung an jene sein, die Jagos zu ihren Freunden zählen. „Othello“ soll am Wiener Akademietheater demnächst (am 7. und 15. März) übrigens wieder aufgenommen werden.
Othello, der Mohr von Venedig, nach einem Stich von Johann Heinrich Füßli, der der zehnbändigen Ausgabe von „The Plays“ von London 1805 entnommen wurde, ziert übrigens auch das Buchcover dieser Ausgabe der deutschen Version der gesammelten Werke von William Shakespeare des Diogenes Verlages. Die Übersetzungen von A.W. v. Schlegel und L. Tieck wurden neu herausgegeben und revidiert von Hans Matter und mit einem Geleitwort versehen. Die anderen Werke von Shakespeare sind ebenfalls im Diogenes Verlag in ähnlicher Ausstattung erschienen, so auch „Ein Sommernachtstraum“, „Der Kaufmann von Venedig“, „Viel Lärm um nichts“, „Wie es euch gefällt“ und „Die lustigen Weiber von Windsor“ in einer Taschenbuchausgabe.
William Shakespeare
Romeo und Julia - Hamlet, Prinz von Dänemark - Othello, der Mohr von Venedig
Übersetzungen von Schlegel und Tieck, revidiert von Hans Matter
Mit Illustrationen von Johann Heinrich Füßli