„Das beschwingte, lachende, unbeschwerte – und ich möchte fast sagen – ein bisserl leichtsinnige Leben dieser unvergleichlichen Metropole mit ihrer Vielzahl an Völkern und Sprachen, die diese liebenswürdigste aller Städte in genialer Manier zu verbinden wusste, hatte in dieser Bar ein kleines Ebenbild.“, so beschreibt Hermann Kohn alias Leopoldi die heute nicht mehr existierende Savoy-Bar in unmittelbarer Nachbarschaft des Ronacher, wo auch schon andere illustre Varieté-Künstler wie Ethel Levy, Sisters Barrison, die Zauberer Horace & Goldin, Emil Jarrow, Chevalier Ernest Thorn und Charlie Chaplin aufgetreten waren. Das Ronacher gibt es noch, aber das Wien, so wie es Leopoldi in den Zehner Jahren des 20. Jahrhunderts beschrieben hatte, hat längst aufgehört zu existieren und ist zu einer Legende verblasst. So schreiben die Autoren Georg Traska/Christoph Lind in der im österreichischen Mandelbaum Verlag erschienen Leopoldi-Biographie, dieser sei ein „genauer, neugieriger und liebevoller Beobachter unterschiedlicher Kulturen, als welchen ihn die Memoiren zeigen“, gewesen, „ein reise- und lebenshungriger, äußerst kommunikativer Mensch, der aber als Künstler und Musiker immer auf seine Wiener Herkunft bezogen blieb – ein echter Kosmopolit von zutiefst Wiener Prägung also.“ Eines Wiens, das zwar in der Ersten Republik noch Bestand hatte, durch den Austrofaschismus und Nationalsozialismus aber komplett ausgelöscht wurde.
Ein Meidlinger Bua
Die Beschreibung „musikalische Biographie“ passt auch deswegen so gut, weil es sich bei Leopoldi nicht nur um einen der bekanntesten Sänger und Dichter der Wiener Volksmusik handelt, sondern weil der gut recherchierten Biographie auch eine CD mit 20 Liedern von Leopoldi beigefügt ist, anhand derer auch das Buch in Kapitel eingeteilt wird. So kann man die einzelnen Kapitel also auch separat lesen und muss sich nicht unbedingt an die Chronologie der Kapitel halten, da jedes Kapitel auch für sich allein steht. Das Buch folgt dem Leben Leopoldis entlang seiner Lieder und wo immer das möglich war, wurden solche als titelgebende Lieder der Kapitel ausgewählt, die als historische Tonaufnahmen überliefert sind. „Zugleich versuchten wir“, schreiben die Herausgeber im Vorwort, „auf der beiliegenden CD eine große Anzahl von Aufnahmen zu präsentieren, die noch nicht auf Schallplatte oder CD erschienen sind. (…) Außerdem konnten wir über die beiliegende CD hinaus weitere Aufnahen auf der Webpage www.hermannleopoldi.at/ Hauptmenü Aufnahmen zugänglich machen.“ Der Leser kann also während des Lesens bei jeder bloßen Erwähnung eines Liedtitels, diesen gleich auf der Webpage anhören. Das nennt man wahren Service am Leser!
Der Wiener Charme mit musikalischem Raffinement
Der in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts berühmteste und gefürchtete Musikkritiker des deutschsprachigen Raumes, Eduard Hanslick, hatte die außerordentliche Qualität der Wiener populären Musik stets hervorgehoben: „Es bleibt eine Tatsache, dass keine Hauptstadt der Welt eine den Wiener Volkssängern vergleichbare, an Talent und Popularität ebenbürtige Erscheinung besitzt.“ Wien war Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts eine der wichtigsten Musikstädte der Welt, es war führend in der Militärmusik, der Tanzmusik und bei den sog. Volkssängern, der Volksmusik. Aber diese „Volksmusik“ war etwas ganz anderes als das, was man heute darunter versteht, denn sie war durchaus multikulturell und griff musikalische und textliche Strömungen aus allen Landesteilen der Monarchie auf. Volkssänger wie Leopoldi hatten auch Auftritte in den entferntesten Regionen des cisleithanischen Teils Österreichs, nicht nur weil man dort Deutsch verstand, sondern weil man mit der Musik dieselbe Kultur transportierte. „Leopoldi stellte als Musiker einen idealtypischen Wiener dar, der das breiteste Publikum erreichen konnte und dabei immer ein gewisses musikalisches Raffinement, einen wienerischen und im Vortrag zugleich ganz individuellen Charme behielt.“, schreiben die Herausgeber.
“Schnucki, ach Schnucki“
Leopoldi, der „Meidlinger Bua“, hatte die musikalischen Traditionen der Donaumonarchie erschlossen, er war ein Wiener Volkssänger, aber kulturell, musikalisch und ethnisch sehr vielfältig mitteleuropäisch. Leopoldi sang die Lieder dieses Staatsgebildes, Österreich-Ungarn, zwar nicht in Ungarisch oder Serbisch, sondern auf Deutsch oder Wienerisch, aber er machte sich mit den Rhythmen, Melodien und emotionalen Phrasierungen dieses weitläufigen kulturellen Raumes vertraut und personifizierte das typisch Wienerische wie kein anderer. Hermann Kohn wurde nach dem Anschluss ins KZ Buchenwald eingesperrt, wo er den Buchenwälder Marsch schrieb. Als er ins Exil zu seiner Familie „fliehen“ konnte, küsste er als erstes den amerikanischen Boden, denn er hatte - als einer von wenigen - noch einmal Glück gehabt. Sein erstes Engagement bekam er ausgerechnet in einem Lokal in der 79. Straße in Manhattan, genannt „Alt-Wien“. Das ganze Interieur und die Aufmachung erinnerten an eine ständestaatliche Alpenrepublik, genau das, dem er eigentlich entfliehen wollte und was zum Terror der Nazis geführt hatte. Allein die Lieder, die er sang, lesen sich wie eine Nabelschau der Wiener Volksseele: „I bin a stiller Zecher“, „Schnucki, ach Schnucki“, „Die Novaks aus Prag“ oder „An der schönen roten Donau“. Letzteres zeigt auch seinen süffisanten Humor, den sich Leopoldi trotz der schrecklichen Behandlung durch die Österreicher bewahrt hatte. Die Musik stammt von ihm, der Text von Kurt Robitschek: „An der schönen roten Donau wohnt jetzt wiederum das Glück,/und im Prater blüh’n die Bäume/sagn’s Herr Kohn, wann kommen’s z’rück?(…)wir ham schließlich kann Charakter,/doch wir ham a gold’nes Herz.(…)Nur statt `arisch´ heißt’s `Towarisch´.“
In diesem Zusammenhang sei auch auf das Wean hean Festival, das Wienerliedfestival des Wiener Volkslied Werkes, hingewiesen, das seit 2000 jedes Jahr im April/Mai in Wien stattfindet. Das genauere Programm und weitere Informationen über Schrammelmusik, Heurigenlieder und Volkslieder der ganz anderen Art ist abrufbar unter www.weanhean.at
Georg Traska/Christoph Lind
Hermann Leopoldi/Hersch Kohn. Eine Biographie.
Mandelbaum Verlag
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2012-07-10)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.