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Wilhelm J. Wagner - Das Habsburger-Reich in Wort, Bild und Karte
Buchinformation
Wagner , Wilhelm J. - Das Habsburger-Reich in Wort, Bild und Karte bestellen
Wagner , Wilhelm J.:
Das Habsburger-Reich in
Wort, Bild und Karte

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(Bücher frei Haus)

Nachdem das Österreichische Kaiserreich am 8. Juni 1867 in die österreichisch-ungarische Monarchie umgewandelt worden war, schmückte der Doppeladler und der Spruch „Viribus unitis“ (mit vereinten Kräften) das Wappen des neuen Staatsgebildes. Der ungarische Bildhauer Adolf Huszar bildete das in der Allegorie „Der Weise der Nation“, Ferenc Deak, der an den Ausgleichsverhandlungen führend beteiligt war, ab: eine gottähnliche Figur führt die Hände zweier Kinder (Österreich und Ungarn) zusammen. Das Zusammenleben der beiden Nationen sollte sich während der kommenden 51 Jahre zwar nicht immer so friedlich gestalten, wie es auf dieser Allegorie dargestellt ist, aber dennoch brachte das neue Staatengebilde um die Jahrhundertwende bedeutende Errungenschaften hervor, wie etwa auch bei William M. Johnstons „Österreichische Kultur- und Geistesgeschichte: Gesellschaft und Ideen im Donauraum 1848 bis 1938“ genauer nachzulesen ist. Gleichsam als illustrierte Version und „Heimatalbum“ könnte man den neuen Bildatlas des Ueberreuter Verlages verstehen, der Einblick in die geistige und kulturelle Größe dieses versunkenen Kontinents gibt.

„Bis zur Sekkatur“
Natürlich war der so genannte „Ausgleich“ von 1867 zwischen Österreich, der Marchia Orientalis, Ostarrichi, und Ungarn nur der Ausdruck eines Kompromisses, dem ein lange währender Konflikt zugrunde lag, der durchaus bereits kriegerische Auseinandersetzungen gezeitigt hatte. Die Revolution von 1848, aber auch der Konflikt innerhalb des Deutschen Bundes zwischen Österreich und Preußen hatten zu einer deutlichen Schwächung der Position österreichischen Kaisers geführt. Der Konflikt um Schleswig und Holstein, der zwischen Preußen und Österreich entbrannt war, war zwar unpopulär innerhalb des Bundes, aus dem Preußen bald austrat, wurde aber nichtsdestotrotz mit gehöriger Vehemenz ausgetragen. Bismarcks „Eisen und Blut“-Politik sollte hier erstmals erprobt werden und der österreichische Oberbefehlshaber Ludwig von Benedek warnte schon im Februar 1866: „Ich kann am Ende meiner Soldatenlaufbahn und bis zur Sekkatur (sic! JW) nur wiederholen, unser allergnädigster Kaiser und König möge ehebaldigst Mitleid und Nachsicht Seines edlen Herzens überwinden und in den höheren Chargen Allerhöchst Seiner Armee gründlich aufräumen.“ Leider hat Kaiser Franz Joseph seine Generäle dann zu wenig sekkiert, denn das Zündnadelgewehr war auch der österreichischen Armee bereits angeboten worden und hatte einen entscheidenden Vorteil gegenüber den Vorderladern: man konnte mehrmals abdrücken.

„Eljen a haza!“
Wilhelm Wagner macht sich einen Spaß daraus, zeitgenössische Quellen auch in althochdeutscher Schrift in diesem Buch abzudrucken, so auch die eben zitierte Aussage. Die Kassandrarufe Benedeks nützten bekannterweise nichts und am 3. Juli kam es zur offenen Konfrontation, dem so genannten „Bruderkrieg“: 5.658 österreichische Tote und 1.920 deutsche. Die Preußen hatten einen entscheidenden Vorteil: das Zündnadelgewehr und die dummen österreichischen Generäle ließen ihre Männer ins offene Feuer laufen. Das Ergebnis war nicht nur der Verlust Venetiens, sondern auch der Rauswurf aus dem Deutschen Bund, der für aufgelöst erklärt wurde. Das von Preußen neu gegründete „Deutsche Reich“ sollte zum größten Feind Österreichs werden, von wegen „Bruderschaft“ und so! Nur weil man dieselbe Sprache spricht, heißt das noch lange nicht, dass man sich gut verstehen muss, das wusste schon Karl Kraus. Siehe England und die USA, sind das etwa Bruderländer? Unter den erwähnten großen Verlusten war das Kaiserhaus zu weit größeren Zugeständnissen bereit, als es dies zu Friedenszeiten gewesen wäre. Einen weiteren Konflikt mit Ungarn hätte man sich einfach nicht erlauben können und siehe da: selbst der Kaiser rief ab nun auch auf Ungarisch „Eljen a haza!“ (Es lebe das Vaterland!). Während es in Cisleithanien „allgemeine, gleiche, direkte und geheime“ Wahlen gab, schreckte im ungarischen Teil, Transleithanien, die Obrigkeit aber vor solchen noch zurück und der Kaiser konnte als psychologisches Druckmittel mit eben diesen gerne drohen. In Österreich konnten auch die nichtdeutschen Völker ihre Vertreter ins Parlament schicken, der Unterricht in der Muttersprache und die Verwendung derselben bei Ämtern und Behörden mussten in Ungarn erst erkämpft werden. Am Wahlrecht sollte dies aber bis zum Ende der Monarchie nichts ändern.

„Gemeinsame Hilf`in gemeinsamer Not“
Eine erste Isolierung des neuen Staatengebildes Österreich-Ungarn brachte der Kauf von Bosnien-Herzegowina (damals 51.110 km2). Obwohl um 2,5 Millionen türkische Pfund legal erworben, brachte die Annexion die Doppelmonarchie in der internationalen Staatenwelt in Miskredit. Im ausgehenden 19. Jahrhundert verhielten sich die Größenverhältnisse der beiden Länder in etwa so: Österreich hatte 300.213 km², Ungarn 325.325 km², heute: Ö: 83.871 km² und 8,315.000 Einwohner, Ungarn: 10,3 Millionen Einwohner auf einer Fläche von 93.030 km². Insgesamt mit Bosnien waren es 676.648 km² und 43,680.000 Bewohner (24,6:17,6 Millionen Ö:U). Wen diese Zahlen nicht interessieren, der wird sich aber sicherlich über die zahlreichen Abbildungen, Karten und Fotos freuen, die dieser illustrierte Geschichtsatlas dem aufgeschlossenen Leser bietet. Die Ausdehnung der Monarchie zwischen Bangs/Vorarlberg im Westen und Chiliszeny in der Bukowina betrug 1.274 km, zwischen Hilgersdorf in Böhmen, dem nördlichsten Punkt, und Spizza in Dalmatien, dem südlichsten Punkt, lagen 1.046 km. Mit seiner damaligen Fläche war Österreich-Ungarn, nach Russland, der zweitgrößte Staat Europas und mit seiner Bevölkerung, die bis 1914 auf 52,8 Millionen angestiegen war, nach Russland und dem Deutschen Reich der drittgrößte Staat. Trotz all dieser Superlative vermochte es weder die Nation noch der Kaiser, dass sich der Großteil der Bevölkerung mit diesem Konglomerat identifizieren wollte. Aber diesbezüglich wurden natürlich auch viele Anstrengungen gemacht. Wie Franz Grillparzer in seiner Huldigung and den Feldmarschall Radetzky schrieb: „Gemeinsame Hilf` in gemeinsamer Not/Hat Reiche und Staaten gegründet/ Der Mensch ist ein einsamer nur im Tod/Doch Leben und Streben verbündet“. „In Deinem Lager ist Österreich“ wurde so zum unfreiwilligen Abgesange eines hoffnungsvollen Experimentes, der Krausschen „Weltuntergangsversuchsstation“ Kakanien, RIP.

„Eine kleine, von diesen Rinnsalen ausgewaschene Mulde“
Wilhelm J. Wagner lässt die faszinierende Epoche zwischen 1867 und 1918 in Worten und Bildern neu erstehen: Mit zahlreichen zeitgenössischen Karten, Plänen aus alten Schulatlanten, Fotos aus Privatarchiven und Illustrationen der damaligen Zeit präsentiert er die ganze Vielfalt der einzelnen Kronländer und ihrer Völkerschaften und man findet zu fast jedem Kronland ein eigenes Kapitel, das seine Kultur und Geschichte behandelt, auch zu Bosnien-Herzegowina. Natürlich werden auch die Errungenschaften wie Schifffahrt, Hochtechnologie, Luftfahrt u. ä. ausreichend in eigenen Kapiteln gewürdigt. Mich haben besonders die Statistiken fasziniert wie etwa die zur Aus- und Einfuhr. Österreich-Ungarn exportierte fast doppelt so viel, wie es einführen musste. Zu den Exportschlagern zählten u. a. – nach Wert in Gulden nach fünfjährigem Durchschnitt - Zucker, Werkholz und Getreide und Hülsenfrüchte, während bei den Importen hauptsächlich Baumwolle und Metalle sowie Wolle u. a. Gewebe ganz oben rangierten. Gerühmt wird in vielen Fällen auch die kulturelle, wirtschaftliche und verkehrspolitische Aufbauarbeit, die Österreich damals geleistet haben, um nicht auf die Schulpolitik zu vergessen. Eine gelungen Reise durch eine versunkene Epoche auf einem noch tiefer versunkenen Kontinent. Geblieben ist wohl auch noch die schizophrene Seele des Österreichers, die Robert Musil im „Mann ohne Eigenschaften“ so beschrieb: „Denn ein Landesbewohner hat mindestens neun Charaktere, einen Berufs-, einen National-, einen Staats-, einen Klassen-, einen geographischen, einen Geschlechts-, einen bewussten, einen unbewussten und vielleicht auch noch einen privaten Charakter; er vereinigt sie in sich, aber sie lösen ihn auf, und er ist eigentlich nichts als eine kleine, von diesen Rinnsalen ausgewaschene Mulde, in die sie hineinsickern und aus der sie austreten, um mit andren Bächlein eine andre Mulde zu füllen. Deshalb hat jeder Erdbewohner auch noch einen zehnten Charakter, und dieser ist nichts als die passive Phantasie unausgefüllter Räume; er gestattet dem Menschen alles, nur nicht das eine: das ernst zu nehmen, was seine mindestens neun anderen Charaktere tun und was mit ihnen geschieht; also mit andren Worten, gerade das nicht was ihn ausfüllen sollte.“

Wilhelm J. Wagner
Das Habsburger-Reich in Wort, Bild und Karte
Mit einem Vorwort von Hugo Portisch
Bildatlas

28,7 x 37,0 cm
160 Seiten
200 farbige Abbildungen
ISBN: 978-3-8000-7439-6
EUR: 34,95 CHF: 58,50

[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2010-04-01)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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