Der niederländische Schriftsteller Leon de Winter, der für seine klare Haltung gegenüber den radikalen Islam nicht nur in seiner Heimat oft angefeindet wurde, gehört zu den Autoren, die mit jedem weiteren Roman nicht nur literarisch besser werden, sondern sich mit ihren Themen mutig immer weiter vorwagen.
So hat er in seinem neuen Roman in einer wahnsinnigen Mischung aus Realität und Fiktion jene Aktion des amerikanischen CIA hinterfragt, bei der am 2.Mai 2011, fast zehn Jahre nach dem Anschlag auf das World Trade Center, eine Eliteeinheit Usama Bin Laden (im Buch nur UBL genannt) in seinem Unterschlupf im pakistanischen Abbottabad getötet hat.
Weltweit gab es klammheimlichen Beifall für diese Aktion, doch es kamen auch immer wieder Fragen auf, warum man den gesuchten Chef von Al Kaida nicht lebend gefangen nahm bzw. warum man seinen Leichnam so schnell über dem Arabischen Meer in der Tiefe verschwinden ließ?
Ohne jegliche Verschwörungsmethaphern hat Leon de Winter sich diesen Fragen mit einer genial erzählten Geschichte genähert. Hauptpersonen sind der amerikanische ehemalige Agent Tom Johnson, der nach einer schlimmen Verletzung in Afghanistan nicht mehr im Kampf eingesetzt werden kann. Dort hatte er auch das afghanische Flüchtlingsmädchen Apana kennengelernt und sie gleichsam adoptiert. Die Musik Bachs, insbesondere die Goldberg-Variationen, die das Mädchen durch Tom kennenlernt, verändert das Leben des Kindes radikal. Ihr schreckliches Schicksal und die Verantwortung, die Tom für das Kind übernimmt bis an die Grenzen seiner Kraft, ist ein wesentlicher, sehr bewegender und theologisch interessanter Strang der Handlung. Hier wird etwas deutlich von der Phantasie des jüdischen Autors, wie es sein könnte, wenn die Religionen der Welt jene Vorstellung und Dimension des Göttlichen, die in den Goldberg-Variationen aufscheint, annehmen und aufnehmen würden.
Ein zweiter Strang erzählt von den Vorbereitungen und der Durchführung der Aktion „Neptune`s Spear“, von der Begegnung Apanas mit UBL in Abbottabad, und gibt einen angedeuteten Hinweis darauf, warum UBL nicht am Leben gelassen wurde.
Der Roman ist spannend erzählt und entwickelt sich bald für den Leser zum regelrechten Pageturner. Das angedeutete Geheimnis, mit dem UBL angeblich Obama bedrohte, ist nach einigem Nachdenken über bestimmte Auswüchse im gegenwärtigen Wahlkampf in den USA so ganz abwegig nicht.
Wie es wirklich gewesen ist, wird die Welt nie erfahren. Leon de Winter hat aber aus einem historischen Geschehen eine lesenswerte Geschichte gemacht, deren menschliche und spirituelle Dimensionen lange in mir nachgewirkt haben.
Leon de Winter, Geronimo, Diogenes 2016, ISBN 978-3-257-06971-6
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2016-10-11)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.